Ein Krieg, der kein Ende findet

Solange die Truppen des syrischen Diktators Assad als auch die Rebellen davon überzeugt sind, den mörderischen Kampf in Syrien doch noch für sich zu entscheiden, wird der Konflikt weiter anhalten, meint der britische Nahostexperte Robert Fisk im Gespräch mit Michael Hartlep.

Von Michael Hartlep

Herr Fisk, Sie sind gerade aus Syrien zurückgekehrt. Wie haben Sie die Lage im Land erlebt?

Robert Fisk: In Syrien spielt sich eine Tragödie ab, die alle Syrer gleichermaßen trifft. Große Teile des Landes sind zerstört und entvölkert. Die Wirtschaft liegt am Boden. Man hört ständig Artilleriefeuer. Andere Gebiete sind komplett unbeschädigt, dort geht das Leben normal weiter. Die Leute gehen in die Cafés und Geschäfte. So ist es zum Beispiel in Damaskus, Latakia und Tartus, wo die Regierung die Kontrolle hat.

Wie frei konnten sie sich als westlicher Berichterstatter in Syrien bewegen?

Ich bin mit dem Auto von Beirut nach Damaskus gefahren. Die syrische Armee hat entlang der Strecke Checkpoints erreichtet, aber man kommt gut durch. Wenn man nach Damaskus hinein fährt, hört man das Geschützfeuer aus Daraya. Der Vorort ist in der Hand der Rebellen. Dort sind wir hingefahren und haben gesehen, wie ein Flugzeug Bomben abgeworfen hat. Von Damaskus bin ich in die Küstenstadt Latakia geflogen. Die syrische Regierung erlaubte mir, weiter zur Front zu fahren.

Welchen Eindruck hatten sie von den syrischen Regierungstruppen?

Fisk: Sie sind rücksichtslos und zu allem entschlossen. Sie erzählten mir, wie sie kürzlich 700 Terroristen getötet hätten. So nennen sie die Rebellen. Ein General zeigte mir ein Handy-Video mit unzähligen Leichen von Rebellen. Es ist ein Soldatenstiefel zu sehen, der den Leichen das Gesicht zertritt.
Viele der Soldaten waren schon mehrmals verwundet worden.

Zerstörte Häuser in der umkämpften Stadt Aleppo; Foto: picture alliance/dpa
Zerstörung, Chaos, menschliches Leid: Seit Beginn des Bürgerkrieges vor über zwei Jahren sind über 70.000 Menschen gestorben. Geschätzte 3,2 Millionen Menschen innerhalb von Syrien sind auf der Flucht.

​​Die sind sehr hart im Nehmen und skrupellos, genau wie die Rebellen. Beide Seiten haben grausame Menschrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen begangen. Der Krieg wird immer brutaler. Im Moment gewinnen die Regierungstruppen klar an Boden. Das kann sich aber schnell wieder ändern.

Es wird immer wieder diskutiert, ob in Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden.

Fisk: Klar ist, dass die syrische Regierung über Chemiewaffen verfügt. Aber es gibt keine Beweise, dass sie eingesetzt wurden, wie es die Rebellen behaupten. Ich habe die gleiche Frage einem ranghohen Offizier in Damaskus gestellt. Er sagte: Warum sollten wir Chemiewaffen einsetzen? Wir haben Flugzeuge, die Bomben sind viel effektiver! Aber bei diesem Punkt spielt auf allen Seiten Propaganda eine große Rolle.
 

In Washington wird immer wieder über Waffenlieferungen an Rebellen und eine Flugverbotszone nachgedacht. Was halten sie von solchen Ideen?

Fisk: Darüber wird schon seit zweieinhalb Jahren diskutiert. Die Amerikaner denken, solange sie Gespräche führen, wird schon keiner merken, dass sie eigentlich gar nichts tun. Der Westen würde gerne die Freie Syrische Armee unterstützen, die sich von den Regierungstruppen losgesagt hat. Aber sie wollen nicht den Islamisten unter den Rebellen helfen.

Das Problem: Wenn die Waffen einmal über die Grenze sind, hat man keinerlei Einfluss mehr darauf, wer sie bekommt. So entsteht eine absurde Situation: In Syrien unterstützen wir die Rebellen, die zum Teil Verbindungen zu Al-Qaida haben - zu der gleichen Organisation, die wir in Mali bekämpfen.

Welche Rolle spielt der Iran in diesem Konflikt?

Fisk: Eine sehr große. Denn eigentlich geht es in diesem Krieg nicht um Syrien, sondern um den Iran. Der Westen möchte den einzigen arabischen Verbündeten Irans vernichten und den Iran isolieren. Die Iraner wollen das verhindern. Der Iran berät deshalb die syrische Regierung. Aber insgesamt ist die Hilfe eher symbolisch. Von den tausenden Kämpfern, von denen in der iranischen Propaganda die Rede war, habe ich nichts gesehen.

Ein Kämpfer der Rebellen im Zentrum von Aleppo im August 2012, ©Reuters
Ein Krieg, der kein Ende findet: Solange Rebellen und Regierungstruppen davon überzeugt sind, den Krieg in Syrien für sich zu entscheiden, ist ein Ende des Konflikts nicht in Sicht, meint Robert Fisk.

​​Laut Medienberichten will Russland der syrischen Regierung Waffen liefern.
Die Israelis haben Anfang des Monats angebliche Waffentransporte der syrischen Regierung bombardiert. Die Syrer fürchten nun, dass weitere Angriffe folgen. Das wollen sie verhindern, und die Russen sind sehr daran interessiert, die dazu nötigen Waffen zu liefern.

Besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt auf Israel ausweitet?

Fisk: Israel ist der engste Verbündete der USA im Nahen Osten. Wenn sie die syrischen Regierungstruppen bombardieren, unterstützen sie de facto die Rebellen. Letzten Endes ist der Westen also schon Teil des Konflikts, weil wir es Israel erlauben, Bomben in Syrien abzuwerfen. Aber es gibt viele Gründe für Israel, sich nicht in Syrien einzumischen. Die syrische Armee hat erfolgreich die Korruption bekämpft und ist sehr kampferfahren. Israel hätte es mit einem sehr entschlossenen Gegner zu tun.

Wie geht es Ihrer Meinung nach weiter in Syrien?

Fisk: Ich denke, dass der Krieg wahrscheinlich noch die nächsten zwei oder drei Jahre andauern wird. Das Tragische ist: Beide Seiten denken noch immer, sie könnten gewinnen. Und solange das so ist, findet der Krieg kein Ende. Wir brauchen mehr Diplomatie. Eine gemeinsame Friedenskonferenz zusammen mit den Russen und den US-Amerikanern ist bislang der beste Vorschlag.

Aber die Amerikaner und die Franzosen wollen weder Assads Leute noch die Islamisten in einer Übergangsregierung. Sie planen also eine Konferenz und sagen erst mal, wer alles nicht dabei sein soll. Wir sind also wieder ganz am Anfang.

Interview: Michael Hartlep

© Deutsche Welle 2013

Robert Fisk (66) ist Autor und Nahostkorrespondent der britischen Zeitung "The Independent". Seit mehr als 30 Jahren berichtet er aus den Krisenregionen der Welt, unter anderem vom Bürgerkrieg in Nordirland, der Nelkenrevolution in Portugal und dem Krieg in Afghanistan. Seit 1976 begleitet er von Beirut aus das Geschehen im Nahen Osten. Fisk spricht Arabisch und ist einer der wenigen westlichen Journalisten, die Interviews mit Osama bin Laden geführt haben. Er hat zahlreiche Journalistenpreise gewonnen.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de