Horror, Ultragewalt und Abenteuer - die moderne Medienstrategie des «Islamischen Staates»

Die Propagandavideos des «Islamischen Staats» haben nach Ansicht von Experten nichts mit der Realität echter Kriege zu tun. Sie sind Inszenierungen, die sich mit der Bildsprache der globalen Trash-Kultur an ein westliches Publikum richten. Von Marc Engelhardt

Ein Selbstmordattentäter sprengt sich in die Luft, ein kleiner Junge erschießt hilflose Geiseln, Gefangenen werden vor laufender Kamera die Köpfe abgeschlagen: In den Videos der Terrorgruppe «Islamischer Staat» (IS) wird kein noch so brutales Detail ausgelassen. Jeder Film übertrifft dabei die Grausamkeit des vorhergehenden. Zufall sei das nicht, sondern Teil einer ausgeklügelten Medienstrategie, sagt Asiem El Difraoui. Der in Offenbach geborene Politologe hat 2010 über den «Dschihad der Bilder» promoviert.

Seitdem, sagt er, habe sich der Stil der dschihadistischen Propaganda stark gewandelt. Die heutige Bildersprache der Terroristen bediene sich bei der globalen Jugendkultur: «Man hat das Gefühl, man ist in der Videospielästhetik oder im schlimmsten, trashigsten amerikanischen Horrorfilm.» Und damit werde eine bestimmte Zielgruppe erreicht. «Diese Propaganda wendet sich an junge Leute, die aufgewachsen sind mit dem Schlimmsten, was der Westen so produziert hat: Völlig wertlose unmoralische Filme und Videospiele voller Ultragewalt.»

Manche Vorbilder laufen auch in Bildungsbürgerhaushalten: Die Fantasyserie 'Game of Thrones' etwa, wo in Hochglanzästhetik Männer gemeuchelt, Frauen vergewaltigt und Kinder misshandelt werden. «Der IS dreht diese virtuelle Welt des Horrors und des Trashs dann um, um Leute anzuziehen», sagt der Politologe El Difraoui. «Diese Menschen, die vermutlich die Cyberwelt nicht von der realen Welt unterscheiden können, gehen dann zum 'Islamischen Staat' und machen dort echte Horrorfilme, wo wirklich Menschen sterben.» Die Videos verbreiten sich anschließend schnell über Online-Netzwerke.

Theo Padnos kennt diesen echten Horror aus eigener Erfahrung. Zwei Jahre lang war der US-Journalist Geisel der syrischen Al-Nusra-Front, die zum Terrornetzwerk Al-Qaida gehört. Die Welt der Propagandavideos habe mit dem Krieg etwa in Syrien nichts zu tun, sagt er: «Die Dschihadisten, die uns im Westen beschäftigen, spielen vor Ort genau eine Rolle: Sie sollen Aufmerksamkeit in den Medien schaffen.» Ein Beispiel: Dschihadi-John, der Schlächter mit britischem Pass, der seine Opfer in mehreren IS-Videos köpft.

«Die Figur des Dschihadi-John hat der 'Islamische Staat' nur aus einem Grund kreiert: Weil die IS-Anführer wissen, dass Johns Botschaften bei uns ankommen», glaubt Padnos. «Und das tun sie.» Der Journalist ist der Ansicht, dass ein weiteres Element für den Erfolg der IS-Videos entscheidend ist: das Hollywood-Klischee von Freiheit, Freundschaft und Abenteuer. «Da sitzen junge Männer zusammen in der Wildnis, die gemeinsam einen obskuren Eid schwören und ewige Männerfreundschaft schließen», höhnt Padnos. Das sei wie in «Star Wars».

Anders als der Krieg der Sterne aber ist der Krieg der Bilder fest in der Realität verwurzelt. Gruppen wie der IS sind vergleichsweise klein und stehen ganzen Armeen gegenüber. In diesem asymmetrischen Konflikt entscheidet die erfolgreiche Mediatisierung selbst kleinerer Anschläge über Sieg oder Niederlage, glaubt Asiem El Difraoui. Der Krieg des IS ist für ihn deshalb auch ein Medienkrieg. Westlichen Medien wirft er vor, sich als Kriegswaffe missbrauchen zu lassen.

«Dieser Bilddschihad des Web 2.0 wird von den europäischen Medien sofort aufgenommen», kritisiert der Politologe. «Da werden die spektakulärsten Bilder gezeigt, nicht der totale Horror, aber kurz davor, und das Ganze nimmt einen Platz in den Medien ein, der einfach viel zu groß ist.» Den Mechanismus des «schneller, höher, weiter» nutze der IS zu seinen Gunsten aus. «Wenn der Horror mal nicht mehr so klappt und keiner mehr so richtig darüber berichtet, dann wird eben das Weltkulturerbe in Mossul zerstört - und somit kommt man wieder in die Weltöffentlichkeit.»

Das Lügengebäude des IS werde in den Berichten selten entlarvt, kritisiert El Difraoui. Westliche Medien übernähmen unkritisch vom IS erfundene Mythen, etwa die Legende vom Märtyrertum der angeblichen Gotteskrieger. «Um diese spektakulären Bilder sind viele Lügen gebildet, ein Heilsversprechen, das man immer wieder widerlegen muss.» Vor allem aber dürfe man islamistischen Propagandavideos nicht mehr so viel Sendezeit widmen. Nur dann könne der Dschihad der Bilder entzaubert und der Propagandakrieg des IS besiegt werden. (epd)

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