Keine Angst vor der Invasion: Papst sieht Araber als Chance für Europa

Papst Franziskus hat mit seinem Wort von der «arabischen Invasion» nach Europa für Aufregung gesorgt. Doch der Argentinier meint es nicht böse. Dem alten Kontinent fehle es nur an Identität. Von Christoph Schmidt

Mit einer überraschenden Formulierung zur islamischen Einwanderung nach Europa hat Papst Franziskus für Aufsehen gesorgt. «Wir können heute von einer arabischen Invasion sprechen. Das ist eine soziale Tatsache», sagte er unlängst in einer Ansprache an Vertreter der französischen Sozialbewegung «Poissons Roses» im Vatikan. Fügte aber gleich hinzu, Europa habe in seiner Geschichte viele Invasionen erlebt, «aber es hat immer über sich selbst hinauswachsen, voranschreiten können, um sich dann, bereichert durch den Austausch der Kulturen, wiederzufinden».

In der internationalen Presse - und in rechtskonservativen Blogs - macht das Papstwort von der «arabischen Invasion» nun mehr oder weniger aus dem Zusammenhang gerissen die Runde. Schließlich ist der Begriff «Invasion» klar militärisch unterlegt, in seiner arabischen Variante werden Bilder von krummsäbelschwingenden Turbanträgern wach, die «Allahu Akbar» rufend Europas Küsten stürmen. Klar ist auch, dass Franziskus in seiner Rede am vergangenen Samstag keine seiner rhetorischen Flapsigkeiten unterlaufen ist, denn das Zitat erschien auch in der jüngsten Ausgabe der Vatikanzeitung «Osservatore Romano». Wird da ein Flüchtlingspapst plötzlich zum Warner vor der Islamisierung des christlichen Abendlandes? Schürt er Ängste in der polarisierenden Flüchtlingskrise?

Das mag mancher wünschen oder befürchten, dürfte aber am Thema vorbeigehen. Franziskus erwähnt die Religionen in der betreffenden Passage überhaupt nicht, sondern spricht nur von Kulturen und holt weit aus. Als Papst der römischen Kirche kann er das mit einer gewissen Gelassenheit. Germanen, Hunnen, Wikinger, Araber, Mongolen und Türken haben den Alten Kontinent berannt und Rom, die Hauptstadt des Christentums, steht immer noch. Das Aufeinanderprallen brachte immer auch Begegnung, Austausch und damit geistigen und materiellen Fortschritt. Der Argentinier ist außerdem der erste Papst aus einer vitalen und christlich geprägten Einwanderergesellschaft - in der bis heute auch viele muslimische Neubürger ihren Platz finden.

Die Unterschiede zum heutigen Europa hat der Papst in seiner Rede vor den französischen Gästen klar benannt: die Kinderlosigkeit in vielen europäischen Ländern, die christliche Glaubenskrise, die Unsicherheit gegenüber der eigenen Identität. «Wenn es seine Geschichte vergisst, schwächt sich Europa. Dann wird es zu einem leeren Ort.» Da spricht wohl auch der gelernte Chemielaborant in ihm: Der Unterdruck in einem Vakuum ist ein künstlicher, unnatürlicher Zustand im Übergang, der zwangsläufig anderes anzieht.

Der Papst aus Buenos Aires hat sich bisher nur selten zu Europa geäußert, den Kontinent hat er kaum bereist. Beobachter runzelten die Stirn über seinen Karlspreis für Verdienste um die europäische Einigung, den Franziskus im Mai entgegennimmt. Doch in seiner Rede outete sich das Kind italienischer Migranten mehr denn je als geistiger Europäer. Der Kontinent müsse das Gesicht der Globalisierung maßgeblich prägen: «Der einzige Kontinent, der eine gewisse Einheit in der Welt stiften kann, ist Europa.» China habe zwar eine ältere Kultur. «Aber nur Europa hat die Berufung zur Universalität und zum Dienen.»

Allerdings nicht als «Großmutter», betonte Franziskus mit einer Metapher aus seiner Rede vor dem Europäischen Parlament im November 2014. Europa könne wieder eine junge Mutter werden, wenn es seine Familien fördert und neuen Schwung findet. Und er wiederholte eine Kritik, die in Richtung Berlin und Paris zielt: Dem Kontinent fehlten die Gestalter, monierte der Papst. Er vermisst Visionäre wie Robert Schuman und Konrad Adenauer. Über deren heutige Nachfolger fällt kein Wort.

Seinen eigenen Beitrag zur «arabischen Invasion» sieht der Papst im Dialog. «Wir müssen miteinander reden und reden und nochmals miteinander reden.» Demnächst erwartet er im Vatikan Scheich Ahmed al-Tayeb von der Kairoer Al-Azhar, der wichtigsten Lehrstätte des sunnitischen Islam. Fünf Jahre lagen die Gespräche auf Eis. Jetzt scheinen sie wichtiger denn je. (KNA)