Liberale Muslime: Scharia und Menschenrechte sind kein Gegensatz

Der Liberal-Islamische Bund (LIB) sieht die Menschenrechte und das islamische Recht, die Scharia, als durchaus vereinbar an. Das geht aus der neuen Charta des LIB hervor, die der Verband am Dienstag in Bendorf vorstellte. Es gebe keinen Widerspruch zwischen universalen Menschenrechten und der Scharia, "verstanden als individueller ethischer und gleichzeitig am Gemeinwohl orientierter Leitfaden", so die LIB-Vorsitzende Nushin Atmaca.

Bisherige Menschenrechtserklärungen muslimischer Staaten oder Gruppen zeichneten sich zumeist dadurch aus, dass entweder die Menschenrechte unter einen "Scharia-Vorbehalt" gestellt würden oder umgekehrt die Scharia unter den Vorbehalt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, heißt es in der Charta. Der Liberal-Islamische Bund begreife die Scharia jedoch "nicht als rechtliches Regelwerk".

Was es konkret bedeute, "am Gemeinwohl orientierte Zustände herzustellen", müsse jede Generation von neuem ermitteln. Der Koran, so die Charta, enthalte wenige konkrete juristische Regelungen, dafür aber überzeitliche Gebote. "Jede Auslegung, die zum Beispiel der Achtung der Menschenwürde widerspricht, kann nicht stimmen, da der Koran sonst selbst-widersprüchlich wäre", erklärt der LIB.

Zugleich sei die Scharia offen für "historische Gegebenheiten und Menschheitserfahrungen beziehungsweise Erkenntnisfortschritte". Insofern seien die Menschenrechte nicht als etwas "Externes" anzusehen, sondern als ein Bestandteil der Scharia.

Neben diesen Ausführungen bekennt sich der LIB zum Grundgesetz und betont ein "Ja zur Demokratie". Ziel der zum Tag des Grundgesetzes verabschiedeten Charta ist den Angaben zufolge, einen Impuls sowohl für Muslime als auch für die Mehrheitsgesellschaft zu setzen.

Die Scharia, das islamische Gesetz, umfasst die religiösen Pflichten und alle Rechtsvorschriften, die nach islamischer Lehre das Leben gemäß dem Willen Gottes regeln. Sie erfasst dem Anspruch nach alle Bereiche des religiösen, zwischenmenschlichen und staatlichen Lebens.

Theoretisch gilt sie auch für Nichtmuslime und besteht unverändert bis ans Ende der Welt. Die meisten islamischen Staaten erkennen die Scharia zwar als Basis und Quelle ihrer Gesetzgebung an, besonders im Familienrecht. Sie weichen aber teils erheblich davon ab, etwa im Strafrecht. (KNA)

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