Journalisten nach Putschversuch in der Türkei festgenommen

Nach der Welle von Festnahmen bei Militär, Polizei und Justiz nimmt die türkische Regierung nun kritische Journalisten ins Visier: Die Staatsanwaltschaft stellte Haftbefehle gegen 42 Journalisten aus, darunter die renommierte Journalistin Nazli Ilicak, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag berichtete. In einer seltenen Geste der Versöhnung traf sich Präsident Recep Tayyip Erdogan zu einem langen Gespräch mit Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu.

Die Journalistin Ilicak war 2013 von der regierungsfreundlichen Zeitung "Sabah" entlassen worden, weil sie mehrere Minister kritisiert hatte, die in einen Korruptionsskandal verwickelt waren. Laut der Nachrichtenagentur Dogan wurde nach ihr im Küstenort Bodrum gesucht. Neben Ilicak wurden auch Haftbefehle für den bekannten Kommentator Bülent Mumay und Ercan Gün vom Nachrichtensender Fox ausgestellt.

Nach Angaben von Dogan befinden sich elf der gesuchten Journalisten außer Landes, fünf wurden bereits festgenommen. Laut Anadolu stehen die Haftbefehle in Zusammenhang mit dem Umsturzversuch vom 15. Juli, für den Erdogan den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Bereits vor dem Putschversuch waren kritische Journalisten vermehrt Repressionen ausgesetzt und wurden teils angeklagt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, die Haftbefehle seien das "jüngste alarmierende Zeichen" einer politisch motivierten "Säuberung". Der Deutsche Journalisten-Verband forderte die sofortige Aufhebung der Haftbefehle. Der Ausnahmezustand werde als Vorwand genutzt, um Kritiker mundtot zu machen, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.

Nach der gemeinsamen Demonstration von Opposition und Regierung in Istanbul empfing Erdogan am Montag in einer seltenen Geste gegenüber der Opposition den CHP-Vorsitzenden Kilicdaroglu im Präsidentenpalast. Kilicdaroglu, der eigentlich versprochen hatte, niemals einen Fuß in den umstrittenen Palast zu setzen, sprach anschließend von einem "positiven Gespräch für die Normalisierung".

Am Sonntagabend hatten Anhänger der säkularen Republikanischen Volkspartei (CHP) gemeinsam mit den Unterstützern von Erdogans islamisch-konservativer Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) auf dem symbolträchtigen Taksim-Platz gegen den Putschversuch und für Demokratie demonstriert.

Auch der Vorsitzende der nationalistischen MHP, Devlet Bahceli, war zu dem Treffen im Präsidentenpalast geladen. Es war das erste derartige Gespräch mit den Oppositionsführern seit der Wahl Erdogans zum Präsidenten. Der Vorsitzende der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtas, war allerdings nicht eingeladen.

Finanzminister Mehmet Simsek bestätigte derweil, dass die Regierung schon lange vor dem Putschversuch Listen mit Anhängern Gülens in Militär, Polizei und Verwaltung erstellt hatte. Simsek sagte der "Bild"-Zeitung, es gebe "Beweise", dass Gülens Bewegung hinter dem Putschversuch stehe. Eigentlich sei geplant gewesen, im Laufe des Jahres über das Vorgehen gegen die Verdächtigen zu entscheiden.

Seit dem Umsturzversuch gibt es in der Türkei eine Entlassungs- und Verhaftungswelle. Nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim vom Wochenende wurden bereits mehr als 13.000 Menschen in Gewahrsam genommen. Am Montag wurden zudem rund 40 Angehörige der Militärakademie in Istanbul sowie 31 Wissenschaftler wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Gülen festgenommen.

Auch die Fluggesellschaft Turkish Airlines entließ 211 Angestellte wegen des Verdachts, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu unterhalten.

Außerdem wurden sieben Soldaten festgenommen, die in der Putschnacht an dem Angriff auf das Hotel Erdogans in der Mittelmeerstadt Marmaris beteiligt gewesen sein sollen, berichtete Anadolu. Ein Einsatzkommando der Putschisten war in das Hotel eingedrungen, in dem Erdogan Urlaub machte, doch hatte er es kurz zuvor verlassen.

Die Bundesregierung schlug derweil eine unabhängige Untersuchung der von Amnesty International erhobenen Foltervorwürfe vor. Der Einsatz von "unabhängigen Beobachtern" wäre ein "geeigneter Weg", um den Vorwürfen nachzugehen, sagte eine Regierungssprecherin. Amnesty hatte von "glaubhaften Beweise" für die Folter von Gefangenen nach dem Umsturzversuch gesprochen. (AFP)