''Ich protestiere mit meinen Songs und meinen Gedichten!''

Mohamed El Deeb aus Kairo zählt zu den wenigen ägyptischen Ausnahmekünstlern, die in ihren Songs das Mubaraksystem kritisch hinterfragten und während der Proteste auf dem Tahrir-Platz gegen die Diktatur ansangen. Arian Fariborz hat sich mit ihm unterhalten.

Dossier von Arian Fariborz

Worin bestanden Ihre ersten Musikprojekte, die Sie mit "Asfalt" und später mit "Wighit Nazar" unternahmen? Was war die Idee, die hinter dieser Art von Musik stand und was war die Botschaft, die Sie an das ägyptische Publikum richteten?

Mohamed El Deeb: Das ist eine recht amüsante Geschichte, wie ich zum Hip-Hop kam. In der Schule habe ich schon immer gern Gedichte geschrieben. Auf dem Gymnasium sollten wir einmal als Hausaufgabe im Französischunterricht einen französischen Rap-Song schreiben. Alle meine Mitschüler schrieben ihren Song auf Papier, ich war der einzige, der seinen Rap auf Kassette über einen geloopten Beat aufnahm; seitdem stand ich total auf Hip-Hop. Mein Lehrer spielte den Song der Klasse vor und all meinen Freunden und Mitschülern gefiel er sehr und sie dankten mir. Ich habe also meinen ersten Rap-Song auf Französisch geschrieben! Und da dachte ich, wenn ich das sogar auf Französisch kann, was ja nicht meine erste Fremdsprache ist, kann ich das natürlich auch auf Englisch.

2005 zog ich zurück nach Ägypten, nachdem ich den größten Teil meiner Kindheit in der Golfregion verbracht hatte. Nach und nach bemerkte ich, dass ich immer mehr mit dem Arabischen verbunden war - ich entdeckte sozusagen erstmals wirklich meine Persönlichkeit und meine Kultur. 2006 stieß ich zu "Asfalt", eine der ersten Hip-Hop-Bands in Ägypten, die in der arabischen Umgangssprache rappten.

Deeb während eines Konzerts der Hip-Hop-Formation
Metaphernreich, sarkastisch und wortgewaltig gegen den kulturellen Stillstand in der bleiernen Ära Mubarak: Zusammen mit Mohamed Yasser gründete der heute 27jährige Rapper Mohamed El Deeb das erfolgreiche Musikprojekt "Wighit Nazar" (Betrachtungsweise, Perspektive), das bis 2010 andauerte.

​​Später startete ich das Musikprojekt "Wighit Nazar" (Betrachtungsweise, Perspektive), zu dem neben mir Mohammed Yasser gehörte, ein anderes Bandmitglied von "Asfalt". Zwischen uns stimmte die Chemie und wir machten uns in der Untergrund-Szene einen Namen. Mitte 2010 verließ ich dann "Wighit Nazar", um mich meiner Solo-Karriere zu widmen, da es einige Differenzen im kreativen Bereich gab.

Die wichtigsten Botschaften in meinen Songs behandeln Fragen nach der Identität, des kulturellen Bewusstseins, sie handeln von sexuellen Übergriffen und sozialer wie politischer Unterdrückung. Ich wollte mein Volk an die gute alte Zeit erinnern, in der Ägypten das kulturelle und künstlerische Drehkreuz des Nahen Ostens war.

Wie haben Sie das kulturelle Klima unter dem Mubarak-Regime empfunden? Gab es Restriktionen, die sich vor allem gegen unabhängige Künstler wie Sie richteten und inwiefern hat dies auch Ihre Musik beeinflusst?

Deeb: Hip-Hop-Musik ist eine Sprache, die vom Existenzkampf und von der Unterdrückung spricht. Sie gründet sich auf den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Standpunkts, egal, ob die Menschen sich mit dieser Meinung identifizieren können oder nicht. Das machte es schwerer für mich, meine Songs während des Mubarak-Regimes zu schreiben. Die Wahrscheinlichkeit, wegen offener Meinungsausübung eingesperrt zu werden, war schon ziemlich groß. Ich musste viele meiner Songtexte umschreiben, übte also Selbstzensur. Niemals durfte ich das Wort "Regierung" aussprechen oder gar "Präsident". Ich sang stattdessen von den "Big Guys" oder den "Korrupten". Ich musste auf Metaphern zurückgreifen und durfte keine Namen nennen.

Demonstration gegen das Mubarak-Regime auf dem Tahrir-Platz in Kairo; Foto: AP
Vielfältiger Widerstand gegen die Mubarak-Diktatur: "Man kann ein Banner halten oder Protestgesänge anstimmen. Ich protestiere auf meine Weise, mit meinen Songs und meinen Gedichten", erzählt Deeb.

​​Ich kann mich noch an ein Fernsehinterview erinnern, das ich gab, als ich noch bei "Asfalt" war und in dem der Moderator uns unterbechen musste, weil wir einen Song mit dem Titel "El Ebara Fel Abbara" singen wollten, in dem es um die Fähre "Salam" ging, die 2005 sank, 1.000 Menschen kamen dabei damals ums Leben. Nachforschungen ergaben, dass die Besitzer der Fähre korrupt waren und dem Mubarak-Regime sehr nahe standen.

Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Musik so etwas wie das "soziale Gewissen" Ihres Publikums reflektiert. Was genau meinen Sie damit?

Deeb: Wenn ich meine Musik schreibe, versuche ich, den Durchschnittsägypter von der Straße zu vertreten. Mit Durchschnittsägypter meine ich jeden - vom Taxifahrer über den Straßenhändler bis hin zum Intellektuellen. Ich lasse mich durch den Rhythmus der Straße inspirieren und behandle Themen, die alle betreffen, weshalb ich gern auch der Popkultur einen Platz in meinen Songs einräume.

Sie haben den Volksaufstand vom 25. Januar hautnah miterlebt und mit Ihren Songs auf dem Tahrir-Platz sozusagen mitorchestriert. Wie war die Resonanz beim Publikum?

Deeb: Ich nahm selber am Aufstand vom 25. Januar teil und das vom ersten Tag an bis zum Ende der Proteste. Ich hatte das Privileg, meine Gedichte und meine Songs mehrere Male auf dem Tahrir-Platz vortragen zu dürfen, worauf ich sehr stolz bin. Ich war sehr glücklich und fühlte mich wirklich sehr geehrt, dass viele der Protestierer äußerst positiv auf meine Musik reagierten und mir hinterher sagten, dass dies genau die Art vom Musik sei, die sie im neuen Ägypten hören wollten.

Ich glaube, dass Hip-Hop von der Gesellschaft sehr geschätzt wird, weil zu spüren ist, wie aufrichtig und authentisch Wortspiele und Sound sind und dass der Hip-Hop Themen berührt, mit denen sie etwas anfangen können. Die Leute haben genug von hohlen Popsongs, die vor der Revolution von den Radiosendern rauf und runter gespielt wurden; die bildeten einfach die soziale und politische Realität nicht ab.

Mohammed El Deeb; Foto: © Azma Ezzat
"Wir haben den verhassten Diktator, den verdammten Pharao vertrieben/Dank Twitter und Facebook haben junge Revolutionäre in Ägypten die Sprache der Wahrheit gefunden/Sie sagen uns: Nein, kein Stein wird sich bewegen, Inshallah, bis die Erde untergeht/Unsere Revolution kommt aus dem Volk, friedlich und patriotisch!/Wir wollen Freiheit, Würde und Gerechtigkeit!"</em>, rappt Poet und MC Mohamed El Deeb in seinem Song "Übergangsphase".

​​Mein erstes Video, "Masrah Deeb" (Deeb's Bühne), wurde ganz in der Nähe des Tahrir-Platzes in der Kairoer Innenstadt gedreht, nur zwei Wochen, bevor die Revolution begann. Ich entschied, das Video am 2. Februar zu veröffentlichen, als die Revolution gerade auf ihrem Höhepunkt war; es ging mir darum, die Menschen an die sozialen Probleme und die politische Unterdrückung zu erinnern, denen wir unter Mubarak ausgesetzt waren. Ich wollte aber auch die Moral der Aufständischen in dieser schweren Zeit heben und ihnen Hoffnung machen auf die Zeit nach der Revolution, in der wir hoffentlich dann obenauf sein würden.

Welche Rolle kannIhrer Meinung nach Hip-Hop als Sprachrohr des sozialen und politischen Protests im Nahen Osten und besonders in Ägypten spielen?

Deeb: Das Genre Hip-Hop steht bei den Ägyptern immer höher im Kurs. Die Menschen erkennen, dass diese Musik sich mit den Kämpfen der Menschen befasst und die Idee der Freiheit unterstützt. Es ist nicht nur eine Erfindung des Westens; Hip-Hop zeigt die Macht der Poesie, die den Arabern sehr wichtig ist. Im Zuge der Revolution kamen sehr viele Ägypter erstmals mit Hip-Hop in Berührung, als sie Rap-Künstler auf der Bühne auf dem Tahrir-Platz sahen und die Songs hörten, die in den sozialen Netzwerken zirkulierten.

Ich erinnere mich, dass nach einem meiner Auftritte auf dem Tahrir-Platz jemand aus der Menge zu mir kam und sagte, dass er gerade eine Gruppe von Salafisten daran gehindert hatte, mich von der Bühne zu holen, weil sie meinen Gesang als unangemessen empfanden. Er stoppte sie, weil den Aufständischen meine Musik gefiel und sie sie als motivierend empfanden und als etwas, mit dem sich jeder identifizieren könne.

Ich denke, dass man seinen Protest sicher auch auf andere Art und Weise ausdrücken kann; man kann ein Banner halten oder Protestgesänge anstimmen. Ich protestiere auf meine Weise, mit meinen Songs und meinen Gedichten. Damit, dass dieser Mann die Salafisten daran gehindert hat, mich von der Bühne zu drängen, habe ich etwas erreicht - ich habe gezeigt, dass die Meinungsfreiheit etwas ist, für das wir auch nach dem 25. Januar kämpfen werden.

Interview: Arian Fariborz

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

© Qantara.de 2011