Die Perversion der Medienmaschine

Schwelende Konflikte in der arabischen Welt, wie etwa im Irak oder in Syrien, werden für westliche Medienmacher offenbar erst dann wieder relevant, wenn ihre eigenen Korrespondenten Opfer dieser Kriege werden. Ein Kommentar von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Syrien sorgt dieser Tage in Deutschland für Schlagzeilen. Weniger das Land selbst und der Krieg, als die Tatsache, dass ein deutscher Auslandsreporter im dortigen Einsatz schwer verletzt wurde.

Die Respektbezeugungen und Genesungswünsche für meinen einstigen Kairoer Fernsehkollegen und ARD-Reporter Jörg Armbruster, dessen Unterarm von einer Scharfschützenkugel zersplittert wurde, überhäufen sich – zu Recht. Und mein ehemaliger ARD-Rundfunkkollege aus Kairo, Martin Durm, der mit ihm im Auto saß, kommt nun ausführlich in den Medien zu Wort. Er darf sogar bei Frank Elstner als einer der "Menschen der Woche" über seine Erfahrungen sprechen.

Durm macht das sehr nachdenklich und weist immer wieder darauf hin, dass "uns das passiert ist, was Syrern jeden Tag passiert". Besser könnte er die gesteigerte Medienaufmerksamkeit für Syrien nicht nutzen.

Der Platz, der den Kollegen nun in den Medien gewährt wird, kommt frei nach dem Motto: Richtig zum Zug kommt die Auslandsberichterstattung nur, wenn der Berichterstatter verletzt oder getötet wurde.

Langsamer Medientod

Das ist vielleicht die ultimative Perversion der Medienmaschine. Wie alle Kollegen, die frei oder fest als Korrespondenten arbeiten, hatten auch Armbruster und Durm in ihrer Zeit als Korrespondenten in Kairo immer wieder Probleme, ihre hart erarbeiteten Geschichten zu platzieren.

ARD-Korrespondent Jörg Armbruster; Foto: dpa/picture-alliance
ARD-Korrespondent Armbruster im Fokus der Medienmaschine: "Jetzt, wo der Korrespondent einen zersplitterten Unterarm hat, bekommt Syrien noch einmal schier endlose Sendezeit, bevor die Medienkarawane weiterzieht", kritisiert Gawhary.

​​"Ach, wieso denn schon wieder der Irak" oder "das unübersichtliche Syrien, das will keiner mehr hören oder sehen", wären einige klassische Redaktionsantworten. So starben die Iraker nach dem Abzug der US-Truppen einen langsamen Medientod und der syrische Konflikt wird auch in Vergessenheit geraten, je länger er dauern wird.

Jetzt, wo der Korrespondent einen zersplitterten Unterarm hat, bekommt Syrien aber noch einmal schier endlose Sendezeit, bevor die Medienkarawane weiterzieht. Noch am Tag zuvor hatte der gleiche Berichterstatter wahrscheinlich um mehr als eineinhalb Minuten im Fernsehen gebettelt. Durm durfte jetzt "revolutionäre" vier Minuten in den Tagesthemen reden, untermalt mit Bildern aus Syrien.

So lange hätte man ihm sicherlich nicht zur besten Sendezeit gegeben, wäre das ARD-Team unversehrt aus Aleppo zurückgekehrt, auch wenn der eloquente Durm die Zuschauer ebenso mit den Geschichten des syrischen Kriegsalltages in den Bann hätte ziehen können.

Der Gipfel ist erst dann erreicht, wenn Berichterstatter umkommen, wie damals die Sunday Times-Reporterin Marie Colvin in Homs. Dann sind ihnen die "Helden- und Heroinnen-Nachrufe" gewiss.

Die Geschichte, die sie eigentlich präsentieren wollten, können sie dann leider nicht mehr erzählen. Auch wenn die Zuschauer/Hörer und Leserschaft ihnen gewiss wäre. Bis dahin heißt es: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann arbeiten sie weiter – und kämpfen um ein paar Minuten Sendezeit oder ein paar Zeilen mehr Syrien.

Karim El-Gawhary

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de