Interview mit dem katholischen Pfarrer von Gaza, Mario Da Silva

Mario Da Silva, katholischer Pfarrer von Gaza, berichtet im Interview mit Andrea Krogmann von sichtbaren Zeichen des Wiederaufbaus in der Region. Doch wegen der nach wie vor aussichtslosen Lage anderthalb Jahre nach dem letzten Krieg gehe die Abwanderung der christlichen Minderheit weiter.

Der Nahe Osten und das Heilige Land blicken auf ein Jahr voller Gewalt zurück. Wie ist die Situation in Gaza gegenwärtig?

Mario Da Silva: Das erste Jahr nach dem Krieg war sehr schwierig für uns. Vor allem war es ein Jahr ohne Arbeit, es gab keinen Wiederaufbau, alle waren mit dem Aufräumen beschäftigt. Inzwischen sind aber erste Wiederaufbauarbeiten zu sehen. Sie reichen nicht aus, aber es ist gut für uns. Gazas Christen waren von den Kriegsschäden zwar kaum direkt betroffen, aber wir freuen uns für unsere muslimischen Brüder.

Wie macht sich in Gaza der erstarkende islamische Extremismus bemerkbar?

Da Silva: An der Situation in Gaza ist nichts neu, hier gibt es seit sehr langer Zeit Extremismus. Wenn wir Christen uns durch die Straßen bewegen, spucken Menschen auf den Boden oder rufen hinter uns her. In den ersten drei Wochen nach Beginn der Messerangriffe in Jerusalem in diesem Herbst kamen freitags unzählige Kinder zu unserer Kirche und haben Steine geworfen. Das hat aufgehört, nachdem ich mit dem örtlichen Scheich gesprochen habe.

Wie hat sich Ihre Pfarrei seit dem Krieg im Sommer 2014 entwickelt?

Da Silva: Vor dem Krieg zählte unsere Pfarrei 170 Katholiken, heute sind es 130. Wer abgewandert ist, ging wegen des Kriegs und weil er der Situation hier so müde war. Es gibt Unzählige, die versuchen, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten. Viele von ihnen lieben Gaza, es ist ihre Heimat, aber sie sind erschöpft. Natürlich ist es besser für mich und für die Christenheit insgesamt, wenn sie hier bleiben. Aber ich verstehe ihre Gründe und kann ihnen nicht sagen, dass sie bleiben müssen. Das Leid und die Sorgen sind enorm. Es fehlt an den wesentlichen Dingen. Es gibt keine Freiheit, keine Arbeit.

Welche Herausforderungen kommen für die jungen Christen hinzu?

Da Silva: Unsere Gemeinde ist sehr klein. Es gibt mehr Frauen als Männer. Das macht es für die jüngeren sehr schwer, einen Partner zu finden. Viele versuchen, außerhalb zu heiraten, aber es kann Jahre dauern, bis sie eine Erlaubnis bekommen. Gegenwärtig warten drei junge Christinnen auf die Ausreiseerlaubnis, zwei nach Ramallah und eine nach Spanien.

Sie haben wiederholt die Ausreise-Problematik erwähnt. Wird es zu Weihnachten Genehmigungen für die Christen geben?

Da Silva: Bis jetzt wissen wir nicht, ob und wie viele Genehmigungen erteilt werden. Im vergangenen Jahr gab es für 1.300 Christen in Gaza 600 Ausreisegenehmigungen. Das Problem ist aber, dass in vielen Fällen nur ein Teil der Familie eine Genehmigung erhält - die Eltern ohne die Kinder zum Beispiel. Dies und auch das fehlende Geld führt dazu, dass in Wirklichkeit viel weniger Christen zu Weihnachten ausreisen. Aus unserer Pfarrei etwa sind 2014 nur rund 50 Personen ausgereist.

Am 8. Dezember hat Papst Franziskus das «Jahr der Barmherzigkeit» eröffnet. Wie begehen Sie in Gaza das Heilige Jahr?

Da Silva: Wir Christen in Gaza sind es gewohnt, Hilfe zu empfangen. Wir haben keine Erfahrung im Geben. Im Heiligen Jahr wollen wir Barmherzigkeit zeigen. Es gibt viele Menschen hier, die ärmer sind und die mehr Hilfe benötigen als wir. Bei ihnen planen wir monatliche Besuche, vor allem mit den Jungen aus unserer Pfarrei, damit sie sich in Nächstenliebe und Barmherzigkeit üben können. Spirituell werden wir den Schwerpunkt auf das Sakrament der Beichte legen, das hier nicht sehr üblich ist. Im Frühjahr wird darüber hinaus ein Bibelkurs zum Thema Barmherzigkeit für die gesamte Pfarrei stattfinden.

Ihr Wunsch für das nächste Jahr?

Da Silva: Wenn man etwas nicht hat, wünscht man es sich umso mehr. Alles, was ich mir wünsche, ist Frieden, innerhalb meiner Gemeinde und für Gaza. Und Frieden für mich und meine Arbeit, denn unter diesen Umständen kann man nicht arbeiten. (KNA)