Falsche Prognose angesichts der arabischen Revolutionen

In seinem Buch "Der Untergang der islamischen Welt" schreibt der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel Samed, dass der Islam und die arabisch-islamische Kultur zwangsläufig zu Grunde gehen müssten. Doch der Autor belegt seine Thesen nicht überzeugend, schreibt Christian Horbach.

Von Christian Horbach

Islamkritik scheint in Deutschland zunehmend zu einem lukrativen Geschäft zu werden. Wie sonst ist die Fülle an Büchern zu erklären, die sich thematisch in einer Beschreibung der Mängel und Fehler "des Islam" erschöpfen? Zu diesen Büchern gesellt sich mit dem Werk des ägyptischen-deutschen Autors Hamed Abdel-Samad ein weiterer vermeintlich großer Wurf der Islamkritik.

Der Muslim und gebürtige Ägypter verfolgt laut eigener Aussage mit seinem Buch einen humanistischen Auftrag, denn "wer Muslime tatsächlich ernst nimmt, muss Islamkritik üben". Warum er dem Islam im Auftrag der Menschlichkeit überhaupt zur Seite springt, erklärt er seinen Lesern gleich an mehreren Stellen mit nicht nachlassender Intensität: "Die arabisch-islamische Welt wird untergehen. Zwei Prinzipien beherrschen das Leben und die Natur: Vielfalt und Flexibilität. Wer gegen sie verstößt, stirbt aus. Die islamische Welt tut dies seit geraumer Zeit und wird deshalb in sich zusammenfallen."

Hamed Abdel Samad; Foto: dpa
Fehlprognose: "Der Arabische Frühling wirft ein völlig anderes Licht auf das Verhältnis von Religion und Freiheitsdrang in der arabischen Welt", schreibt Horbach.

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Soweit die Grundannahmen. Abdel-Samad versucht über eine Beschreibung der Zustände in der islamischen Welt und ihrer zugrunde liegenden Ursachen, die Zwangsläufigkeit des Untergangs der islamischen Kultur, ja der "islamischen Idee" darzustellen. Dabei beschäftigt er sich gleich mit mehreren großen Themen, etwa mit der Geschichtsrezeption von Muslimen. Der gemeine Muslim fühle sich "in den Trümmern der Geschichte wohl" und wolle und könne nicht ohne einen Sündenbock für seine selbstverursachte Misere leben. Es geht das Wort um von einem "chronischen Beleidigtsein der Muslime".

Auch ist die Rede von der "anthropologischen Wunde" des Islam, ein Begriff, den Abdel-Samad dem Werk des renommierten syrischen Publizisten und Philologen Georg Tarabishi entliehen hat. In seinen eigenen Worten sagt Abdel-Samad, dass sich "die islamische Kultur innerlich schämt und das mit demonstrativ nach außen getragener moralischer Überlegenheit auszugleichen versucht."

Mangelnde Objektivität

Interessant und gleichzeitig sehr beunruhigend ist das Kapitel, in dem Hamed Abdel-Samad den Lehrinhalt arabischer Schulbücher anhand einiger Beispiele anschaulich beschreibt. Auch die Schilderungen des tragischen Schicksals seiner ägyptischen Nichte, die erst beschnitten, dann früh verheiratet und später von der Schule genommen wird, regen zum Nachdenken an. Überhaupt schafft es der Autor immer wieder, im Leser zeitweise Zweifel an der Funktionalität der islamischen Kultur zu wecken.

Seine Stärken hat das Buch vor allem da, wo Abdel-Samad das Verhältnis von Ehre, Genealogie, Blut und Jungfräulichkeit und deren Auswirkungen auf die arabisch-islamische Kultur skizziert. Durchaus nachvollziehbar gelingt es dem Autor aufzuzeigen, dass das altarabische Stammesbewusstsein noch Heute in den Köpfen vieler Muslime verankert ist, und was für negative Folgen dies für die Entfaltung des Individuums habe kann: "Das größte Defizit des Islam ist seine Haltung zur Individualität und persönlichen Entfaltung."

Doch so interessant einige dieser Kapitel auch sein mögen: Sie alle kranken an demselben Symptom. Denn den Betrachtungen des Autors mangelt es an der notwendigen Differenziertheit und Objektivität. Vielmehr nimmt Abdel-Samad die Rolle eines Konvertiten ein, der scheinbar die Abrechnung mit seinem alten Glauben sucht. Aus dieser Abrechnung gehen dann eigenartige Sätze wie dieser hervor: "In der islamischen Welt sind heute nur noch paranoide Inzestkinder geblieben." Mit solchen Aussagen entfernt sich Abdel-Samad von einer sachlichen und erkenntnisgeleiteten Herangehensweise an die komplexe Thematik.

Zwanghafter Essentialismus

Diese fehlende Objektivität macht Abdel-Samads Argumentation angreifbar. So spricht er fast durchgängig von der islamischen Religion sagt, meint aber die arabische Kultur. In seiner Einleitung gesteht er zumindest, dass er sich nicht zum Islam in Asien äußern kann, auch dass die Türkei in seinen Betrachtungen weitestgehend keine Rolle spielt. Doch den Islam mit seinen vielfältigen regionalen Ausprägungen und Unterschiedlichkeiten nur anhand einer Beschreibung der arabischen Welt darzustellen, kann nicht funktionieren und führt zwangsläufig zu falschen Ergebnissen.

Cover
"Mit seinem selektiven Zugang negiert Abdel-Samad auf unzulässige Art eine seit dem 19. Jahrhundert stattfindende islamische Reformbewegung", meint Horbach.

​​Bei seiner Betrachtung der arabischen Welt und ihrer Kultur schließlich führt Abdel-Samad jede Fehlentwicklung automatisch auf den Islam zurück. Alles, was seiner Meinung nach falsch läuft, kann auf die tiefe Durchdringung der arabischen Kultur durch den Islam zurückgeführt werden.

Es ist ja nicht zu leugnen, dass die arabische Welt an gravierenden Problemen leidet, vor allem in der politischen Entwicklung. Und Abdel-Samad stellt sich gegenüber möglichen weltlichen Ursachen dieser Entwicklung, wie inkompetenter politischer Führung durch die Herrscher oder der Revolutionsunlust der arabischen Massen, keineswegs blind. Doch leider begeht er den Fehler, jede dieser Fehlentwicklungen fast krampfhaft mit dem Islam verknüpfen zu wollen. Nicht zuletzt wirft der Arabische Frühling ein völlig anderes Licht auf das Verhältnis von Religion und Freiheitsdrang in der arabischen Welt.

Ignorierung von muslimischen Reformern

Besonders problematisch ist der Umgang Abdel-Samads mit der islamischen Reformbewegung. Als hätte es nie eine Reform gegeben, spricht der Autor despektierlich von "sogenannten Islamreformern". Sein Hauptvorwurf gegenüber international renommierten Intellektuellen wie dem erst kürzlich verstorbenen Nasr Hamid Abu Zaid oder Tariq Ramadan lautet, dass diese sich doch nur an einer Neuauslegung des Korans versuchen, anstatt dieses ganz bei Seite zu legen und sich auf die neuen Wirklichkeiten zu konzentrieren.

Mit diesem selektiven Zugang negiert Abdel-Samad auf unzulässige Art eine seit dem 19. Jahrhundert stattfindende islamische Reformbewegung.

Es ist die im Buch fast durchgängig mitschwingende Antipathie gegenüber der Religion des Islam, die eine für das von Abdel-Samad gewählte Thema notwendige Objektivität gewaltvoll an die Seite drängt.

 

Christian Horbach

© Qantara.de 2011

Hamed Abdel-Samad: Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose. Knaur 2010.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de