Islamische Kinderbücher als Beitrag zur Integration

In Deutschland gab es bislang keine Kinderbücher für muslimische Kinder. Der Islamwissenschaftler, Dichter und Philosoph Ahmad Milad Karimi hat deswegen einen eigenen Verlag gegründet. Im Gespräch mit Claudia Mende, erklärt er, wie er mit seinen Büchern ein tolerantes Bild vom Islam vermitteln möchte.

Herr Karimi, wieso haben Sie den Kinderbuchverlag "Salam" gegründet?

Ahmad Milad Karimi: Die Idee ist aus der Not geboren. Der Verleger Andreas Hodeige und ich haben einen Kinder- und Jugendbuchverlag gegründet, weil es insbesondere für Muslime und andere Menschen mit Migrationshintergrund keine adäquate Literatur in deutscher Sprache gibt.

Was lesen denn muslimische Kinder und Jugendliche?

Karimi: Verlage und Buchhandlungen haben bis jetzt fast nichts für diese Zielgruppe getan. Muslimische Jugendliche lesen zum Beispiel Broschüren und Bücher, die ihnen Moscheevereine und Gemeinden zur Verfügung stellen und die meistens in den Herkunftsländern produziert wurden. Alle drei Themenfelder Religion, Sprache und Kultur werden mit Literatur aus den Herkunftsländern bedient, es gibt so gut wie nichts aus Europa.

Diese Kinderbücher bieten aber nicht die Qualität, die Kinder in Europa kennen. Gleichzeitig entsprechen sie inhaltlich nicht unseren Erwartungen. Sie sind nicht neutral und kindlich angemessen geschrieben, sondern vielfach ideologisch oder politisch gefärbt. Am meisten stört mich aber, dass diese Kinderbücher nicht die hiesige Lebensweise widerspiegeln. Kein Mensch in Deutschland sieht so aus, wie die Kinder in diesen Büchern. Hinzu kommen oft schlechte Übersetzungen, wenn es sich um Bücher in deutscher Sprache handelt. Das ist alles nicht akzeptabel.

Bitte stellen Sie ein besonders geglücktes Buch Ihres Verlages vor.

Karimi: Das Buch "Der kleine Hassan" von Bärbel Drechsler erzählt von ​​einem Jungen namens Hassan in einer muslimischen Familie in Deutschland. Hassan hat viele Fragen wie: Was ist Gott? Wer ist Jesus? Warum feiere ich nicht Weihnachten? Fragen, die uns alle bewegen, egal ob wir Muslime sind oder nicht. Auf seine Fragen nach dem Woher islamischer Traditionen bekommt Hassan dann erklärende Antworten.



"Der kleine Hassan" ist in der Kritik nicht gut weggekommen. Eine Kritikerin bezeichnete das Buch als altbacken und nicht der Lebensrealität von Kindern entsprechend.

Karimi: Offenbar nimmt man es uns nicht ab, dass muslimische Kinder auch herzlich sind. Ich finde es lobenswert, dass Hassan nicht die ganze Zeit vor dem Fernsehen sitzt, sondern sich mit den großen Fragen beschäftigt. Das Buch schildert eine intakte Familie, die miteinander redet, diskutiert und zuweilen auch kuschelt.

Ich will keine Bücher machen, die nur trocken aufklärerisch sind. Mir geht es darum, dass sich Kinder spielerisch mit ihren Fragen beschäftigen. Häufig werden die Bücher ja auch von Eltern oder Großeltern vorgelesen, die noch was dazu sagen können.

Wie ist die Resonanz auf ihre Bücher?

Karimi: Dafür, dass der Verlag noch sehr jung ist und wir erst mit vier Büchern und einem Hörbuch herausgekommen sind, finde ich die Resonanz gut. Wir werden sowohl von Muslimen als auch von Nicht-Muslimen wahrgenommen. Für mich ist es ein Verstoß gegen die Menschenrechte, wenn Bildungschancen versäumt werden. Aber Eltern, die selbst selten Bücher lesen, fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass sich ihre Kinder nur durch Bildung in der Gesellschaft durchsetzen können.

Wie wollen Sie bildungsferne Familien erreichen?

Karimi: Wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Wir müssen muslimischen Eltern verdeutlichen, dass wir ihre Kinder nicht ideologisch beeinflussen, sondern sie in ihrer Erziehung unterstützen wollen. Jedes Elternteil wird mal mit Fragen konfrontiert, die es nicht beantworten kann. Zum Beispiel wenn Kinder fragen: "Was ist der Koran?" Die Eltern können meist nur antworten, er ist das Wort Gottes. Hier wollen wir Hilfestellungen geben.

Sie bringen auch Sprachbücher heraus, mit denen Kinder Arabisch lernen können. Warum?

Karimi: Kinder, die eine andere Muttersprache haben, können nur dann die deutsche Sprache verstehen und sich in ihr wohl fühlen, wenn sie auch in ihrer Muttersprache gefestigt sind. Außerdem ist es ein großer Schatz für die Gesellschaft, wenn Kinder zweisprachig aufwachsen. Diesen Schatz möchte ich stärken.

​​Dazu kommt, dass der Koran einen arabischen Charakter hat. Für muslimische Kinder ist es deshalb wichtig, die Grundlinien der arabischen Sprache zu kennen. Dann kann ihnen niemand sagen, ihr sollt Euch so und so verhalten, weil es so im Koran steht. Sie haben dann ihren eigenen Zugang zur Sprache des Korans, so dass es zu einer Art "Entmachtung der Autoritäten" kommt. Junge Menschen sollen selbst zum heiligen Buch greifen, anstatt den Imam zu fragen, was im Koran steht.

Warum sind Ihre Kinderbücher wichtig für die Integration?

Karimi: Integration muss von der Wurzel her passieren. In der Islam-Debatte werden Kinder und Jugendliche einfach vergessen. Warum gibt es kein Buch, das muslimischen Kindern erklärt, warum Männer und Frauen gleichberechtigt sind? Wenn es das gäbe, dann bräuchte man ihnen später nicht zu vermitteln, warum Ehrenmorde nicht erlaubt sind.

Welche religiösen Fragen sprechen sie an?

Karimi: Wir sprechen alle religiösen Fragen ohne Tabus an. Nicht nur Fragen zum Islam, sondern auch interreligiöse Probleme. Ob man Kopftuch tragen soll oder nicht, ob Gewalt islamisch legitimiert ist. Was Dschihad bedeutet, warum sich Muslime beim Beten auf den Boden werfen und warum wir im Ramadan fasten. Warum Schweinefleisch und Alkohol verboten sind und was passiert, wenn ein Muslim trotzdem Alkohol trinkt. Ich erwarte von den Autoren, dass sie den Glauben glaubwürdig vermitteln und zwar argumentativ, nicht autoritativ. Ich muss Kinder für die Idee des Guten gewinnen. Wenn das nicht machbar ist, ist die Religion gescheitert.

Profitieren Sie auch von Kinderbüchern in der arabischen Welt?

Karimi: Es gibt auch in der arabischen Welt heute immer mehr Bücher für Kinder, die wirklich kindsgerecht sind, außerdem sprachlich und inhaltlich gut gemacht. Trotzdem möchte ich höchstens klassische Werke aus der arabischen Tradition übersetzen und in Deutschland verlegen, aber keine aktuelle Kinderliteratur.

Warum nicht?

Karimi: Weil sie eine ganz andere Tradition wiedergibt. Jede Frage nach der islamischen Tradition ist an ihren Kontext gebunden. In Afghanistan antwortet man anders als im Irak, in Deutschland anders als in Ägypten. Es gibt keine ein für alle Mal gültige Antwort, sondern die Antworten sind immer zeitlich und geographisch gebunden.

Interview: Claudia Mende

© Qantara.de 2011

Ahmad Milad Karimi (geb. 1979) ist Islamwissenschaftler, Philosoph und Herausgeber des 2009 gegründeten Kinder- und Jugendbuchverlages "Salam" in Freiburg. Der gebürtige Afghane hat sich bereits als Wissenschaftler, Übersetzer und Schriftsteller einen Namen gemacht, unter anderem hat er für den Herder Verlag den Koran ins Deutsche übertragen. Sein eigener Verlag trägt den programmatischen Titel "Salam" (Friede).

Redaktion: Arian Fariborz/Lewis Gropp/Qantara.de