Steiniger Weg zum Frieden

Trotz des Sieges über das Gaddafi-Regime waren die Rebellen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht bislang kaum erfolgreich. Noch immer mangelt es an politisch bewanderten Führungspersönlichkeiten. Und wegen fehlender Fachkräfte läuft Libyen auch Gefahr, von Auslandshilfen abhängig zu werden, meint Barak Barfi.

In den Tagen, die auf den Beginn des Aufstands vom 17. Februar folgten, gründeten die Rebellen ein als "Nationaler Übergangsrat" bekanntes politisches Gremium sowie ein als "Exekutivkomitee" bezeichnetes Kabinett. Obwohl sie sich aus Menschen mit technischen Fertigkeiten aus allen Teilen der libyschen Gesellschaft rekrutieren, waren diese Gruppen bisher durch eine Reihe von Problemen gelähmt.

Kritiker haben den Übergangsrat wegen seines Mangels an Transparenz verhöhnt und sich über seine undurchsichtige Entscheidungsfindung beschwert. Sie haben zudem die zur Auswahl seiner Mitglieder verwendeten Kriterien in Frage gestellt. Der Ratsvorsitzende Mustafa Abdel-Jalil, so heißt es in Libyen, bevorzuge Dissidenten, die in Gaddafis Gefängnissen gesessen haben, gegenüber Personen mit der Ausbildung und den Fertigkeiten, wie sie zum Wiederaufbau des Landes gebraucht würden. Wenn der Übergangsrat diese Bedenken nicht aufgreift, ist schwer erkennbar, wie er die kommenden komplexen Herausforderungen bewältigen will.

Fehlende politische Fortschritte

Vorsitzender des Übergangsrates Mustafa Abdul-Jalil; Foto: Osama Faisal/AP/dapd
Aufbruch zu einer neuen demokratischen Ära? Der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdel-Jalil, hatte kürzlich in einem Zeitungsinterview an, dass es in acht Monaten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Libyen geben werde. Man wünsche sich eine "demokratische Regierung" und eine "gerechte Verfassung", so Abdel-Jalil.

​​Und es ist nicht allein die Politik des Übergangsrates, die den Erfolg des libyschen Aufstands gefährden könnte. Obwohl das Gremium in Teilen Ost-Libyens, die unter der Kontrolle der Rebellen stehen, bewundert wird, gilt Abdel-Jalil in der Bevölkerung als misstrauische Person, dem angeblich das für einen Revolutionsführer charakteristische Charisma fehle. Tatsächlich war Jalil bislang ein in der Provinz beheimateter politischer Akteur, der nicht in der Lage war, eine überzeugende neue Vision Libyens zu vermitteln.

Der von den Rebellen kontrollierte Osten leidet unter dem Fehlen politisch bewanderter Führungspersönlichkeiten. Kurz nach seiner Übernahme des Ratsvorsitzes im März schloss Abdel-Jalil Kandidaturen von dessen Mitgliedern bei künftigen Wahlen aus. Doch seitdem ist an der politischen Front kaum etwas passiert. Die Aktivisten zögerten, auf die Straße zu gehen, solange die Rebellen noch kämpften, und hielten sich daher mit der Gründung politischer Parteien zurück.

Die Folge ist, dass bisher nur zwei Parteien gegründet wurden – in einem Land, das keine Erfahrung mit einer pluralistischen Demokratie hat. Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum jemanden, der konsequent jene Veränderungen anmahnt, die nötig sind, um den Übergang von einem autoritären Regime hin zur Demokratie zu sichern.

Offene Fragen im Fall Younis

Und noch weitere Probleme zeichnen sich für den Übergangsrat ab: Im Juli wurde sein militärischer Stabschef Abdul Fattah Younis, nachdem der Rat zuvor einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte, unter undurchsichtigen Umständen getötet. Sein Stamm verlangt Antworten, die der Rat nicht hat. Mitunter wird in politischen Kreisen behauptet, dass angeblich sogar führende Ratsvertreter in Younis' Tod involviert gewesen sein sollen.

Abdul Fattah Younis; Foto: AP/dapd
Suche nach den Drahtziehern des Attentats: Bewaffnete hatten im Osten Libyens den Militärchef der Rebellenarmee, Abdul Fattah Younis, Ende Juli ermordet.

​​Obwohl die Untersuchung des Mordes an Younis durch die jüngsten militärischen Erfolge der Rebellen in den Hintergrund gerückt ist, verlangt sein Stamm Gerechtigkeit und ist bereit, Vergeltung zu üben, falls der Rat nicht in der Lage sein sollte, die Angelegenheit zu lösen.

Eine derartige Entwicklung würde die Rebellen spalten. Zudem birgt die Angelegenheit das Risiko, dass Libyen zu einem Zeitpunkt, an dem die Feindseligkeiten hätten enden sollen, in neuerlicher Gewalt versinkt.

Ein ziviles Blutvergießen könnte Libyen nach Gaddafi ohnehin drohen. Schon jetzt haben die libyschen Rebellen im Osten wiederholt Rache an Gaddafi-Loyalisten geübt, von denen viele für dessen gefürchtete Revolutionsausschüsse arbeiteten. Für West-Libyen vermelden Menschenrechtler, dass Gaddafi-Anhängern dort in die Hände geschossen wurde, um ihren Verrat kenntlich zu machen. Solange der Übergangsrat nicht in der Lage ist, seine Soldaten zur Disziplin zu zwingen, dürften derartige Gewalttaten nun, da Armee und Milizen die Gaddafi-Hochburgen räumen, zunehmen.

Stillstand des Erdöl-Rentierstaates

Der Übergangsrat steht zudem vor einem gewaltigen ökonomischen Dilemma: Vor der Revolution produzierte Libyen fast 1,6 Millionen Barrel Öl täglich; dies entsprach 96 Prozent der Exporterlöse des Landes. Doch seit Februar ist die Förderung aufgrund von Produktionsstörungen und Schäden an der Ölinfrastruktur zum Erliegen gekommen. Seitdem hat der Rat überwiegend aufgrund internationaler Hilfen und der Freigabe libyscher Vermögenswerte durch ausländische Regierungen überlebt.

Doch diese Gelder reichen nicht, um die Wirtschaft in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten in Gang zu halten. Viele Libyer klagen, dass ihre Gehälter nicht bezahlt würden. Nächtliche Stromausfälle haben dazu geführt, dass viele Menschen in Städten wie Tobruk im Dunkeln sitzen, und selbst in der Rebellenhauptstadt Bengasi hat es sporadische Stromrationierungen gegeben.

Die Kosten des Krieges reichen weit über die Reparatur der Ölanlagen und die Wiederherstellung der Stromversorgung hinaus. Städte wie Misrata wurden durch die Kämpfe schwer in Mitleidenschaft gezogen und müssen neu aufgebaut werden. Doch es fehlt Libyen an den technischen Kapazitäten, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Angesichts des Mangels an Fachkräften läuft Libyen nach Gaddafi Gefahr, von Auslandshilfen abhängig zu werden – ähnlich den Palästinensern, die überwiegend von internationaler Hilfe statt von ihren eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten leben.

Der Sturz Gaddafis und seines autoritären Regimes birgt große Versprechen für ein Volk, dem man 42 Jahre lang die Freiheit geraubt hat. Doch angesichts des bisherigen Daherstolperns des Übergangsrates wird dieser seine Bemühungen verdoppeln müssen, um jenen Frieden zu sichern, für den er so hart gekämpft hat.

© Copyright: Project Syndicate 2011

Barak Barfi ist Research Fellow der New America Foundation.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de