Frankreich nimmt Terror-Szenario mit Giftgas in den Blick

Nach der Terrorserie von Paris warnt Frankreichs Regierungschef Valls vor Anschlägen mit Kampfstoffen. Eine Attacke mit chemischen Waffen ist aber wohl viel komplizierter als der Griff zur Kalaschnikow. Von Jan Kuhlmann und Peter Zschunke

Auch eine Woche nach der Schreckensnacht von Paris steht Frankreich noch ganz unter dem Eindruck des Terrors. Die öffentliche Debatte widmet sich neben der dreimonatigen Verlängerung des Ausnahmezustands auch einer bislang kaum denkbaren weiteren Dimension des Terrors: der Möglichkeit eines Angriffs mit Massenvernichtungswaffen. 

«Man darf heute nichts ausschließen», sagte Regierungschef Manuel Valls zu seiner Warnung vor einem terroristischen Angriff mit chemischen oder bakteriologischen Waffen. Zugleich wurde bekannt, dass Rettungskräfte und Krankenhäuser in Frankreich für den Fall eines Angriffs mit Nervengasen künftig das Gegenmittel Atropin-Sulfat erhalten sollen. Die Entscheidung dazu wurde nach Angaben einer Militärsprecherin allerdings schon vor den Anschlägen vom 13. November getroffen.

Nur vereinzelt werden Stimmen laut, die dem Regierungschef vorwerfen, ein Klima der Angst zu schüren. Könnten Terroristen wirklich in der Lage sein, mit Giftgas in Europa anzugreifen? Der Genfer Chemiewaffenexperte Olivier Lepick äußerte sich in mehreren Interviews skeptisch. «Man muss Ruhe bewahren», sagte der Politikwissenschaftler dem Fernsehsender BFMTV. Es gebe zurzeit keinerlei Hinweise für die Vorbereitung eines Anschlags mit chemischen Waffen.

Lepick wies auf eine Vielzahl von technischen wie logistischen Hürden für die Planung und Ausführung eines Giftgasangriffs hin. «Das ist viel komplizierter als ein traditioneller Anschlag mit der Kalaschnikow oder Sprengstoff - womit klar ist, dass das Risiko relativ gering ist», sagte er bei BFMTV. Gleichwohl bestehe eine gewisse Gefahr weiter fort.

Seit dem Anschlag der Aum-Sekte in der U-Bahn von Tokio im Jahr 1995 sei bekannt, dass sich Terroristen für chemische Waffen interessieren, sagte Lepick dem Online-Dienst «atlantico.fr». Ihr Ziel einer möglichst massiven Zerstörung lasse sich auch mit biologischen Kampfstoffen oder einer «schmutzigen Bombe» mit Nuklearmaterial erreichen.

In der Vergangenheit tauchten immer mal wieder Gerüchte und Meldungen auf, die Terrormiliz IS habe Giftgas eingesetzt. So erklärte die kurdische Autonomie-Regierung im Norden des Iraks im März, ihr lägen Beweise vor, dass die Extremisten bei einem Selbstmordanschlag Chlorgas verwendet hätten. Reste des Stoffes seien in Proben vom Ort des Terroraktes zwei Monate zuvor gefunden worden.

US-Medien berichteten zudem im August, das US-Militär habe Reste von IS-Granaten positiv auf Senfgas getestet. Die Geschosse seien im Nordirak gegen die Kurden eingesetzt worden. Syrische Rebellen warfen dem Terrornetzwerk zudem im August vor, nahe der Stadt Aleppo im Norden des Landes Giftgas verwendet zu haben.

Syrien verfügte bis vor einiger Zeit über ein großes Arsenal der international geächteten Waffen. Im August 2013 kam es zu einem verheerenden Einsatz von Giftgas östlich von Damaskus. Die USA und andere westliche Staaten machten die syrische Regierung dafür verantwortlich - das Regime willigte danach vor allem auf Druck Washingtons ein, seine Chemiewaffenbestände zu vernichten. 

Der Islamische Staat, so der Wissenschaftler Lepick, könnte «versucht sein, erneut chemische Waffen zu nutzen, diesmal in einem anderen Rahmen, in terroristischen Operationen». Aber vieles an diesem Szenario sei hypothetisch - auch die Möglichkeit, dass die IS-Terroristen an alte Bestände irakischer Chemiewaffen gelangen könnten. Die Kampfstoffe hätten eine begrenzte Haltbarkeit, «wie Joghurt», erklärte der Experte. (dpa)