Jungen Muslimen fehlen Identifikationsangebote

Junge Muslime in Europa radikalisieren sich, weil ihnen die Gesellschaft zu wenig Identifikationsangebote macht. Das schreibt der Politologe und Islamwissenschaftler Bassam Tibi am Donnerstag in der "Süddeutschen Zeitung".

Ein radikaler Islamismus wirke sehr attraktiv für ausgegrenzte junge Muslime, weil er Trost und Sinn in einer hoffnungslosen Lage anbiete.

Dabei seien die radikalisierten Jugendlichen häufig gar keine frommen Muslime, die fünfmal am Tag beteten, sagte der emeritierte Göttinger Politikwissenschaftler. Religiöse Begriffe wie Dschihad oder "Ungläubige" oder die Berufung auf die Scharia dienten der Abgrenzung.

Das Kopftuch deutet Tibi ebenso wie den islamistischen Bart als Symbol, um das Anderssein des Islam zu demonstrieren und zu zeigen, dass die Grenzen zwischen der islamischen und der westlichen Zivilisation unüberwindbar seien.

In Europa werde der Mensch zuerst als Individuum und als Rechtssubjekt eingeordnet und nicht wie im Nahen Osten als Mitglied eines religiösen oder ethnischen Kollektivs, argumentiert der gebürtige Syrer.

Die jugendlichen Migranten würden deshalb aus der psychologischen Sicherheit des Kollektivs herausgerissen; das erzeuge Identitätsprobleme. "Die Deutschen scheinen diese ihnen kulturell fremde Perspektive überhaupt nicht zu verstehen", so Tibi. Demgegenüber hätten junge Muslime in den USA viel weniger Identitätsprobleme, weil sie sich dort als Amerikaner fühlen könnten. (KNA)