Brodeln unter der Oberfläche

Während Irans Revolutionsführer Ali Khamenei den Umsturz des Mubarak-Regimes in Ägypten als islamisches Aufbegehren umdeutete, schauten die Akteure der grünen Protestbewegung von 2009 frustriert nach Kairo. So manch einer von ihnen mag sich gefragt haben: Warum hat es in Teheran kein Phänomen Tahrir-Platz gegeben? Von Marian Brehmer

Von Marian Brehmer

Damals schaute man nach Teheran. Am 29. Juni 2009, inmitten des "grünen" Protestsommers im Iran, wollten ägyptische Oppositionelle in den Straßen von Downtown Kairo ihre Solidarität mit den Demonstranten im Iran zeigen. Doch kaum hatten sie sich versammelt, fanden sie ein Bollwerk von Sicherheitskräften vor, das die Kundgebung schnell auflöste.

Auch die am 20. Juni bei den Wahlprotesten in Teheran erschossene Neda Agha-Soltan sollte am vergangenen Montag in Kairo geehrt werden. Neda war nicht nur zum Symbol der iranischen Protestbewegung geworden, sondern auch zu einer Inspiration für die unzufriedene Jugend in Ägypten.

Grab von Neda Agha Soltan; Foto: dpa
Avancierte zur Ikone der grünen Protestbewegung im Iran: Die 26jährige Studentin Neda Agha Soltan war im Juni 2009 in Teheran erschossen worden.

​​Niemand konnte ahnen, wie sich die Dinge wenden würden. An einem Montag mehr als anderthalb Jahre später, dem 14. Februar 2011, demonstrierten in Teheran erstmals seit 2009 wieder Tausende in den Straßen. Nun schauten sie nach Kairo, wo drei Tage zuvor Hosni Mubarak zurückgetreten war, und wollten ihrerseits Solidarität mit den jungen Ägyptern zeigen.

Irans Reformführer Mussawi und Karrubi hatten, inspiriert durch die Vorgänge auf dem Tahrir-Platz, zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen. Sie wurden unter Hausarrest gestellt, um nicht an den Protesten teilnehmen zu können. Ein massives Polizeiaufgebot behielt das Geschehen im Griff und auf einer Folgedemonstration am 20. Februar überstieg auf manchen Plätzen Teherans die Zahl der einsatzbereiten Polizisten und Basidsch-Milizen sogar die Zahl der Demonstranten.

Pionier unter den Demokratiebewegungen

Irans grüne Bewegung stellte ein Pionier unter den neuen Demokratiebewegungen dar, die nun Ben Ali und Mubarak gestürzt haben und an den Thronen der Gaddafis, Salehs und Assads sägen. Die grüne Bewegung war zahlenstark, unvorhersehbar und spontan in ihrer Dynamik, getragen von jungen Leuten und mit den sozialen Medien als Katalysator.

Ihr großer Erfolg war nicht nur eine beispiellos schnelle Politisierung von Millionen junger Menschen, sondern auch ein Wandel des Iranbilds bei den Beobachtern im Westen. Doch die Machtbasis der Islamischen Republik konnte sie nicht zum Einsturz bringen.

Im Iran stand zu Beginn die mutmaßliche Wahlfälschung des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Das einzige demokratische Instrument der Iraner, die Wahlabstimmung, war in den Augen vieler zu einer Farce geworden. Dutzende wurden in den Junitagen vor zwei Jahren erschossen, Tausende inhaftiert und in den Folgemonaten verhört und gefoltert.

Revolutionsführer Ali Khamenei; Foto: dpa
Neue Qualität des Protests: Am 27. Dezember 2009 richtete sich der Unmut der Demonstranten erstmals offen gegen Ali Khamenei, den sie als "Dikator" bezeichneten.

​​Der Widerstand wurde kleiner und flammte nach dem Tod des reformistischen Großayatollahs Hossein Ali Montazeri im Dezember wieder auf. Am schiitischen Aschura-Tag, dem 27. Dezember 2009, richteten sich die Proteste erstmals auch offen gegen den obersten geistlichen Führer Ali Khamenei. Er wurde nun von den Demonstranten direkt als "Diktator" angegriffen.

In dieser Radikalisierung sieht der iranische Politologe Peyman Jafari einen Grund für das Abebben der Proteste. Das Jahr 2010 war weitestgehend ruhig, die Regierung sprach selbstsicher vom Tod der grünen Bewegung.

Die grüne Bewegung ist nicht tot

Die Februarproteste in diesem Jahr haben zweierlei gezeigt. Die grüne Bewegung ist nicht tot, höchstens geschwächt. Und: Es sind nun nicht mehr die Wahlen, die im Vordergrund stehen, sondern vielmehr grundlegende politische und soziale Freiheiten – so wie sie auch in Ägypten gefordert wurden.

Während Ali Khamenei die ägyptische Revolte als islamisches Aufbegehren umdeutete und begrüßte, schauten die Protagonisten von 2009 frustriert nach Kairo. Manch einer von ihnen mag sich gefragt haben: Warum haben wir nicht auf den Plätzen übernachtet? Warum gab es in Teheran kein Phänomen Tahrir-Platz?

Mir Hossein Mussawi; Foto: dpa
Im permanenten Konflikt mit der Führung der Islamischen Republik: Mir Hossein Mussawi, Hoffnungsträger der grünen Protstbewegung.

​​Die politischen Systeme Ägyptens und Irans sind grundverschieden. In Kairo gab es den allmächtigen Herrscher Mubarak und seinen Machtapparat, in Teheran das komplizierte Netzwerk aus Revolutionsführer, Präsident, Wächterrat und Revolutionsgarden.

Einen wichtigen Unterschied macht auch die Rolle der bewaffneten Kräfte: In Ägypten hat sich das Militär auf die Seite der Demonstranten gestellt. Im Iran waren es die professionell organisierten und indoktrinierten Basidsch-Milizen, die dem System treu verpflichtet sind und bei Protesten schossen.

Die Basidsch werden zumeist aus sozial schwächeren Gegenden rekrutiert und von der Regierung an Universitäten platziert, um dort frühzeitig Widerstand aufzuspüren. Denn dieser brütete im Iran, egal ob 1979 oder während der demokratischen Revolution Mossadeghs im Jahr 1953, stets in den akademischen Zentren. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2009 stürmten Basidschis die Schlafsäle der Universität Teheran, mehrere Studenten wurden dabei getötet oder schwer verletzt.

Woran fehlt es der Bewegung?

Doch die Beschaffenheit des Regimes sowie dessen Repression und die Angst der Aktivisten vor ihr sind nicht die einzigen Gründe dafür, warum es der grünen Bewegung offenbar an Durchschlagskraft mangelte.

Ramin Jahanbegloo, Politologe im kanadischen Exil und einer der wichtigsten Sprecher der iranischen Diaspora, sieht im "post-charismatischen" und "post-ideologischen" Charakter der Bewegung eine Stärke. Doch das kann man auch als Schwäche umdeuten: Fehlt es der grünen Bewegung an einer klaren Richtung und an Menschen, die sie vorgeben?

Im Juni 2010 veröffentlichte Mussawi die "Grüne Charta", eine wenig beachtete Schrift. Hierin legte er dar, dass nicht die Abschaffung, sondern die Reformierung des Systems sowie die Rückbesinnung auf die in der iranischen Verfassung verankerten demokratischen Elemente die Ziele seien.

Demonstrant der grünen Protestbewegung demonstriert vor dem Azadi-Monument in Teheran; Foto: DW
Ist ein Phänomen "iranischer Tahrir" möglich? Die Reformbewegung muss auf neue Strategien setzen und benötigt einen langen Atem. Doch scheint es mittel- und langfristig unmöglich, zu unterdrücken, was im Iran 2009 geweckt wurde, schreibt Brehmer.

​​Doch ist es das, was die Aktivisten von 2009 wollen? Es gilt, die verschiedenen Interessen innerhalb der pluralistischen Bewegung zu erfassen und unter Beteiligung aller einen Aktionsplan herauszuarbeiten.

Nach der Präsidentschaftswahl antwortete die Führung den Reformern: Ja, ihr habt in Teheran die Wahlen gewonnen, aber Teheran ist nicht der Iran. Sie verschwieg dabei, dass viele Stimmen aus anderen Städten wie Isfahan und Shiraz kamen.

In zwei großen Provinzen lagen die ausgezählten Stimmen sogar über der Zahl der eingetragenen Wahlberechtigten und nach den von der Regierung veröffentlichten Ergebnissen haben 44 Prozent der früheren Reformwähler für Ahmadinedschad gestimmt (Berechnungen des Londoner Thinktanks "Chatham House"). All das legt nahe, dass Ahmadinedschads Unterstützungsbasis nicht so groß gewesen sein kann, wie es das offizielle Wahlergebnis darstellt.

Und doch gibt es einen Funken Wahrheit in der Reaktion des Regimes: Teheran ist nicht Iran. Vom Westen aus wird der Blick gerne auf die modernen, Englisch sprechenden Bewohner Nord-Teherans gelenkt. Ganz nach dem Motto: Die im Iran tragen die gleiche Kleidung wie wir, die hören die gleiche Musik wie wir und wollen jetzt eben auch alle die gleichen Freiheiten wie wir.

Doch es gibt auch den Süden Teherans, es gibt auch die konservativen Schichten und das Land – auch wenn Iran ein stark urbanisierter Staat ist. Bislang hat sich der Protest nicht mit den Streiks der Basarhändler verbunden, Arbeiter und Bauern waren weniger Teil der Bewegung als Angehörige der Mittelschicht, Intellektuelle, Studenten und Künstler.

Akbar Ganji; Foto: DW
Der renommierte iranische Dissident und Journalist Akbar Ganji betont, dass auch die Wirtschaftssanktionen Europas und Amerikas eher dazu geführt hätten, dass sich die soziale Frage im Iran verschärft hat.

​​Die Bewegung kann erstarken, wenn sie sich auf breitere Bevölkerungsschichten ausweitet. Dazu müsste sie sicht beispielsweise noch stärker mit den reformorientierten Klerikern verbinden oder mehr wirtschaftliche Forderungen aufgreifen.

Der Soziologe und bekannte iranische Regimekritiker Akbar Ganji wies dagegen in einem kürzlich bei BBC Farsi veröffentlichten Artikel darauf hin, dass wachsende Arbeitslosigkeit und Armut keinen Aufstand bewirkten, sondern eher dazu führten, dass hinter dem täglichen Überlebenskampf Begriffe wie Demokratie und Freiheit als "Luxusgüter" zurückträten. Auch die Wirtschaftssanktionen Europas und Amerikas hätten eher dazu geführt, dass sich die soziale Frage im Iran verschärft hat.

Langer Atem und klare Strategien

Die hohe Zahl an gebildeten iranischen Exildenkern wie Jahanbegloo und Ganji, wie sie übrigens keiner der arabischen Staaten hat, bleibt für die grüne Bewegung ein wichtiger Ideenlieferant. Doch von ihnen können nur Impulse ausgehen.

Ägypten hat gezeigt, dass Blogs zwar eine große Rolle in der Mobilisierung spielen. Aber die entscheidenden Kämpfe müssen auf den Straßen stattfinden. Dafür braucht die Bewegung einen langen Atem und klare Strategien, um sich zu organisieren und Widerstand zu leisten – zum Beispiel durch zivilen Ungehorsam, einem "iranischen Tahrir".

Es ist auf mittel- und langfristige Sicht unmöglich, zu unterdrücken, was im Iran 2009 geweckt wurde. Wenn der Protest wieder Fahrtwind aufnimmt, so können diesmal auch die Ägypter in Kairo ihre Solidarität mit den Iranern zeigen.

Marian Brehmer

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de