Interview mit Iraks Ministerpräsident Al-Abadi: «Zeit für Sieg gegen IS ist gekommen»

Haidar al-Abadi ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden: Als Iraks Regierungschef ist er für den Kampf gegen den IS verantwortlich. Dabei brechen dem Staat gerade massiv die Öleinnahmen weg. Mit ihm sprachen Jan Kuhlmann und Hans Dahne

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) - auf Arabisch auch Daesh genannt - kontrolliert große Teile des Iraks. Doch zuletzt konnte die Armee die Provinzhauptstadt Ramadi wieder einnehmen. Als nächstes will sie die IS-Hochburg Mossul im Norden des Landes zurückerobern. Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi zeigt sich optimistisch.

Sie haben sich letzte Woche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin getroffen. Sind Sie zufrieden mit dem Treffen?

Haidar al-Abadi: Sehr zufrieden. Sie hat eine sehr positive Unterstützung für den Irak gezeigt. Es gibt natürlich noch viele Probleme in der Region, die auf den Irak selbst ausstrahlen. Aber der Fortschritt, den wir am Boden gemacht haben, ist sehr wichtig. In diesem Jahr ist die Zeit gekommen, in der wir Daesh im Irak militärisch ein Ende setzen. Dabei benötigen wir jede erdenkliche Unterstützung.

Nach dem Treffen mit Merkel haben Sie gesagt, es laufe die letzte Phase, das ganze Land vom IS zu befreien. Werden wir in diesem Jahr die Befreiung der IS-Hochburg Mossul und des Irak erleben?

Al-Abadi: Das ist das, was wir vorhaben. Wir haben mit unseren Plänen in der vergangenen Woche begonnen und unsere ersten Kräfte nach Mossul entsandt. Sie sind jetzt dort. Wir planen, wahrscheinlich im nächsten Monat, eine volle militärische Operation zu starten, um die Stadt wiedereinzunehmen. Ein Feldzug hat bereits begonnen. In der vergangenen Woche haben wir einige Orte zurückerobert.

Es hat lange gedauert, Ramadi zurückzuerobern. Mossul ist eine Millionenstadt. Woher kommt ihr Optimismus, dass sie in diesem Jahr vom IS befreit werden kann?

Al-Abadi: Daesh ist noch immer in Mossul und kontrolliert noch immer die Grenze zwischen uns und Syrien. Die Kämpfer kommen aus der Türkei nach Syrien und aus Syrien in den Irak. Sie schmuggeln noch immer Öl. Aber wir haben in der Schlacht um Ramadi und in anderen Schlachten erlebt, dass Daesh unseren Kämpfern nicht die Stirn bieten konnte. Ihr Widerstand ist zusammengebrochen, obwohl sie sehr hart gekämpft haben. Sie waren nicht erfolgreich. Es gibt ein neues Selbstvertrauen in unsere militärischen Kräfte. Wir sind einen langen Weg gegangen und jetzt dabei, unser Ziel zu erreichen.

Was wünschen Sie sich von Deutschland?

Al-Abadi: Wir haben Deutschland um Training und Ausrüstung gebeten, um Sprengsätze zu beseitigen. Diese behindern unsere humanitären Bemühungen, die Menschen zurück in die befreiten Städte zu bringen. Wir brauchen da eine große Anstrengung. Deutschland hat die Expertise und die Ausrüstung. Sie sind darin sehr gut. Andere Länder bilden die Polizei aus. Wenn Deutschland die Polizei trainieren kann, dann werde ich das sehr willkommen heißen.

Der IS ist auch das Ergebnis dessen, dass sich viele Sunniten im Irak nicht mehr von der Regierung vertreten fühlen. Sie fühlen sich von einer von Schiiten dominierten Regierung diskriminiert. Wie möchten Sie sie zurückgewinnen?

Al-Abadi: Wir reichen anderen die Hand und beziehen sie mit ein. Die Popularität der Regierung ist unter der sunnitischen Bevölkerung größer als die Popularität vieler sunnitischer Führer. In der ganzen Region Konfessionalismus, nicht nur im Irak. Und jeder nutzt ihn für sich selbst. Saudi-Arabien und die Türkei sind auf der einen Seite. Sie konkurrieren mit dem Iran um die regionale Kontrolle. Sie nutzen Konfessionalismus für ihre Ziele. Das kostet unsere Leben und macht unsere Aufgabe viel, viel schwieriger. Wenn der Konfessionalismus zunimmt, wird Daesh mehr Menschen rekrutieren.

Welche Auswirkung hat der syrische Bürgerkrieg?

Al-Abadi: Syrien ist ein großer Stachel in unserem Kampf. Wir müssen eine politische Lösung finden. Dazu gibt es in Syrien keine Alternative. Wir müssen darauf dringen. Eine politische Lösung in Syrien will alle zusammenbringen im Kampf gegen einen Feind, das ist der Terrorismus, das ist Daesh.

Was bedeuten die niedrigen Ölpreise für den Irak?

Al-Abadi: 2015 sind unsere Öleinnahmen auf ein Drittel des Niveaus gesunken, das wir vor zwei Jahren hatten. In diesem Jahr sind es 15 Prozent von dem, was es früher war. Das ist ein enormer Rückgang, besonders vor dem Hintergrund, dass sich unser Budget zu 90 Prozent auf das Öl stützt. Das ist eine Herausforderung für uns, weil wir den Krieg führen müssen. Und wir müssen den Menschen etwas liefern. Wir haben ein sehr großes Programm, um die Wirtschaft und den Staat zu reformieren. Das ist jetzt die Zeit, um es zu machen. Es kann schmerzhaft sein. Deshalb brauchen wir die Unterstützung der G7. Wir sind bereit, harte Maßnahmen zu treffen.

Die Flüchtlingskrise ist ein großes Problem für Ihr Land und für andere Länder wie Deutschland. Was können Sie tun, damit die Menschen das Land nicht verlassen?

Al-Abadi: Wir müssen in die Lage versetzt werden, die Leute sehr schnell in die befreiten Städte zurückbringen zu können, indem wir die Gebiete stabilisieren. Andere Menschen sind noch immer in Flüchtlingslagern. Unser Problem ist, dass unsere Unterstützung wegen der Ölpreise drastisch zurückgegangen ist. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum viele gehen wollen. Wenn man ihnen genug Unterstützung im Irak gibt, wie Schulunterricht oder medizinische Versorgung, wenn man das Problem an der Wurzeln anpackt, dann wird es weniger Anreiz für die Menschen geben zu gehen. Und es gibt kriminelle Banden, die ihre Hände nach Zivilisten ausstrecken. Das ist wie ein globales Netzwerk von Menschenschmugglern. Das muss angegangen werden.

Wie sehen Sie Europas Rolle im Kampf gegen die Menschenschmuggler?

Al-Abadi: Jeder bekämpft sie nur mit seinen eigenen Mitteln. Aber es muss eine konzertierte Aktion geben. Ich kann keine konzertierte Aktion sehen. Ich kann interne Streitigkeiten zwischen den europäischen Ländern sehen darüber, wer für die Flüchtlinge verantwortlich ist. Jeder versucht, das Problem an den anderen abzuwälzen. (dpa)

Der Schiit Haidar al-Abadi steht seit 2014 an der Spitze der irakischen Regierung. Der 63 Jahre alte studierte Elektroingenieur lebte lange in England und kehrte erst nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im Jahr 2003 zurück. Im Kampf gegen den IS und die weit verbreitete Korruption bemüht er sich um Reformen, stößt aber auf massive Widerstände im Land.