Islamische Blitz-Scheidung in Indien auf dem Prüfstand

Muslimische Männer in Indien können ihre Ehe auf einfachste Weise beenden. Doch die traditionelle Scheidung mit drei Worten wird zunehmend hinterfragt. Denn viele Frauen begehren auf. Das oberste Gericht hat das letzte Wort. Von Agnes Tandler

Es waren nur drei Worte: «Talaq, Talaq, Talaq» - dann war die 35-jährige Shayara Banu eine geschiedene Frau. Indiens Familienrecht erlaubt es Muslimen, sich mit dem dreifachen Talaq (Arabisch für Scheidung) von ihrer Frau zu trennen. Der Talaq muss nicht einmal persönlich vorgetragen werden. Für die Blitz-Scheidung reicht ein Anruf oder eine SMS aus. Einspruchsmöglichkeiten gibt es keine.

Nach 15 Jahren Ehe hatte Banu damit auf einen Schlag alles verloren. Ihr Zuhause, ihre zwei Kinder, ihre Lebensgrundlage. Doch diese Praxis wird in Indien zunehmend in Frage gestellt. Das Oberste Gericht hörte am Dienstag diverse Petitionen zur Abschaffung der dreifachen Talaq an. Auch Banu hat sich an das höchste Gericht in Neu-Delhi gewandt und wartet auf eine Entscheidung.

Banu hatte Glück im Unglück. Ihre Eltern haben sie wieder aufgenommen. Das ist nicht selbstverständlich. Geschiedene Frauen sind in Indien stigmatisiert. Banu, die diese Diskussion angestoßen hat, lebt nun mit in der engen Wohnung ihrer Eltern im Kashipur-Distrikt in Nordindien: Die Familie ist nicht wohlhabend. Ein Gaszylinder und ein Sack Reis stehen neben ihrem Bett. «Wann immer mein Mann das Gefühl hatte, ich hätte einen Fehler gemacht, hat er mir mit Talaq gedroht», erzählt sie indischen Reportern.

Zuspruch kommt von unerwarteter Stelle: Indiens Premierminister Narendra Modi schlug sich jüngst auf ihre Seite. «Sollen wir gestatten, dass die Rechte unsere muslimischen Schwestern zerstört werden, nur weil jemand dreimal Talaq am Telefon sagt?», kritisierte Modi. Dass sich der hindu-nationalistische und strenggläubige Regierungschef plötzlich um das Wohlergehen muslimischer Frauen sorgt, hat die hitzige Diskussion der vergangenen Monate um eine Facette erweitert. Es geht um das Recht von Minderheiten, um Frauenrechte und die Rolle des säkularen Staates in diesem Spannungsfeld, der Mann und Frau die gleichen Rechte zuspricht.

In vielen Teilen der islamischen Welt ist der dreifache Talaq nicht mehr gebräuchlich. Doch Indiens Familienrecht stammt noch aus Kolonialzeiten, obschon das Land seit 1947 unabhängig ist. Die britischen Herrscher erlaubten damals den verschiedenen religiösen Gruppen in Indien, ihre persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln, dazu zählten auch Heirat und Scheidung. Somit bestimmt die Scharia bis heute das Familienrecht der etwa 180 Millionen indischen Muslime. Die von indischen Musliminnen gegründete Organisation Bharatiya Muslim Mahila Andolan (BMMA) schätzt, dass bei einer von elf geschiedenen muslimischen Frauen die Scheidung mit dem dreifachen Talaq erfolgte - meistens ohne jede Abfindung.

Doch muslimische Geistliche sehen den Angriff auf den dreifachen Talaq als Bedrohung für ihre religiöse Gemeinschaft - in einer Zeit, in der Gewalttaten gegen Muslime und andere religiöse Minderheiten zunehmen und Modis regierende Hindu-Partei BJP dies stillschweigend zu billigen scheint. In diesem angespannten Klima befürworten die meisten Muslime eine freiwillige Lösung, einen Wandel von innen. «Solche Männer sollten bestraft werden», sagte Maulana Abdul Hameed Naumani von der Jamiat Ulama-i-Hind, einer der führenden muslimischen Organisationen in Indien. «Keiner sollte ihnen wieder erlauben, seine Tochter zu heiraten.»

Was wird, wenn die obersten Richter Banus Scheidung für nichtig erklären? Die Zeichen dafür stehen gut, nachdem im Dezember das Oberlandesgericht in Allahabad den dreifachen Talaq für «verfassungswidrig» erklärt hat. Banu ist unsicher. Ihre Familie möchte, dass sie dann eine Scheidung vor einem Gericht einreicht. Doch Banu schwankt, vielleicht geht sie zum Wohl ihrer Kinder zu ihrem Mann zurück. Auch wenn Indiens Regierung den Weg für ein neues einheitliches Familienrecht ebnet, bleibt eine Scheidung für die meisten Inderinnen ein soziales Stigma, egal welcher Religion sie angehören. (epd)