Friedliche Koexistenz auf dem Schulhof

In der Heiligen Stadt, in der sich Juden und Araber meist aus dem Weg gehen, ist die "Hand-in-Hand-Schule" direkt an der an der Grünen Linie eine erstaunliche Ausnahme. Unterrichtet wird auf Arabisch und Hebräisch. Aus Jerusalem berichtet Hans-Christian Rößler.

Von Hans-Christian Rößler

Die Schule ist ein Armutszeugnis für die Stadt. Den langgestreckten Bau mit mehreren Pavillons durchzieht ein Garten. Gäbe es nicht den Spielplatz und die Sportanlagen, könnte man den großzügigen Campus der "Hand-in-Hand-Schule" in Jerusalem auch für ein Museum halten. Aber dafür geht es auf dem Fußballplatz viel zu munter zu.

In Hebräisch und Arabisch bejubeln die Spieler die Tore oder beschweren sich über ein Foul. Das sind ungewohnte Töne in der Heiligen Stadt, in der sich Juden und Araber oft aus dem Weg gehen.

Die Hand-in-Hand-Schule liegt genau zwischen dem jüdischen Viertel Patt und dem arabischen Stadtteil Beit Safafa an der Grünen Linie. Seit 1967, als die israelische Armee auch die arabischen Stadtteile jenseits der alten Waffenstillstandslinie eroberte, ist die Stadt aus israelischer Sicht "wiedervereint".

​​Doch die 242 arabischen und 221 jüdischen Schüler, die in der Hand-in-Hand-Schule gemeinsam lernen, sind die Ausnahme geblieben: Insgesamt gibt es in Jerusalem fast eine Viertelmillion Schulkinder, aber auch nach 44 Jahren nur eine zweisprachige Schule - rund ein Drittel aller Einwohner der Stadt sind Araber.

Friedliche Koexistenz wie auf dem Schulhof an der Grünen Linie will die "Jerusalem Foundation" fördern. Mit der Unterstützung deutscher Spender hat sie maßgeblich den Bau des großzügigen Campus möglich gemacht. Die Stiftung hatte Teddy Kollek gegründet, der fast dreißig Jahre lang Bürgermeister von Jerusalem war.

Aber das alltägliche Zusammenleben bleibt in der 1997 gegründeten "Max Rayne Hand-in-Hand-Schule für jüdisch-arabische Erziehung", wie die Schule mit vollem Namen heißt, eine ähnlich große Herausforderung wie im Rest der Stadt, in der sich die Bevölkerungsgruppen fremder werden.

"Auch die andere Seite kennenlernen"

Teddy Kollek; Foto: AP
Teddy Kolleks "Jerusalem Foundation" engagiert sich vor allem in Projekten, um das Erbe der heiligen Stadt Jerusalem zu bewahren und das bessere Miteinander zwischen Juden, Christen und Muslimen zu fördern.

​​In diesem Sommer gibt es in der Schule einen besonderen Grund, zu feiern. Die erste 12. Klasse hat ihre Abiturprüfung abgelegt. Vom Kindergarten bis zur Hochschulreife gibt es jetzt zweisprachige Erziehung unter einem Dach. Aber die Freude war nicht ungetrübt, denn in der Abschlussklasse saß kein einziger jüdischer Schüler mehr. Raeif Omari lässt sich davon nicht beirren. "Als Pionier muss man stark sein und für seine Überzeugungen eintreten", sagt der arabische Oberstufenleiter.

Nach der 6. Klasse, die in Israel eine Art Orientierungsstufe ist, nimmt die Zahl der jüdischen Schüler stark ab. "Für jüdische Oberstufenschüler gibt es eine Menge an Wahlmöglichkeiten. Manche Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder Versuchskaninchen sind", beobachtet die Lehrerin Schahar Viso.

Rektor Omari hat von einigen Vätern und Müttern gehört, dass es ihnen wichtig ist, die jüdische Identität ihrer Kinder zu schärfen, wenn sie älter werden. "Aber bei uns bekommen sie noch viel mehr. Sie lernen auch die andere Seite kennen, werden multikulturell", bekräftigt Omari. Er und seine Lehrer suchen das Gespräch mit jüdischen Eltern, um sie davon zu überzeugen, ihre Kinder nicht wechseln zu lassen.

Unterricht auf Arabisch und Hebräisch

Gute Gründe für die Schule lassen sich schnell finden, zum Beispiel in der großen hellen Bibliothek. In Jerusalem gibt es wohl keine zweite solche Schulbücherei. Die eine Hälfte der Bücher ist auf Hebräisch, die andere auf Arabisch. In ihren Klassen haben die Schüler mehr Lehrer als in den anderen Schulen der Stadt. Einer unterrichtet auf Arabisch, der andere auf Hebräisch.

"Dass ich Arabisch kann, ist für mich ein riesiger Vorteil. Das ist schließlich unsere Schwestersprache", sagt Noa, die aus einer jüdischen Familie kommt und die sechste Klasse besucht. Freunde und Nachbarn hätten sie anfangs gefragt, ob sie denn keine Angst habe, mit Arabern gemeinsam in eine Schule zu gehen. "Ich möchte keinen meiner Klassenkameraden missen", sagt die Zwölfjährige, die auf jeden Fall bis zum Abitur bleiben will.

In diesem Jahr haben nur fünf ihrer 32 Mitschüler die Schule gewechselt. Und die Nachfrage nach Schulplätzen ist groß, obwohl die vielen Zusatzangebote ihren Preis haben. Tausend Euro müssen die Eltern zuzahlen. "Wir haben so viele arabische Kinder, dass wir eine weitere Klasse aufmachen könnten. Doch wir wollen die Balance zwischen beiden Gruppen wahren", berichtet Raeif Omari.

Schulkrise ist im Ostteil der Stadt

Das große Interesse arabischer Familien kommt nicht von ungefähr: Im arabischen Ostteil der Stadt können Kinder von so viel Platz wie in der Hand-in-Hand-Schule nur träumen. Nach einer Zählung des israelischen Rechnungshofs fehlen dort bis zu tausend Klassenzimmer - vom Kindergarten angefangen. Und rund die Hälfte der vorhandenen Räume entsprechen nicht den städtischen Mindestanforderungen.

Logo der Hand in Hand Schule
"Zusammen leben - zusammen lernen": Vom Kindergarten bis zur Hochschulreife gibt es jetzt in der "Hand-in-Hand-Schule" zweisprachige Erziehung unter einem Dach.

​​Sie sind zu klein und die Klassen sind oft um ein Viertel größer als im jüdischen Westteil. Weil die Räume knapp sind, wird teils in zwei Schichten oder in angemieteten Wohnungen unterrichtet. Tausende Kinder gehen daher in kostenpflichtige Privatschulen.

Aus politischen Gründen zögern viele Eltern aber auch, ihren Nachwuchs in Schulen zu schicken, die nach dem israelischen Lehrplan unterrichten, wie es die Hand-in-Hand-Schule ebenfalls tut. An der einzigen zweisprachigen Schule finden sich vor allem Kinder arabischer Eltern, die die israelische Staatsangehörigkeit besitzen. Die meisten palästinensischen Bewohner aus Ostjerusalem zahlen zwar Steuern, haben aber nur ein Aufenthaltsrecht. Die israelische Kontrolle über die arabischen Viertel erkennen sie nicht an.

Die Schulkrise ist im Ostteil jedoch so gravierend, dass sich schon das Oberste Gericht damit befasst hat. Die Richter warfen Staat und Stadtverwaltung jahrelange Untätigkeit vor.

Jerusalems Bürgermeister Nir Barakat versprach, für mehr Klassenzimmer zu sorgen. Mehr als 300 seien geplant oder im Bau, sagte er im Juni. Wegen der hohen Geburtenrate in der palästinensischen Bevölkerung schaffen die wenigen neu errichteten Klassenzimmer bisher kaum Erleichterung.

In einer religiösen Parallelwelt

Die Lage in den Vierteln, in denen die ultraorthodoxen Juden wohnen, ist aber kaum besser. Zusammen mit den Arabern stellen sie den größten Teil der Stadtbevölkerung. Wegen der schnell wachsenden frommen Familien reichen die Klassenzimmer bei weitem nicht aus. Dort leben die Kinder immer stärker in einer religiösen Parallelwelt.

Mehr als 60 Prozent aller Jerusalemer Schüler - knapp 95.000 - besuchen mittlerweile ultraorthodoxe Schulen. Rund ein Drittel von ihnen geht dabei nach Schätzungen in Schulen, die sich nicht an den regulären Lehrplan halten. Mehrere zehntausend Schüler beenden ihre Schulzeit, ohne Mathematik oder Englisch gelernt zu haben. Dieser Rückzug aus der israelischen Gesellschaft könnte bald zu schweren Konflikten führen, befürchten Fachleute.

Das Vorbild der Hand-in-Hand-Schule ist in Jerusalem bisher nicht einmal in den Vierteln zu einem Modell geworden, in denen säkulare und religiöse Juden zusammenleben.

Im März errichtete die Stadtverwaltung von Jerusalem in einem Kindergarten einen Zaun, der noch mit einer Plane versehen werden sollte. Er trennt die Kinder aus ultraorthodoxen und säkularen Familien voneinander, die zuvor monatelang friedlich miteinander gespielt hatten. Religiöse Eltern hatten zuvor die Sorge geäußert, dass ihre Kinder durch zu freizügig gekleidete Erzieherinnen oder Jungen ohne Kippa auf dem Kopf Schaden nehmen könnten.

Hans-Christian Rößler

© Die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de