Homosexueller Imam will Muslime mit ihrer Religion versöhnen

Auf die Frage, ob gläubige Muslime zugleich homo- oder transsexuell sein können, hat Ludovic-Mohamed Zahed eine eindeutige Antwort. Ja, sagt der französische Imam, der am Dienstag in Berlin erstmals elf deutsche Muslime sowie vier arabische Flüchtlinge zu einem ganztägigen Training empfing. Mit Unterstützung des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) will Zahed die Teilnehmer mit ihrem Glauben und ihrer sexueller Identität versöhnen.

"Wir werden zurück an den Anfang der Geschichte gehen und fragen: War der Prophet homophob oder das genaue Gegenteil?", sagt der 38-Jährige. Für den Doktor der Psychologie und Anthropologie ist die Antwort klar. Er ist selbst mit einem Mann verheiratet und kämpft seit Jahren für mehr Toleranz von Muslimen gegenüber ihren homosexuellen Glaubensbrüdern.

Die von Zahed gegründete Gruppe HM2F ist Frankreichs erste Organisation homosexueller Muslime. Sie machte Zahed über Frankreich hinaus bekannt, nicht zuletzt in den nordafrikanischen Staaten, wo auch Zaheds Familie herkommt, die einst aus Algerien einwanderte. Die im muslimischen Kulturkreis verbreitete Intoleranz gegenüber sexuellen Minderheiten ist für Zahed ein Produkt der jüngeren Geschichte, das wenig mit der Religion selbst zu tun hat.

"Noch bis vor ungefähr 250 Jahren war der islamische Raum sehr liberal", sagt Zahed. An der einflussreichen Al-Ashar-Universität in Kairo habe im 17. Jahrhundert ein wichtiger Islamgelehrter Liebesgedichte an einen Knaben verfasst. "Damals wurden in einigen europäischen Ländern Homosexuelle noch als Sodomisten öffentlich verbrannt", sagt Zahed. Erst die europäischen Kolonialherren hätten im früheren Osmanischen Reich Homosexualität unter Strafe gestellt.

"Früher gab es mehr Toleranz für Homosexuelle und Transgeschlechtliche, und in einigen Gegenden Indiens und Pakistans werden Transgeschlechtliche bis heute respektiert", sagt der schlanke Mann mit kurzem Bart und kurzem Haar. Doch mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und der politischen Instrumentalisierung des Islams sei dieser zunehmend "faschistisch" geworden. "Das Problem ist der politische Islam", sagt Zahed.

In seinem Seminar will er den Teilnehmern zeigen, was der Koran zu sexueller Vielfalt sagt und wie sich dennoch der Konformismus durchsetzte. "Viele schwule Muslime denken sehr schlecht über sich selbst", sagt Zahed. Die gespaltene Persönlichkeit führe zu Selbsthass, weil sich die Betroffenen vorwürfen, schlechte Muslime zu sein. Von dieser Last will Zahed die Teilnehmer befreien.

Unterstützt wird er dabei von Jouanna Hassoun, die das Projekt Miles leitet - ein LSVD-Angebot speziell für Migranten. Hassoun und Zahed lernten sich bei einer Talksendung von Deutsche Welle Arabia kennen und schätzen. Die Sendung wurde im Internet zehntausende Male angeklickt und von vielen homosexuellen Muslimen positiv kommentiert.

"Wir wollen eine Debatte", sagt Hassoun und kritisiert, dass keiner der in Deutschland ansässigen Islamverbände zu einer Diskussion über das Thema bereit ist. Auch Zahed stößt bei der Mehrheit der Muslime in Frankreich bestenfalls auf Kritik, schlimmstenfalls auf Hass.

Ihnen will der Imam seine tolerante Interpretation des Glaubens entgegenstellen. Zahed geht es dabei nicht allein um eine Veränderung unter den Muslimen, sondern um mehr Toleranz in der ganzen Gesellschaft. "Der Kampf gegen faschistische Ideologien geht uns alle an", appelliert er. (AFP)