Kontroverse um Totschlagsprozess zeigt Spaltung Israels

Die Volksarmee galt in Israel bislang als unantastbar. Sie dient als Schmelztiegel verschiedenster Sektoren und kleinster gemeinsamer Nenner. Ein umstrittener Militärprozess reißt nun tiefe Gräben. Von Sara Lemel

Zwischen seinen Eltern sitzt der israelische Soldat im Gerichtssaal und lächelt ohne Pause. Doch die monatelange Anspannung steht dem 21-Jährigen deutlich ins Gesicht geschrieben. Dann verkündet die Richterin das Strafmaß in dem aufsehenerregenden Militärprozess: eineinhalb Jahre Haft.

Das ist deutlich unter der Forderung der Anklage, die drei bis fünf Jahre verlangt hatte. Elor Asaria hatte im vergangenen März in Hebron einen am Boden liegenden palästinensischen Attentäter mit Kopfschuss getötet, obwohl dieser ganz offensichtlich keine Bedrohung mehr darstellte.

Kaum ein Prozess hat in Israels Gesellschaft so tiefe Gräben gerissen wie der von Asaria. Jariv Oppenheimer, ehemaliger Leiter der Organisation Peace Now, beschreibt das Strafmaß am Dienstag als «lächerlich gering».

Eine Mehrheit der Israelis ist jedoch nicht einmal mit einer Verurteilung Asarias wegen Totschlags einverstanden - 67 Prozent sind nach einer Meinungsumfrage für seine Begnadigung. Dutzende Anhänger demonstrieren während der Verkündung des Strafmaßes vor dem Militär-Hauptquartier. «Tod den Terroristen», steht auf einem Schild.

Der Fall zeige eine wachsende Polarisierung Israels, meint Juraprofessor Mordechai Kremnitzer. Viele glaubten, ein Terrorist habe «das Recht auf sein Leben verwirkt, auch wenn er hilflos ist». Der fortwährende Konflikt mit ständigen palästinensischen Anschlägen sowie die 50-jährige Besatzung der Palästinensergebiete hätten bei vielen eine emotionale Verhärtung ausgelöst, glaubt Kremnitzer, Vize-Präsident des israelischen Demokratie-Instituts. Dabei kämen Grundwerte ins Wanken. «Etwa seit dem Jahre 2000 glauben viele Israelis, der Konflikt werde nie enden und es gebe keine Hoffnung auf Besserung.»

In großen Teilen der Gesellschaft und auch bei der rechtsreligiösen politischen Führung Israels gebe es heute keine Unterstützung für die Haltung der Militärspitze, die Asarias Tat klar verurteilt hat, meint Kremnitzer. Bisher galt Israels Volksarmee immer als kleinster gemeinsamer Nenner der verschiedenen Bevölkerungsteile. «Die Aufrufe zur Begnadigung Asarias - auch vonseiten des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu - noch während des Prozesses untergraben die Autorität des Militärgerichts und die Demokratie in Israel», warnt der Juraprofessor.

Die Unterstützung für Asaria kommt keinesfalls nur von Randgruppen. Eine bekannte Supermarktkette verteilte in diesem Monat gratis Plastiktüten mit dem Konterfei Asarias. «Die Tüte ist umsonst. Elor zahlt für uns alle», steht darauf über einem Bild des Soldaten mit Gewehr.

Asaria hat keine Reue geäußert, das Gericht während der Debatte über das Strafmaß jedoch um Gnade gebeten. Gemessen an der Höchststrafe von 20 Jahren für Totschlag haben ihm die Richter diese auch gewährt. Man habe mildernde Umstände in Betracht gezogen, sagt Richterin Maja Heller, etwa dass sich der Vorfall in «feindseligem Gebiet» ereignete und Asarias Familie schon sehr gelitten habe.

Nach Ansicht von Professor Amichai Cohen, Leiter des israelischen Zentrums für Sicherheit und Demokratie und Oberst der Reserve, sollte Israel Vergehen wie Asarias auch im eigenen Interesse streng verfolgen. «Interne Ermittlungen verhindern, dass unsere Soldaten vor den internationalen Strafgerichtshof gezerrt werden», sagt Cohen.

«Außerdem können wir weiter stolz auf unsere Armee sein, wenn wir unsere Ethik und Werte auch in Kriegszeiten bewahren.» Eine Kommentatorin der Zeitung «Maariv» vertritt dagegen wohl eher die Meinung der Mehrheit: «Elor Asaria hätte den neutralisierten Terroristen nicht erschießen sollen, sollte aber trotzdem sofort freigelassen werden», schreibt sie am Dienstag. «Warum? Weil Asaria ein Soldat im Krieg ist und der tote Mann ein Terrorist war, der Juden ermorden wollte.» (dpa)

Mehr zum Totschlagsprozess gegen Elor Asaria finden Sie hier.