Interview mit Udo Steinbach: Naher Osten blockiert durch Despotie und Islamismus

Der Islamwissenschaftler und Nahostexperte Udo Steinbach leitete mehr als 30 Jahre lang das Deutsche Orient-Institut in Hamburg. Als Buchautor und häufiger Talkshowgast hat er die jüngsten Ereignisse in der islamischen Welt analysiert und zieht ein pessimistisches Fazit.

Herr Professor Steinbach, seit Anfang der 1970er Jahre verfolgen Sie das Geschehen im Nahen und Mittleren Osten. Was ist Ihre Bilanz?

Udo Steinbach: Die Entwicklung der letzten 40 Jahre zwischen Nordafrika und Afghanistan kann man nur als katastrophal bezeichnen. Als junger Wissenschaftler glaubte ich, die islamische Welt sei auf dem Weg zu Demokratie, Menschenrechten und Fortschritt. Auch die iranische Revolution 1979 erschien mir anfangs als ein erster Schritt in Richtung Emanzipation. Doch der Versuch eines eigenen Entwicklungskonzepts geriet in diesen Ländern immer stärker in den Sog eines engstirnigen, fundamentalistischen Islam. Die liberalen Kräfte wurden überall unterdrückt. Das empfinde ich auch persönlich als Enttäuschung.

Westliche Medien bejubelten den "Arabischen Frühling" 2011 als großen demokratischen Aufbruch. Ein naiver Irrtum?

Steinbach: Ich gehörte selbst zu denen, die damals wieder Hoffnung schöpften, weil die Bewegung aus dem Volk kam. Die Menschen riefen ja nicht nach Scharia und Gottesstaat, sondern nach Demokratie, Verfassung und Würde. Erst als daraus nichts wurde, weil die alten Eliten an der Macht festhielten, setzten sich Islamisten und Dschihadisten an die Spitze der Rebellion wie in Ägypten und Syrien. Doch der politische Islam hat nur Scheinlösungen anzubieten. Die großen Probleme der orientalischen Gesellschaften wie Unfreiheit, despotische Herrschaft, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit wird er nicht bewältigen. Die arabische Entwicklung seit 2011 steckt erst einmal in der Sackgasse.

Auch Despoten wie der ägyptische Präsident Al-Sisi geben sich einen betont islamischen Anstrich, um ihre Macht zu legitimieren. Würden Sie sagen, der Islam selbst ist das größte Hindernis auf dem Weg zu Freiheit und Wohlstand?

Steinbach: So weit würde ich nicht gehen. Die Demonstranten von 2011, die nach Demokratie und Bürgerrechten riefen, empfanden sich ja selbst als gläubige Muslime - wie die allermeisten Menschen im Nahen und Mittleren Osten. Muslime können in vielen Staatsformen leben, und viele sehnen sich heute nach einer pluralistischen Demokratie. Nein, das Problem dieser Länder ist nicht der Islam an sich, wie ihn die Masse der Menschen lebt, sondern ein politisierender radikaler Islam einerseits und autoritäre Herrschaft andererseits. Die agieren mal miteinander, mal gegeneinander - aber es fehlt eine starke, reformorientierte Mitte.

Gerade liberale Kräfte werfen dem Westen vor, er lasse sie im Stich und habe viel zur Krise der islamischen Welt beigetragen.

Steinbach: Die USA haben seit Jahrzehnten mit ihrem rücksichtlosen Kurs für die eigenen Machtinteressen den Widerstand gegen eine westlich orientierte Entwicklung in der Region regelrecht provoziert. Das schlimmste Beispiel ist der Irak, wo ich gerade war. Es war sehr deprimierend. Die US-Intervention 2003 hat die Gesellschaft und Wirtschaft des Landes tiefgreifend zerstört und nichts zur demokratischen Entwicklung beigetragen. Stattdessen erzeugte sie den Dschihadismus gegen die "Kreuzritter". Keiner glaubt an das Parlament, überall herrschen Korruption und Gruppeninteressen, und der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten lähmt das Land. Iran und Saudi-Arabien als Verbündeter der USA mischen da kräftig mit.

Im Syrien-Krieg scheint das Spiel für Washington so gut wie gelaufen. Präsident Assad dürfte sich halten. Welche Zukunft sehen Sie für das Land?

Steinbach: Ich fürchte, von einer Lösung der Machtfrage in Damaskus sind wir weit entfernt, und der Konflikt wird noch weitergehen. Im Moment sieht es nicht danach aus, dass die USA sich mit einem Prestigegewinn von Assads Verbündeten Russland und dem Iran abfinden wollen. Wenn Trump tatsächlich den Iran ins Visier nimmt, wird der Krieg eher eskalieren. Obendrein verfolgen die Türkei und Israel ihre Interessen in Syrien. Den Türken geht es bei ihrer Militärintervention nicht nur um die Schwächung der kurdischen Nationalbewegung, sondern um eine "osmanische Agenda" - sie streben massiv nach Einfluss in den arabischen Regionen ihres einstigen Großreichs, jetzt wo das Projekt EU-Mitgliedschaft gescheitert ist. 

Israel schlägt derweil auf die Palästinenser ein und will den iranischen Einfluss um jeden Preis, so scheint es, eliminieren. Warum sucht es seine Sicherheit nicht endlich in einer Lösung des Nahostkonflikts?

Steinbach: Dazu fehlt derzeit der politische Wille. Die Regierung Netanjahu will letztlich keine Zwei-Staaten-Lösung, sondern eine Art Großisrael, den alten zionistischen Traum. Deshalb treibt sie den Siedlungsbau auf palästinensischem Gebiet immer weiter voran. Solange gesiedelt wird, kann es keine Zwei-Staaten-Lösung geben. Und eine Ein-Staaten-Lösung wird noch schwieriger umzusetzen sein. Der Schwarze Peter liegt nicht wie früher bei den Arabern, sondern bei den Israelis. Inzwischen wäre ja selbst Saudi-Arabien bereit, das Land anzuerkennen - vorausgesetzt, es stimmt einer fairen Gebietsabtrennung zu. Ein solches Abkommen würde Israelhassern wie Hisbollah und Hamas viel Wind aus den Segeln nehmen.

Deutschland ist von den Konflikten der Region durch die vielen Flüchtlinge unmittelbar betroffen. Was bedeutet das für die Beziehungen zur islamischen Welt?

Steinbach: Bei allen Problemen der Integration: Die Aufnahme dieser Menschen wird Deutschland in den arabischen Ländern ganz hoch angerechnet. Wann immer ich mit Politikern aus der Region rede, kommt die Willkommensgeste der Deutschen und Angela Merkels lobend zur Sprache. Da wirkt auch immer noch das alte positive Image von Deutschland als Freund des Islam mit, das seit der Kaiserzeit existiert. Berlin könnte vor diesem Hintergrund eine starke politische Rolle in der Region spielen, gerade bei der Friedensvermittlung. Derzeit überlassen die Deutschen das Feld lieber anderen. (KNA)