Der Staat und die Imame

Klare Einmischung in innerislamische Angelegenheiten: Seit Beginn dieses Jahres werden an deutschen Universitäten Imame ausgebildet. Doch ist das überhaupt eine staatliche Aufgabe? Die Entscheidung scheint voreilig und langfristig nicht tragfähig, meint der Islamwissenschaftler Lukas Wick.

Von Lukas Wick

Von Herbst dieses Jahres an werden in Deutschland gleich an drei universitären Standorten Lehrgänge für muslimische Imame angeboten. Dieser Schritt wurde vom Wissenschaftsrat empfohlen, von der Presse begrüßt, und auch die Kirchen sehen es mit Wohlwollen.

Mittels solcher Maßnahmen möchte man den Islam in Deutschland und Europa integrieren und extremen Auswüchsen vorbeugen. Ob der allgemeinen Begeisterung hat man es jedoch unterlassen, sich zu fragen, ob die Ausbildung von Vorbetern - und kirchlichen Mitarbeitern allgemein - überhaupt eine staatliche Aufgabe ist.

Das Anliegen der Muslime

Zum einen darf mit Recht gefragt werden, ob die Imam-Ausbildung nicht gegen das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot in Religionsangelegenheiten verstößt. Implizit wird mit der Imam-Ausbildung - so Bildungsministerin Schavan - nämlich beabsichtigt, den Islam auf europäisch-aufgeklärte Werte zu trimmen, ihn quasi zu domestizieren und zu läutern und ihn so dem Einfluss sogenannter radikaler Kräfte zu entziehen. Dieses gutgemeinte Ansinnen bedeutet allerdings eine klare Einmischung in innerislamische Angelegenheiten.

Türkische Imame nehmen am Deutschunterricht teil; Foto: dpa
Integrationswillig: Türkische Imame in Frankfurt am Main nehmen am Deutschunterricht teil.

​​Das "Übersetzen" des Islams in deutsche Verhältnisse muss letztlich das Anliegen der Muslime selbst sein und kann nicht über staatliche Programme erzeugt werden. Nur sie können nämlich darüber befinden, was nun Auswüchse und welche Interpretationen fehlgeleitet sind.

Gegebenenfalls können auch nur sie diesen Abweichungen glaubwürdig entgegentreten. Die klare Formulierung und Vermittlung der islamischen Doktrin sollte den verschiedenen Islamverbänden zumindest so wichtig sein, dass sie auch bereit sind, das dazu nötige Geld aufzubieten. Gerade durch die eigenverantwortliche, zivilgesellschaftliche Finanzierung beweist man die Ernsthaftigkeit eines Anliegens.

Entwicklung eines kritischen Geistes

Erst die freie Entfaltung von Religion wird nämlich erweisen, ob sich diese mit den hiesigen Gepflogenheiten arrangieren kann. Verkappte staatliche Einmischung ist langfristig nicht tragfähig, selbst wenn die entsprechenden Dozenten in echter Überzeugung einen liberalen Islam propagieren.

Ein universitäres Vollprogramm wünscht zudem gemäß einer Studie des Schweizer Nationalfonds nicht einmal ein Viertel der befragten Muslime. Die Mehrheit wünscht, dass die Imame zumindest einen Teil ihrer Ausbildung an islamischen Institutionen absolvieren.

Erwähnenswert ist, dass es in Österreich trotz der Schaffung des Islamischen Religionspädagogischen Instituts (IRPA) in Wien nicht gelungen ist, Religionslehrer und Prediger zu verhindern, die sich negativ zu Demokratie und Menschenrechten äußern.

Die oft beklagten Integrationsprobleme muslimischer Imame sind hausgemacht. So lässt etwa die türkische Religionsbehörde (Diyanet) Imame nur vier Jahre in der Diaspora verweilen und hat gar kein Interesse daran, dass diese sich allzu sehr an Deutschland „gewöhnen“. Eine Untersuchung des Osnabrücker Religionswissenschafters Rauf Ceylan deutet darauf hin, dass türkische Imame unter dem Eindruck deutscher Verhältnisse bisweilen durchaus einen kritischen Geist entwickeln.

Was ist mit den Mormonen?

Man muss sich auch fragen, ob der Staat das Bodenpersonal einer Religion finanzieren soll, die (noch) keine Körperschaft öffentlichen Rechts darstellt und somit auch noch nicht Kooperationspartner des Staates sein kann.

Dr. Rauf Ceylan; Foto: dpa
Eine Untersuchung des Osnabrücker Religionswissenschafters Rauf Ceylan deutet darauf hin, dass türkische Imame unter dem Eindruck deutscher Verhältnisse bisweilen durchaus einen kritischen Geist entwickeln.

​​Außerdem sind Lehrinhalte, welche Nichtmuslime in völlig respektloser Art und Weise als Ungläubige - oder wie jüngst in einer Moschee in Basel als Schweine - und zur Hölle Verdammte verunglimpfen, dem öffentlichen Religionsfrieden nicht förderlich. Die Aussicht auf staatliche Zuwendungen begünstigt zudem rein finanziell motivierte Zweckbündnisse und festigt die Stellung der Islamverbände innerhalb der muslimischen Gemeinschaft.

Die staatliche Finanzierung von Lehrstühlen und universitären Einrichtungen ist eine klare Privilegierung einer heterogenen, aber lautstarken Religionsgemeinschaft gegenüber freikirchlichen Gruppierungen, deren Mitglieder teilweise unter erheblichen finanziellen Opfern für die Ausbildung ihrer Prediger aufkommen. Konsequenterweise müsste man auch für sie staatliche Ausbildungseinrichtungen schaffen; und warum nicht auch für Mormonen, Hindus, Buddhisten oder gar Freidenker?

Voreilige Gründung von Lehrstühlen

Die etablierten Kirchen sind sich angesichts der verwaisten Kirchenbänke einerseits und der administrativen Wasserköpfe andererseits ihrer privilegierten Situation sehr wohl bewusst.

Anstatt jedoch die eigene Situation einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und eventuell aufgeblähte Strukturen anzupassen, bemühen sich die Kirchen im Sinne des interreligiösen Dialogs - so jedenfalls die offiziellen Bekundungen - darum, auch noch andere am fiskalischen Manna teilhaben zu lassen. Es erstaunt, dass die längst überfällige Debatte um die Frage staatlicher Finanzierung theologischer Institute und Fakultäten noch nicht eingesetzt hat.

Diese darf angesichts veränderter gesellschaftlicher Umstände jedoch kein Tabu bleiben. Nicht etwa, weil es der Theologie an wissenschaftlicher Methode oder Erkenntniswert mangelt, sondern weil ihre konfessionelle Orientierung im Zusammenhang zunehmend pluralistischerer Lebensentwürfe gesellschaftlich immer weniger legitimiert werden kann. Die deutsche Gründung von Lehrstühlen für die Imamausbildung ist voreilig.

Lukas Wick

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2011

Lukas Wick ist Islamwissenschaftler. Seine in Bern angenommene Dissertation erschien unter dem Titel "Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne?".

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de