Wie die arabische Revolution die Welt verändert

In seinem neuen Buch über den Arabischen Frühling kritisiert der bekannte Nahost-Experte und Journalist Michael Lüders die eindimensionale Sicht des Westens auf die historischen Ereignisse im arabischen Raum. Von Sebastian Sons

Von Sebastian Sons

Er ist in Deutschland eines der Gesichter des Arabischen Frühlings geworden. Michael Lüders, Islamwissenschaftler, Romanautor und ehemaliger Nahostkorrespondent für die ZEIT, gelang es in den letzten Monaten, mit seinen pointierten, differenzierten und kritischen Medienauftritten, die dramatischen Ereignisse im Nahen Osten für eine breite Öffentlichkeit verständlicher zu machen. Sein Ziel war es, zu erklären, ohne zu pauschalisieren und das Geschehen fassbar zu machen, ohne zu generalisieren.

Nun hat er in seinem neuesten Buch "Tage des Zorns. Die arabische Revolution verändert die Welt", seine Beobachtungen niedergeschrieben.

Lüders begibt sich darin auf einen Parforceritt durch die gesamte arabische Welt: Von den Anfängen der Revolution in den Transformationsländern Tunesien und Ägypten, über den Befreiungskampf in Libyen bis hin zu den gegenrevolutionären Golfmonarchien wie Saudi-Arabien zeichnet er das Bild einer sich wandelnden arabischen Welt, deren Gesellschaften zum ersten Mal in der Geschichte die verkrusteten Regimes herausfordern.

Titel
"Falsch formatierte Revolution": Michael Lüders schreibt in seinem Buch, dass die demokratischen arabischen Aufstände die vermeintlichen Gewissheiten des Westens sprengten.

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In 15 Kapiteln widmet er sich den zündenden Funken des Arabischen Frühlings, beschreibt die unterschiedlichen Akteure, skizziert mögliche Zukunftsszenarien, weist auf innergesellschaftliche Brüche und politische Risiken hin. In der Regel findet er die passende Mischung aus positiver Aufbruchstimmung und realistischer Skepsis.

Zeitkapsel nach der Unabhängigkeit

Trotz ihrer Unabhängigkeit nach der Kolonialzeit lebten die arabischen Gesellschaften in einer "Zeitkapsel", schreibt Lüders. Der Arabische Frühling kennzeichne nun den Willen der Bevölkerungen, sich aus diesem Teufelskreis der geistigen Stagnation und wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit zu befreien.

Lüders erkennt in diesem Prozess den Übergang von einer ländlichen Feudal- in eine urbanisierte Industriegesellschaft. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Doch Lüders erhebt auch nicht den Anspruch, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr will er sensibilisieren für Auffassungen, Traumata, Selbstwahrnehmungen und den Versuch, sich aus der jahrzehntelangen sozialen Lähmung zu befreien.

Der Wunsch, sich als eine Nation, als ein mündiges Volk zu begreifen, sei vielerorts mit Händen zu greifen gewesen. Der Islam habe hierbei nur eine untergeordnete Rolle gespielt: "Für die Generation Facebook ist der Islam weniger Ideologie, teilweise nicht einmal mehr religiöser Alltag, als vielmehr Lifestyle."

Demnach sei auch die Hochzeit islamistischer Ideologien vorbei. Damit steuert Lüders in wohltuend undogmatischer Weise dem im Westen verbreiteten "Schreckgespenst Islamismus" entgegen. Im Umgang mit der arabischen Welt stellt er dem Westen ein beschämendes Zeugnis aus: "Die arabische Revolution ist falsch formatiert. Sie passt nicht auf die vorherrschende 'mentale Festplatte', entspricht nicht den Wahrnehmungen und Gewissheiten der Mehrheit."

So habe der Arabische Frühling vermeintliche Wahrheiten als Stereotype und konstruierte Gewissheiten als Klischees entlarvt. Der Westen habe im Irak und Afghanistan zwei Kriege begonnen, um Demokratie zu exportieren – ohne Erfolg. Nun beweise die arabische Welt, dass sie selbst in der Lage sei, sich ihrer unpopulär gewordenen Herrscher zu entledigen.

Der Westen habe die autoritären Regimes als selbstverständlich hingenommen: Der Araber brauche schließlich eine Regierung mit harter Hand. Islamophobe Ansichten wie diese bestimmten die westliche Sicht. Nach Ansicht von Lüders ein gefährliches Klischee.

Zwischen Konsolidierung und Konterrevolution

Michael Lüders; Foto: dpa
Generation Facebook und der Islam: Lüders steuert dem im Westen verbreiteten "Schreckgespenst Islamismus" entgegen, indem er schreibt, dass die junge Generation den Islam nicht als politisches Instrument, sondern als Lifestyle betrachtet.

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Für Lüders ist die arabische Welt tief gespalten: Reiche Monarchien am Golf drängten auf Konsolidierung der Situation und gerierten sich als "Konterrevolutionäre". Andererseits nennt er auch exemplarisch das Golfemirat Katar, das mit der Gründung des arabischen Satellitensenders Al-Jazeera 1996 den wichtigsten "Modernisierungsagenten" kreiert habe.

Katar selbst gilt als Mediator in innerarabischen Konflikten, unterhält ein gutes Verhältnis zum Westen, den arabischen Nachbarn und sogar zum Iran. Ob das Emirat dabei als Modernisierer oder gar Reformer mit Strahlkraft bewertet werden kann, müsse allerdings bezweifelt werden, so Lüders. Immerhin sei Kritik am Emir untersagt und Demokratisierung finde kaum statt.

Lüders Buch bietet keine neue Sichtweise auf den Arabischen Frühling, allerdings ist dies auch nicht sein Ansinnen. In prägnanter, publizistischer Sprache bringt er dem Leser eine Region im Wandel näher, weist auf Chancen und Risiken hin und sucht den Weg ins kollektive politische Bewusstsein der Araber.

Seine Prognosen sind knapp, aber plausibel. Auch wenn sich einige seiner Prognosen als verfrüht oder gar falsch herausstellen sollten: Lüders wagt es, einen fließenden, dynamischen Prozess zu analysieren. Dies bietet eine spannende und erhellende Lektüre.

Sebastian Sons

© Qantara.de 2011

Michael Lüders: Tage des Zorns. Die arabische Revolution verändert die Welt, C.H. Beck Verlag, München 2011.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de