Lernen für die Praxis in der Moschee-Gemeinde: Fortbildung für muslimische Theologiestudenten

Von der Theorie in die Praxis: Die türkisch-islamische Ditib bietet islamischen Theologiestudenten die Möglichkeit, Erfahrungen für ihre Arbeit in Moscheegemeinden zu sammeln. Auf dem Programm stehen etwa predigen und Religionspädagogik. Von Andreas Gorzewski

«Was zählt als schlechte Tat?», fragt die muslimische Studentin mit beigem Kopftuch auf Türkisch. «Frauen schlagen», sagt ein bärtiger Studienkollege. «Männer zu schlagen etwa nicht?», entgegnet eine andere Frau. 13 junge Muslime sitzen in einem Unterrichtsraum der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) in Köln. Sie üben in Rollenspielen, Jugendlichen ihre Religion zu vermitteln. Alle 13 studieren an deutschen Universitäten islamische Theologie. Dort lernen sie jedoch nicht den Praxisalltag in Moscheen kennen. Das bietet ihnen der Islamverband während der Semesterferien an.

Jeder Moscheeverband kümmert sich um die eigenen Imame. In den mehr als 800 Moscheen der Türkisch-Islamischen Union in Deutschland sind türkische Vorbeter tätig, entsandt und bezahlt von der Religionsbehörde in Ankara. Doch die sprechen kein Deutsch. Die neuen Studienzentren für islamische Theologie an deutschen Universitäten sollen Abhilfe schaffen. Doch wer soll die künftigen Imame bezahlen und woher bekommen sie ihre Praxiserfahrung?

Auf die fehlende Gemeindeerfahrung reagiert die Akademie der Türkisch-Islamischen Union mit einem dreimonatigen Praxiskurs. Dem Unterricht im März folgen zehn junge Frauen und drei Männer. Vor ihnen liegen Koran und Smartphone. Sie üben predigen und erfahren, wie eine Totenwaschung erfolgt. Auf dem Lehrplan stehen auch Religionspädagogik und die häufigsten Fragen von Ratsuchenden.

Die Frankfurterin Hülya schätzt an der Fortbildung, dass es neben der Praxis auch um die Spiritualität geht. «Das fehlt an der Uni», sagt die Studentin. Das sieht die Hamburgerin Kübra ähnlich. «Theorie bekommt man an der Uni genug», findet die junge Frau. Es gefalle ihr, in Moscheen das Gelernte zu erproben.

Die Praxisausbildung muss zu den Bedürfnissen der Moscheevereine hierzulande passen, betont Taner Yüksel, der Leiter der Akademie. «Moscheen haben in Deutschland andere Funktionen als in der Türkei», sagt er. Seelsorge zählt in der Türkei nicht zu den klassischen Aufgaben eines Imams. «In Deutschland ist Seelsorge ein Muss», unterstreicht Yüksel. Auch Bildungsangebote und interreligiöser Dialog finden in türkischen Moscheen nicht statt, in deutschen dagegen immer öfter.

Um auch die älteren Gemeindemitglieder zu erreichen, ist Türkisch laut Yüksel noch unerlässlich. Deshalb findet der Praxiskurs auf Türkisch statt. Doch nicht alles lässt sich direkt übersetzen. «Wenn ich auf Türkisch von Sünde rede, ist das anders als auf Deutsch», erläutert der Akademie-Leiter. Hinzu kommt, dass nicht alle Deutschtürken die Sprache der Eltern oder Großeltern gleich gut beherrschen. Mehrfach kommt im Kurs auf Deutsch die Frage: «Was sollen wir jetzt machen?»

Viel wichtiger ist für Hülya und Kübra die Frage, wo sie nach ihrem Master-Abschluss arbeiten können. «Am Anfang wollte ich Religionslehrerin werden», erzählt Hülya. Doch mit Kopftuch könnte der Schuldienst ein Problem sein. Deshalb interessiert sie sich nun für die Gemeindearbeit. Zwar können nur Männer Imame werden, aber in den Moscheen der Türkisch-Islamischen Union arbeiten auch mehrere Dutzend Frauen hauptamtlich.

Der Weg dahin ist für Deutschtürken nicht vorgezeichnet. Das Zertifikat zum Kursende bescheinigt nur praktische Fertigkeiten. «Das bedeutet nicht, dass sie jetzt irgendwo einen Job annehmen können», erläutert Yüksel. Zwar habe die Religionsbehörde in Ankara auch erste Deutschtürken angestellt, die nach dem deutschen Abitur in der Türkei Theologie studiert haben. Aber der Akademie-Leiter räumt ein: «Es muss erst die Möglichkeit geschaffen werden, dass ein in Deutschland studierter Theologe hauptamtlicher Religionsbeauftragter in einer Moschee werden kann.» (epd)