"Wir brauchen eine neue Revolution!''

George Ishak, ägyptischer Demokratieaktivist und Gründervater der populären "Kifaya"-Protestbewegung gegen Mubarak, ist zuversichtlich, dass sich die Bevölkerung gegen die Bevormundung durch das Militär letztlich doch durchsetzen wird. Mit ihm sprach Joseph Mayton

Von Joseph Mayton

Sie waren einer der renommierten Anführer der Protestbewegungen der vergangenen Jahre, die sich für einen demokratischen Wandel in Ägypten eingesetzt haben. Glauben Sie, dass die Herrschaft des Militärs sich von der Diktatur Mubaraks wirklich substanziell unterscheidet?

George Ishak: Sicher gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen beiden Systemen. Beide versuchen, die Menschen dazu zu zwingen, sich ihnen bedingungslos zu fügen. Doch die Bevölkerung weiß es besser. Wir erleben eine Revolution. Und auch das Militär schafft es nicht länger, die Ägypter zum Schweigen zu bringen. Wie schon unter Mubarak so sperren auch die Militärs Menschen ein und haben bereits Hunderte getötet. Ursprünglich wollten sie nur sechs Monate an der Macht bleiben – inzwischen ist ein Jahr vergangen und noch immer kleben sie an der Macht.

Sie glauben also, dass das Militär auch in Zukunft an seiner Macht festhalten will?

Ishak: Absolut. Sie wollen das Land weiterhin kontrollieren. Darum haben sie letztes Jahr die Macht an sich gerissen. Sie sind kein Teil der Revolution, sie profitieren nur von ihr.

Aber das Militär behauptet, die Revolution schützen zu wollen. Auch wurden mittlerweile Parlamentswahlen durchgeführt. Das sind doch an sich recht positive Signale...

Ishak: Aber wessen Wahlen waren das? Am ersten Tag der Wahlen bestatteten meine Kollegen ihre Freunde und Familienangehörigen von der Mohammed Mahmud-Straße, wo es die blutigen Ausschreitungen gegeben hatte. Dies ist das Land, das das Militär haben will.

Chef des Militärrates, Hussein Tantawi, Foto: Reuters
Der Oberste Militärrat unter Feldmarschall Tantawi steht bei den Anhängern der Demokratiebewegung in der Kritik, die politische Macht an sich gerissen zu haben und eine demokratische Transition Ägyptens zu blockieren.

​​Sie wollen, dass die islamistischen Gruppen und Parteien gewinnen, damit sie dann den USA und dem Westen sagen können: 'Wir müssen an der Macht bleiben, um das Land zu schützen.' Es sind Politiker. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten Mitglieder des Militärrats Teil der ehemaligen Regierung waren.

Was kann denn Ihrer Meinung nach getan werden, um die Revolution weiter am Leben zu erhalten und damit die Veränderungen zu erreichen, für die die Demonstranten im letzten Jahr 18 Tage lang gekämpft haben?

Ishak: Wir brauchen eine neue Revolution. Und das ist es, was sich nach dem 25. Januar wiederholen könnte. Die Menschen, mit denen ich spreche, sind sehr erbost über das Militär. Noch im vergangenen Jahr habe kein schlechtes Wort über sie gehört – heute allerdings fast überall. Viele Ägypter beschuldigen die Demonstranten bei weitem nicht in dem Maße wie den Militärrat.

Das Töten von Protestierenden hat dem Ruf der Armee massiv geschadet. Wir sind ein sehr friedliebendes Volk und finden es schrecklich, mitansehen zu müssen, wie Menschen getötet werden. Als das Militär im letzten November Leichen auf dem Tahrir-Platz ablud, bedeutete das wohl den Anfang vom Ende für sie. Wir werden daher gegen die Bevormundung durch das Militär weiterkämpfen. Und ich bin davon überzeugt, dass - genau wie im Fall Mubarak - auch dieses Mal das Volk siegen wird.

Setzen Sie dabei auf den Druck der Straße oder gibt es Ihrer Ansicht nach auch andere Formen des Protests gegen das Militär?

Ishak: Mit Sicherheit müssen viel mehr Menschen mobilisiert werden. Wenn es sich nur um kleine Gruppen von Protestierenden handelt, gelingt es den Sicherheitskräften und der Polizei verhältnismäßig leicht, sie mit Gewalt vom Tahrir-Platz zu vertreiben. Sind es aber Zehntausende, die auf die Straßen gehen, wird ihnen das gewiss nicht gelingen.

Deshalb müssen die Menschen erneut massenhaft den Tahrir-Platz besetzen, wobei sie sich nicht in die Seitenstraßen abdrängen lassen dürfen. Wir müssen die Welt wissen lassen, dass wir das Militär nicht wollen, da es an seiner Macht festhält und niemand sonst.

Demonstranten vor der Mugamma am Tahrir-Platz; Foto: Amr S. El-Kady/DW
"Die Menschen müssen erneut massenhaft den Tahrir-Platz besetzen!"</em>: Trotz der militärischen Kontrolle über Ägypten, trotz der Gewalt und der Tötung von Protestierenden durch Sicherheitskräfte, ist George Ishak zuversichtlich, dass der demokratische Wille der Zivilbevölkerung schließlich obsiegen wird.

​​Es kann tun und lassen, was es will. Die Militärs verhaften Menschen nach Belieben, töten sie oder stellen sie vor ein Militärgericht. Das ist nicht hinnehmbar.

Abgesehen von der Auseinandersetzung mit dem Militär: Welche sozialen und ökonomischen Folgen hatte bisher der Aufstand für die Ägypter? Hat sich ihre Situation nicht dramatisch verschlechtert?

Ishak: Ja, schon. Die Menschen sind noch immer arm. Die Einkommen sind niedrig, Preise und Inflation steigen. Inzwischen ist auch das Benzin immer knapper geworden und die Regierung behauptet, ihr fehle angeblich das Geld. Ich habe gehört, dass Menschen sich aus Verzweiflung das Leben nehmen, weil sie keine Arbeit mehr finden und ihre Familien nicht mehr ernähren können. Ein schlimmer Zustand.

Doch auf der gesellschaftlichen Ebene sehe ich durchaus Veränderungen. Die Menschen sind heute viel mutiger als unter dem Mubarak-Regime und sprechen offen über die Probleme, die sie bedrängen. Das ist zweifelsohne eine positive Entwicklung. Aber wir müssen noch immer für unsere Rechte kämpfen und das bleibt schwierig, solange das Militär an der Macht bleibt.

Wie steht es um den Einfluss der islamistischen Gruppen, die nach den Wahlen die Mehrheit im ägyptischen Parlament stellen?

Ishak: Wenn wir eine wirkliche Demokratie haben wollen, sollte der Wahlerfolg der Islamisten kein wirkliches Problem darstellen, denn schließlich können wir sie ja auch wieder abwählen. Im Übrigen werden die Ägypter es den Islamisten auch nicht gestatten, ihnen ihre Freiheit zu nehmen. Unter Mubarak hatten wir bekanntlich keine. Daher wird es das Volk nicht zulassen, dass das noch einmal geschieht.

Aber zugegeben, diese erste Parlamentswahl war für uns eine schlechte. Die Protestgruppen und die Liberalen mussten sich schon sehr abmühen, sie hatten nur sehr wenig Zeit, sich richtig vorzubereiten. Doch mit der Zeit werden wir dazulernen. Und wenn in unserem Land auch eines Tages wieder die Menschenrechte mehr Beachtung finden und wir ein funktionierendes Rechtssystem haben, sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Es geht darum, die Dinge in Bewegung zu halten und einen Wandel herbeizuführen.

Interview: Joseph Mayton

© Qantara.de 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de