Kampf um Papiere und Paragrafen - Islamisten abschieben, aber wie?

Der Fall des Hamburger Messerangreifers hat Fragen zur Abschiebung von Islamisten aufgeworfen, wieder einmal. Der Staat hat selbst bei «Gefährdern» große Probleme, sie auszuweisen. Ein Tunesier unter Terrorverdacht könnte bald sogar freikommen. Zum zweiten Mal. Von Ira Schaible und Christiane Jacke

Haikel S. ist nach Einschätzung von Ermittlern hochgefährlich. Der 36-jährige Tunesier soll für die Terrormiliz IS in Deutschland einen Anschlag vorbereitet haben. Auch in seiner Heimat steht er unter Terrorverdacht. Bei einer Anti-Terror-Razzia in Hessen wurde er Anfang Februar festgenommen.

Seitdem sitzt er in Frankfurt in Untersuchungshaft - womöglich aber nicht mehr lange. Der Bundesgerichtshof prüft, ob die Haftgründe ausreichen. Falls nicht, käme der Mann auf freien Fuß und müsste rund um die Uhr überwacht werden. Mit einer Entscheidung rechnet die ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt in den nächsten Wochen. Hessen würde den mutmaßlichen Islamisten gerne nach Tunesien abschieben, das geht aber nicht so einfach. Kein Einzelfall.

Es gibt jede Menge gefährliche Islamisten in Deutschland. Die Polizei stuft rund 690 Menschen aus der Szene als «Gefährder» ein – als Leute, denen sie einen Terrorakt zutrauen. Hinzu kommt ein Umfeld von rund 400 «relevanten Personen» - so werden Führungspersonen, Kontaktleute und Unterstützer aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum genannt. Zusammen also etwa 1.100 Leute. Die Hälfte davon sind Deutsche oder Doppelstaatler, die auch einen deutschen Pass haben. Hinzu kommen EU-Bürger. Der Rest - ein Drittel der knapp 1.100 - sind Leute aus Staaten jenseits der EU. Von ihnen sind wiederum ein Drittel «ausreisepflichtig».

Es gibt also mehr als 120 Islamisten, die eigentlich die Republik verlassen müssten. Doch da gibt es Probleme. Und die bereiten den Sicherheitsbehörden einige Sorgen. Der prominenteste Fall ist der von Haikel S.: Im August 2016 wurde er schon einmal in Deutschland festgenommen, wegen Körperverletzung und einem Festnahmeersuchen aus Tunesien zur Vorbereitung der Auslieferung. Dabei ging es auch um den Verdacht, dass er an dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis im März 2015 mit mehr als 20 Toten beteiligt war. Doch weil die tunesischen Behörden die nötigen Papiere für eine Auslieferung nicht schickten, wurde er im November 2016 aus der Haft entlassen. Die Polizei musste ihn dauerüberwachen.

Dann die zweite Festnahme Anfang Februar, wegen des Verdachts auf Anschlagspläne in Deutschland. Mitte März sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), er rechne mit einer baldigen Abschiebung. Ende März sollte es soweit sein. Doch Haikel S. stellte einen Asylantrag - mit der Begründung, in der Heimat drohe ihm die Todesstrafe. Seine Abschiebung wurde wenige Minuten vor dem Abflug vom Frankfurter Flughafen gestoppt. Der Asylantrag wurde danach zwar abgelehnt, doch Haikel S. bemühte immer wieder juristische Mittel.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt untersagte die Abschiebung des Tunesiers schließlich - wegen der drohenden Todesstrafe in der Heimat. Die Kammer verlangte unter anderem, dass Tunesien der Bundesregierung vor der Abschiebung völkerrechtlich verbindlich zusichern müsse, dass die Todesstrafe nicht verhängt werde. Eine im Juli aus Tunis vorgelegte Verbalnote räume diese Bedenken nicht aus.

Seitdem rätseln die Behörden, wie sie Haikel S. außer Landes kriegen. Eine Option ist die Abschiebung nach dem Gefährder-Paragrafen: Nummer 58a, Aufenthaltsgesetz. Der Paragraf gilt als schärfstes Instrument für solche Fälle. Er erlaubt die Abschiebung von Ausländern «zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr».

Der Paragraf wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt, so richtig kommt er aber erst seit der Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt zum Einsatz. Der Täter dort, Anis Amri, war auch Tunesier, ebenfalls als Islamist bekannt und auch er konnte wegen fehlender Papiere nicht in die Heimat zurückgeschickt werden.

Auch der Fall des Hamburger Attentäters - ein abgelehnter palästinensischer Asylbewerber, dessen Abschiebung schief ging – warf gerade erst neue Fragen auf. Nach dem Anschlag in Berlin legten die Behörden zuletzt eine härtere Gangart ein und griffen häufiger zu Paragraf 58a. Ende Juli stufte das Bundesverfassungsgericht dies als mit dem Grundgesetz vereinbar ein. Ist der Weg nun also frei? Nicht wirklich. Nach der Entscheidung aus Karlsruhe kam schnell das Ok für die Abschiebung eines russischen «Gefährders» aus Bremen.

Doch kurz darauf wurde diese gestoppt – auf Veranlassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der 18-Jährige sitzt nun in Abschiebehaft. Eine endgültige Entscheidung in seinem Fall soll es erst in den nächsten Monaten geben. Das juristische Hin und Her geht also weiter.

Auch bei Haikel S. ist unklar, was passiert. Nach Darstellung seiner Anwältin Seda Basay hat Hessen bereits eine Anordnung nach dem Gefährder-Paragrafen erlassen und beruft sich dabei auf «die Abwehr einer terroristischen Gefahr». Das hessische Innenministerium äußerst sich dazu wegen «des laufenden Verfahrens» nicht. Fraglich ist jedoch, wie weit das Abschiebungsverbot des Verwaltungsgerichts dem entgegensteht. Darüber muss dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden.

Die Dauer einer Untersuchungs- oder Abschiebehaft ist endlich. Die Vorgaben für die Inhaftierung von «Gefährdern» wurden zwar gerade erst verschärft. Doch es könnte passieren, dass Haikel S. wieder frei kommt. Die Polizei müsste ihn dann 24 Stunden am Tag überwachen - wieder einmal. Das bindet viel Personal. Im Sicherheitsapparat ist der Ärger über solche Fälle sehr groß - ebenso die Ratlosigkeit. (dpa)