Mehr als religiöse Symbolik

Der Freitag als zentraler Wochentag der arabischen Revolutionen sollte nicht auf seine religiöse Dimension reduziert und so verstanden werden, dass die arabischen Aufstände einen dezidiert islamischen Anstrich hätten, meint der libysche Schriftsteller Mustafa el-Fituri.

Von Mustafa Fetouri

Der Freitag hat sich zum wichtigsten Wochentag in der arabischen Welt entwickelt. Statt lediglich ein Tag der Freizeit und des Gottesdienstes zu sein, ist er zu einem ganz besonderen Tag des "Arabischen Frühlings" geworden. Den Regimen bereitet der Freitag mittlerweile so große Sorgen, dass sie wünschten, es gäbe ihn nicht.

Erst war er ein "Jour fixe" für Massendemonstrationen, auf denen Freiheit gefordert wurde, mittlerweile ist er auch zu einer Maßeinheit geworden: Diktatoren zählen, wie viele Freitage an der Macht ihnen wohl noch vergönnt sein mögen. Zudem ist eine wechselseitige Beziehung zwischen der Revolte als Mittel zur Befreiung und der Religion als Mittel der Anstiftung zur Revolte zutage getreten – wenn auch nur äußerlich, indem die Freitage zu einem Symbol der Revolte wurden.

Bedeutungszuwachs der Moscheen

Die Wahl des Freitags ist umso signifikanter für die arabischen Gesellschaften, als dadurch Kernfragen thematisiert werden, wie insbesondere die der Beziehung zwischen Religion und gelebtem Alltag, des Verständnisses des Islam als einer grundlegenden Komponente der Identität und als eines einigenden statt trennenden Faktors: nicht nur im Sinne des Monotheismus, sondern auch der nationalen Einheit. Noch weiter darüber hinaus weist jedoch, dass der Moschee nach ihrer Marginalisierung und dem Entzug der politischen Macht seit der Herrschaft der Omayyaden vor zwölf Jahrhunderten nun wieder eine verloren geglaubte Rolle zugewiesen wurde.

Friedensnobelpreisträger ElBaradei während des Freitasgebets auf dem Tahrirplatz in Kairo; Foto: AP
Gemeinschaftlich gegen Unterdrückung und Fremdbestimmung: Während der Freitagsgebete auf dem Tahrir-Platz fanden Anhänger der christlichen und muslimischen Konfession ebenso zusammen wie Vertreter verschiedener religiös-politischer und säkularer Strömungen.

​​Die ägyptische Revolution vom 25. Januar stellte das deutlichste Beispiel für die Rolle der Moschee und insbesondere des Freitags als ein Modell voller Ironie dar. Das Modell basierte auf der Tatsache, dass die Revolution eine Sache der Masse war, bei der klassische politische Organisationen keine Führungsrolle spielten (wenn sie auch unleugbar in gewisser Weise präsent waren) sowie der Beziehung zwischen Revolution und Freitag – und dies aus zwei Gründen: Erstens, weil es in Ägypten eine große koptische Minderheit gibt und zweitens, weil die Kopten den Freitag als Tag der Freiheit akzeptierten, wohlwissend um dessen Heiligkeit für die Muslime.

Sie hätten ja ihrerseits auch auf dem Sonntag bestehen können, was aber die Dynamik der Straße geschwächt hätte. Die Akzeptanz des Freitags offenbarte sich in der Beteiligung von koptischen Geistlichen am muslimischen Freitagsgebet und der gemeinschaftlichen Verrichtung des christlichen Gebetes durch Kopten und Muslime auf dem Tahrir-Platz – der seinerseits zu einem einigenden Faktor wurde, ohne zu dominieren.

"Freitag des Sieges", "Freitag des Zorns"

Die Ägypter waren bestrebt, die Freitage zu einem festen Termin für ihr Streben nach Freiheit zu definieren, und sie gaben ihnen Attribute wie "Freitag des Sieges", "des Zorns" oder "des Abschieds". Die Geschichte wird all diese Bezeichnungen als Etappen auf dem Wege der Beendigung der Tyrannei aufnehmen. Und schon bald wanderte dieses "Freitagsfieber" und die Symbolik dieses Tages weiter in andere Länder, etwa nach Jemen und nach Libyen.

Soweit die augenscheinliche Feststellung, doch dahinter verbirgt sich noch mehr: Der Freitag wurde zum Tag der Einberufung des Parlaments des Volkes, zu einem regelmäßigen und vorbestimmten Datum – so unumstößlich wie wohl keine moderne Volksvertretung einen bestimmten Tag vorsieht; und dieses Volksparlament kennt auch keine Ferien, anders als jene offiziellen Parlamente, die sich selbst jedes Jahr bestimmte Ferien verordnen und dadurch nicht selten das Leben derer erschweren, die sie gewählt haben.

Blick auf die Sultan Hassan-Moschee in Kairo; Foto: dpa
Während der Anfänge des Islams, als ein ordnender Staat noch nicht bestand, bildeten die Moscheen den wöchentlichen Treffpunkt für Nicht-Muslime, Christen und Juden sowie muslimischen Herrschern, um Beschwerden oder Forderungen vorzubringen – oder um den Islam anzunehmen, schreibt Fituri.

​​Es ist also ein von Gott für seine Diener gesetzter Termin, ein Tag, an dem sie nicht Handel treiben (weder im geschäftlichen noch im politischen Sinn), sondern zusammenkommen und zwei Dinge regeln sollen: Erstens für die gesamte übrige Woche ihre Beziehung zu Gott und die Befolgung der Lehre von Liebe und Brüderlichkeit, wie sich dies in zwischenmenschlichen Beziehungen wie gegenseitigen Besuchen oder der Fürsorge für Kranke und Arme niederschlägt. Und zweitens sind sie an Freitagen in die Pflicht genommen, sich um ihre Gesellschaft und deren politische, wirtschaftliche und soziale Belange zu kümmern.

Das erste Anliegen zeichnet sich durch die Beziehung zwischen Mensch und Schöpfer aus. Diese tritt am Freitag besonders klar hervor, und dieser Tag macht sie vor allem zu einer Beziehung des Gebets. Im zweiten geht es um die Beziehung der Menschen untereinander und um ihr Verhältnis zu ihrem Herrscher, sei dieser nun gerecht oder ein Despot, und diese soziale Beziehung schließt auch die Nicht-Muslime ein.

Während der Anfänge des Islams, als ein ordnender Staat noch nicht bestand, bildeten die Moscheen den wöchentlichen Treffpunkt für Nicht-Muslime, Christen und Juden sowie muslimischen Herrschern, um Beschwerden oder Forderungen vorzubringen – oder um den Islam anzunehmen.

Die Befreiung der Moschee von der staatlichen Macht

Der Freitagsbezug der arabischen Revolutionen hat eine grundsätzliche Bedeutung. Diese liegt in der Befreiung der Religion vom Einfluss der politischen Macht und in der Wiederaneignung der Moschee durch die Muslime. Die Moschee ist nun wieder ein Ort, an dem man Angelegenheiten der Gemeinschaft regelt.

Die Moschee ist nicht mehr nur Gebetsstätte und schon gar nicht mehr Platz der Fürbitte für den Herrscher und der Huldigung des Gebieters, wie despotisch er auch sein mag. Denn dazu hatte man die Moscheen gemacht, nachdem die Omayyaden die politische Macht usurpiert und in Damaskus die erste "moderne" Moschee errichtet hatten.

Proteste während der Freitagsgebete in Kairo; Foto: AP
Ob "Freitag des Sieges" oder "Freitag des Zorns" - die Ägypter waren bestrebt, die Freitage zu einem festen Termin für ihr Streben nach Freiheit zu definieren.

​​Der Bau einer Prachtmoschee war eine geschickte Maßnahme, um die Moschee zu domestizieren und sie zu einer abhängigen Institution zu machen, dessen Imame und Prediger nun staatlicherseits ernannt wurden. Der Vorbeter war nun nicht mehr nur ein in religiösen Dingen unterwiesener Leiter des Gebets, der für einen Gotteslohn arbeitet, sondern er wurde zu einem Beamten, der in seinen Freitagspredigten und an Festtagen im Auftrag des Staates und nach dessen Vorgaben zu den Menschen sprach.

Am stärksten hat sich die Rolle der "befreiten Moschee" im aktuellen Geschehen in Libyen erwiesen. Im östlichen Libyen waren es in erster Linie die Moscheen, die die Menschen zum Kampf aufriefen, nachdem im Libyen Gaddafis die Moscheen durch ein eigenes Ministerium kontrolliert wurden. Und in Ägypten war zu beobachten, dass die zentrale islamische Institution, die Al-Azhar in Kairo, die Revolution nur halbherzig oder bestenfalls zögerlich unterstützte, eben weil sie ein offizielles Organ darstellte, dessen Funktionäre Staatsdiener waren.

Der Tahrir-Platz als "Moschee der Massen"

Al-Azhar-Moschee in Kairo; Foto: dpa
Verpasste historische Chance: Das Zentrum der sunnitischen Gelehrsamkeit, die Al-Azhar, schreckte davor zurück, sich während der Revolution eindeutig zu positionieren und die Gegner der Mubarak-Diktatur zu unterstützen.

​​Die Al-Azhar verpasste die historische Chance, die Rückkehr eines offenen Islams zu verkörpern, der mit der Gesellschaft in Interaktion steht, indem sie davor zurückschreckte, die friedliche Revolution in Ägypten zu unterstützen. Stattdessen wurde der Tahrir-Platz im Herzen Kairos so etwas wie die "Moschee der Massen", bewahrte aber seinerseits gleichwohl die besondere Bedeutung und den Status des Freitags.

Mehr noch: Die Gläubigen strömten zum Freitagsgebet auf den zentralen Platz der Stadt. Die Symbolik dessen konnte keinem Beobachter entgehen: Religion ist eine tolerante Angelegenheit für alle, und alle religiösen Rituale haben nur dann einen Sinn, wenn sie in absoluter Freiheit praktiziert werden. Das Freitagsgebet, so wurde hier vorgeführt, ist nicht nur fromme Pflicht, sondern auch eine Aufforderung zur Versammlung unter freiem Himmel – ohne räumliche Zwänge im Zeichen einer Despotie.

Dies bedeutet auch ein neues Verständnis der Moschee im Sinne von Freiheit und Macht: Eine Moschee kann im Freien sein, weil sie sich um die alltäglichen Dinge der Menschen sorgt, und wenn Millionen sich auf den Straßen versammeln, um eine religiöse Pflicht zu erfüllen (und gleichzeitig Freiheit fordern), so zeigen sie damit eine unerschütterliche Kraft; kein Machthaber sollte den Fehler machen zu glauben, er könne diese niederringen.

Die politische Macht hat immer versucht, den Moscheen ihre anstachelnde und erweckende Rolle zu entziehen und sie auf verschiedensten Wegen zu kontrollieren. In Libyen, besonders in den Städten des Ostens, ging dies in den achtziger Jahren so weit, dass Gläubige verhaftet wurden, nur weil sie das Morgengebet in Gemeinschaft verrichteten. Dies reichte aus, sie zu verdächtigen, sie könnten einer islamistischen Gruppierung angehören. In anderen arabischen Staaten herrschte der Gedanke vor, Moscheen hätten mit dem Alltagsleben nichts zu tun und seien ausschließlich zum Beten da.

Dieser Tage übernimmt die Religion wieder ihre natürliche Rolle als tolerante und zur Freiheit mahnende Einrichtung – so wie sie diese Funktion auch schon einnahm, als die arabischen Völker für ihre Unabhängigkeit vom Kolonialismus kämpften. Der Aufruf zum Kampf gegen die Besatzer in Algerien fand seinen Widerhall damals unter anderem auch in Tripolis.

Die Betrachtung der Freitagssymbolik und der Rolle der Religion im öffentlichen Leben soll aber nicht der Versuch sein, den arabischen Jugendrevolten einen religiösen Stempel aufzudrücken oder sie religiös zu instrumentalisieren. Im Gegenteil: Sie soll lediglich belegen, dass die offiziellen Institutionen und der Staat grundsätzlich gegen Religionsfreiheit sind und diese nur je nach politischer Interessenlage zulassen.

Mustafa el-Fituri

© Qantara.de 2011

Mustafa el-Fituri ist libyscher Publizist und Leiter der "Libyschen Akademie für Höhere Bildung" in Tripolis. 2010 gewann er den renommierten Samir-Kassir-Preis für Pressefreiheit.

Aus dem Arabischen von Günther Orth

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de