''Nicht unsere Welt''

Der Film "A World Not Ours" des dänisch-palästinensischen Regisseurs Mahdi Fleifel zeigt den Alltag der Palästinenser in einem Flüchtlingslager im Südlibanon. Dafür wurde er mit dem 28. Friedensfilmpreis der Berlinale geehrt. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die den Preis seit 20 Jahren fördert, distanziert sich inzwischen vom Preisträger. Igal Avidan sprach mit Mahdi Fleifel auf der Berlinale.

Von Igal Avidan

Für den Dokumentarfilm "A World not Ours" besuchte der dänisch-palästinensische Regisseur Mahdi Fleifel über mehrere Jahre das Flüchtlingslager Ein el-Hilweh im Südlibanon, aus dem seine Familie stammt und in dem seine Verwandten und Freunde heute noch leben. Fleifel zeigt die Aussichtslosigkeit in diesem 1948 als Provisorium entstandenen Camp, in dem 70.000 Menschen auf einem Quadratkilometer leben, von der libanesischen Armee umzingelt. Den Film durchzieht viel Humor, Selbstreflexion, Musik aus Woody Allen-Filmen und ein WM-Fieber, das alle vier Jahre Kinder und Jugendliche ergreift. Er macht deutlich, dass die Flüchtlinge noch da sind, auch wenn sie aus den Schlagzeilen verschwunden sind.

Ihr Film beginnt mit Videoaufnahmen, die Ihr Vater im Flüchtlingslager Ein al-Hilweh gedreht hat. Sie sind ihm gefolgt und haben 12 Jahre im Flüchtlingscamp gedreht. Warum?

Mahdi Fleifel: Ich wollte diesen Ort dokumentieren, vor allem, weil niemand davon je gehört hat, meine Freunde in Dänemark jedenfalls nicht. Für mich war das komisch, weil ich an diesem Ort wunderbare Sommerurlaube verbracht und eine sehr glückliche Kindheit erlebt habe. Daher fühlte ich den Drang, meine Erfahrungen mit der Welt zu teilen und ihr meine Familie und Freunde aus dem Flüchtlingslager vorzustellen.

Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, weil Sie als dänischer Staatsbürger ein- und ausgehen können, während die anderen, vor allem ihr Freund Abu Iyad, im Camp festsitzen?

Mahdi Fleifel: Natürlich. Ich war privilegiert und mit den Privilegien kommt auch ein Verantwortungsgefühl. Ich bin sicherlich derjenige, der diese Geschichte erzählen kann, wer sonst? Wenn ich den Menschen dort nur den Rücken zukehren würde, könnte ich mit mir nicht im Reinen leben. Seitdem ich den Film gemacht habe, fühle ich mich aber nicht mehr schuldig.

Sie lebten als Kind in diesem Flüchtlingslager, aber hatten wohl andauernd Probleme hineinzukommen. Warum?

Mahdi Fleifel: Anfang der 1990er Jahren mussten alle Palästinenser in den libanesischen Camps ihre Waffen an die libanesische Armee übergeben, die seitdem diese Lager kontrollieren. Daraufhin entdeckten die Soldaten, dass sie die Palästinenser herumkommandieren können. Der Gang durch die Checkpoints der libanesischen Armee ist furchtbar. Denn mein einziger palästinensischer Ausweis stammt aus dem Jahre 1983, als ich drei Jahre alt war und ist längst abgelaufen. Die Soldaten verlangen aktuellere Dokumente. Aufgrund meines dänischen Passes sehen sich mich als einen Fremden, der eine Sicherheitszone betreten will. Ich muss sie überzeugen, dass mein Großvater im Camp lebt, meine Freunde und Tanten, die ich unbedingt besuchen muss. Oft verstanden sie das nicht, so dass ich eine Sondererlaubnis vorlegen musste.

Die Soldaten betrachten das Camp nicht als Teil Ihres Zuhauses?

Mahdi Fleifel: Nein, das gehört wohl zum Leben eines Exilanten.

Ist das Camp immer noch nach den ursprünglichen Dörfern aufgeteilt, aus denen die Flüchtlinge 1948 kamen?

Mahdi Fleifel: Exakt. Die Menschen ließen sich in Stadtteilen innerhalb des Camps, die nach ihren Heimatorten benannt waren, nieder. Die größte Gemeinde, in der auch meine Familie wohnt, stammt aus Saffourieh. Sie nennen daher Saffourieh die Hauptstadt Ein al-Hilwehs.

Ausschnitt aus dem Film 'A World not Ours' von Mahdi Fleifel; Copyright: www.berlinale.de
In "A World Not Ours" dokumentiert der palästinensisch-dänische Regisseur Mahdi Fleifel das Leben dreier Generationen in Ein el-Hilweh, einem palästinensischen Flüchtlingslager im Süd-Libanon, dessen 70.000 Bewohner seit über 60 Jahren auf die Rückkehr in ihre Heimat warten.

​​Nach der Aufführung wurde Ihr Freund Abu Iyad vom Berliner Publikum herzlich begrüßt. Er hat der Fatah-Führung offen Korruption vorgeworfen. Kann die Aufführung des Films in einem arabischen Land ihn gefährden?

Mahdi Fleifel: Sicherlich kann der Film nicht im Libanon gezeigt werden, weil er auch dort lebt. Das würde ihm und mir sehr schaden, obwohl ich mir wünsche, dass diese im Libanon dringend benötigte Debatte endlich statt findet.

Was von seinen Aussagen würde die Palästinenser im Libanon am meisten ärgern?

Mahdi Fleifel: Seine Attacken gegen die PLO, die Fatah und seine Kritik daran, wie die libanesische Regierung mit den Palästinensern umgeht. Er sagt auch, er wolle nicht zurückkehren, aber viele Menschen könnten dies missverstehen, als ob er ihr Rückkehrrecht leugnen würde. Das ist aber nicht der Fall. Der Film würde daher im Libanon wohl eine Debatte auslösen. Aber Abu Iyad ist sehr froh und stolz, dass er durch seinen Mut, dies auszusprechen, den Menschen den Zugang zu seiner Welt ermöglicht hat.

Wie gestaltet sich die Benachteiligung der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon?

Mahdi Fleifel: Sie dürfen 72 Berufe nicht ausüben, zum Beispiel Arzt sein, Rechtsanwalt oder Beamter. Weder die Christen noch die Drusen wollen sie als Staatsbürger. Denn nur so kann man diese große sunnitische Bevölkerung aus dem Machtspiel im Libanon heraushalten. Daher sagen die Libanesen, sie würden ihnen helfen, ihr Rückkehrrecht in ihre Heimat zu bewahren, indem man sie nicht einbürgert, so dass sie sich nicht assimilieren und die Rückkehr vergessen.

In einer Szene zeigen Sie Ihren Besuch in Israel, auch in Yad Vashem. Wie fühlten Sie sich dort?

Mahdi Fleifel: Es war sehr merkwürdig. Ich hatte das Glück, zusammen mit meiner dänischen Klasse im Gymnasium zu reisen. Wir wurden von einem israelischen Gymnasium empfangen, so dass mir der Albtraum der israelischen Checkpoints erspart geblieben ist, zumal ich weder das Westjordanland noch Gaza besuchte. Ich war jung, als ich diesen Ort besuchte, der während meiner ganzen Kindheit als mein Zuhause galt und woher meine Großeltern stammen. Nun aber fühlte ich mich wie ein Gast, ein Außenseiter, der von anderen in sein eigenes Haus willkommen geheißen wird. Es ist ein seltsames Gefühl, das ich bis heute nicht verstehe.

Haben Sie irgendwelche Reste des Dorfes Saffourieh gefunden, das Ihre Familie 1948 verließ?

Mahdi Fleifel: Der einzige 'archäologischen Rest' war eine umzäunte Ruine, in dem mein Großvater einst seine Schafe beherbergt hatte.

Mahdi Fleifel als Preisträger des Friedensfilmpreises der Berlinale 2013; Foto: dpa
"Religion ist eine private Angelegenheit, die man zu Hause oder in der Gemeinde praktiziert. Ich sehe keinen Sinn darin, dass Juden in den Nahen Osten ziehen, um ein Land mit biblischen Ansprüchen zu kolonisieren, weil sie behaupten, ihre Vorfahren hätten dort einst gelebt. Eine Nation kann nicht auf Religion basieren", bekundet Mahdi Fleifel.

​​In Ihrem Film erwähnen Sie zweimal eine Aussage David Ben Gurions über die palästinensischen Flüchtlinge, wonach "die Alten sterben und die Jungen vergessen" würden.

Mahdi Fleifel: Dieser Satz ist totaler Unsinn. Bis heute noch leben die Israelis mit der Selbsttäuschung, dass all diese verrückten Araber sie vernichten wollten und sie verstünden nicht weshalb. Das ist unwahr. Diese israelische Nation entstand in Folge einer systematischen ethnischen Säuberung, und solange sie das nicht anerkennen, je schneller desto besser, wird es niemals Frieden geben. Die Israelis reden andauernd darüber, dass sie Frieden wollen, wollen aber nicht wahrhaben, dass sie der Urbevölkerung Schaden zugefügt haben.

Palästinenser haben verschiedene Meinungen über die Realisierung des Rückkehrrechtes. Welche Ansichten haben Sie von Flüchtlingen gehört und was ist Ihre Position?

Mahdi Fleifel: Es ist unser Recht, in dieses Land zurückzukehren, keine Frage. Die UN hat sogar ein entsprechendes Gesetz verabschiedet (Resolution 194, wonach "Flüchtlinge, die in ihre Häuser zurückkehren möchten und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, sobald wie möglich diese Erlaubnis bekommen sollten", Anm. d. Red.), das nur Israel und seine Verbündete ablehnen.

Im Film sagt Abu Iyad aus Erschöpfung und Frust, dass er nicht zurückkehren wolle. Er will eine Zukunft haben. Aber wenn jemand ihm eine Fahrkarte nach Saffourieh geben würde, so wie Juden nach Israel auswandern dürfen und dort jegliche Integrationshilfe bekommen, würden weder er noch irgendein Palästinenser die Rückkehr nach Palästina verweigern. Warum sollten sie?

Vielleicht weil sie nicht als eine Minderheit in einem mehrheitlich jüdischen Staat leben wollen. Nach einer Umfrage des "Palestinian Center for Policy and Survey Research" von 2003 unter 4.500 Flüchtlingen aus Jordanien, dem Libanon und den besetzten Gebieten wollten nur 10% der Befragten in einen jüdischen Staat zurückkehren. Die allermeisten wollten in einem Palästinenserstaat leben.

Mahdi Fleifel: Das ist klar, aber die ganze Idee eines jüdischen Staates ist lächerlich. Warum sollte ein Staat auf irgendeiner Art von Religion basieren? Gott ist doch kein Immobilienmakler, der Länder nach der Religion verteilt, sondern die Religion ist eine private Angelegenheit, die man zu Hause oder in der Gemeinde praktiziert. Eine Nation kann nicht auf Religion basieren.

Aber warum soll nicht ein Staat Palästina Heimat der palästinensischen Flüchtlinge werden, die in ihre Nation statt in ihre ursprünglichen Dörfer zurückkehren würden?

Mahdi Fleifel: Ich weiß nicht, wie man einen solchen Staat mit zwei Millionen Menschen in einem riesigen Freiluft-Ghetto in Gaza gründen kann. Zudem stammen die meisten Wasserquellen Israels aus dem Westjordanland. Würden die Israelis den Palästinensern einen Staat geben, aber ihr Wasser weiter kontrollieren?

 

Interview: Igal Avidan

© Qantara.de 2013

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de