EU setzt im Migrationsstreit auf Ägypten - Menschenrechtler warnen

Österreichs Kanzler Kurz sieht eine «Riesenchance»: Die EU will im Kampf gegen Schlepperbanden enger mit Ägypten zusammenarbeiten. Auf wen lässt die Union sich da ein? Von Michel Winde und Jan Kuhlmann

Ein sehr guter Gesprächspartner sei Ägypten. Die EU-Staaten sollten das doch bitteschön anerkennen und dankbar für die ägyptische Effizienz sein. Mit Lob für das nordafrikanische Land - das mit harter Hand autokratisch regiert wird - sparte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz beim EU-Gipfel in Salzburg nicht.

Ägypten soll der EU künftig Migranten vom Hals halten. Man habe sich darauf verständigt, «die Gespräche zu vertiefen», sagte Kurz, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, in Salzburg. Er verkaufte das als «weiteren Schritt im Kampf gegen illegale Migration», vor allem gegen Schlepperbanden. Insgesamt ist die Zahl der in Europa ankommenden Migranten ohnehin schon deutlich gesunken.

Auch mit anderen Ländern der Region soll die Zusammenarbeit forciert werden. Dabei soll nicht nur über Migration, sondern auch über wirtschaftliche Zusammenarbeit gesprochen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die EU-Staaten seien sich einig, den Dialog mit Ägypten, aber auch mit Tunesien, Marokko sowie Libyen zu intensivieren. Ihr zufolge strebt die EU Flüchtlingsabkommen mit den Staaten an, wie sie sie ähnlich schon mit der Türkei geschlossen hat.

Bekommt die im Juni beschlossene Verschärfung der Migrationspolitik nun also Farbe? Könnten aus Seenot gerettete Migranten künftig nach Ägypten gebracht, könnte dort über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden werden? Seit Monaten findet die EU keinen nordafrikanischen Staat, der bereit ist, eine sogenannte Anlandeplattform für Migranten einzurichten. Wie diese Plattformen aussehen könnten, ist ohnehin völlig unklar.

Ägypten signalisiert nun zumindest Gesprächsbereitschaft. Viel ist das noch nicht. Dennoch klammert sich die EU daran. «Das ist eine Riesenchance, die wir nutzen sollten», sagte Kurz. Aber was ist das für ein Land, das den Knoten in der EU-Migrationspolitik zumindest lockern soll? Wovon redet Kurz, wenn er sagt, Ägypten habe die ungesteuerte Migration aus seinem Land fast vollständig unterbunden? Und ist all das mit europäischen Werten vereinbar?

Tatsächlich hat das Land seine Kontrollen an der Küste und seine Gangart gegen Schmuggler verschärft. Derzeit spielt Ägypten bei der Migration aus Afrika nur eine Nebenrolle. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) kamen seit 2016 nur einige hundert Migranten über Ägypten nach Europa.

Gerade deshalb setzt die EU beim Schutz der Außengrenzen nun unter anderem auf Ägypten. Das Land ist Teil der ostafrikanischen Route, die von Somalia über Äthiopien und den Sudan bis an die ägyptische Küste bei Alexandria führt. Vor zwei Jahren sank ein Boot, das mit rund 450 Menschen nahe der ägyptischen Stadt Rosetta abgelegt hatte.

Dutzende Migranten ertranken im Mittelmeer. Auch wenn die meisten Menschen auf dem Weg nach Europa derzeit Ägyptens Nachbarland Libyen passieren - solche Routen können sich jederzeit ändern. In der von Kriegen und Chaos gebeutelten arabischen Welt hat die EU großes Interesse, das autokratisch regierte Ägypten stabil zu halten.

Mit mehr als 95 Millionen Einwohnern ist es das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt. Große Massen leben jedoch in Armut. Zwar hat das Wachstum zugenommen, doch viele Menschen stöhnen über die Reformen, die die Regierung auf Druck des Internationalen Währungsfonds IWF gegen die Wirtschaftskrise beschlossen hat. Besonderen Unmut lösten in diesem Jahr schmerzhafte Preissteigerungen für Strom, Wasser und den öffentlichen Verkehr aus.

Menschenrechtler schütteln angesichts der EU-Pläne den Kopf. «Das deutet darauf hin, dass man Staaten vor den Toren Europas mit Finanzhilfen und Wirtschaftsunterstützung lockt, damit sie zur Entsorgungsstation für Flüchtlinge werden», sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günther Burkhardt. Dadurch werde der Zugang zum Recht auf Asyl systematisch versperrt.

Nach Einschätzung von Amnesty International hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten enorm verschlechtert, seit Präsident Abdel Fattah al-Sisi 2013 mit einem Militärputsch an die Macht kam. «Insbesondere Schutzsuchenden und Migranten droht in diesem repressiven Klima die Festnahme mit anschließender Haft», sagte Franzsika Vilmar, die bei Amnesty Expertin für Asylrecht und Asylpolitik ist. Wer das Land ohne gültige Reisedokumente betrete, müsse mit der Abschiebung rechnen - ohne dass die Fluchtgründe vorher geprüft würden. ««Regionale Ausschiffungsplattformen» haben in Ländern nichts zu suchen, in denen Flüchtlinge keinen Schutz erhalten und in denen sie der Gefahr der Zurückweisung in ihrer Heimatländer ausgesetzt sind.»

Gegen den Begriff «Anlandeplattform» wehrt Kurz sich ohnehin. Er halte dies für eine «eigenartige Wortkreation», sagte er in Salzburg. Gleichzeitig machte er aber deutlich, worauf sein Fokus liegt: Um die «Migrationsproblematik» an den Außengrenzen zu lösen, müssten Bootsflüchtlinge in ihre Transit- oder Herkunftsländer zurückgebracht werden. «Das ist mein Ziel. Und mit der Option, hier mit Ägypten zu arbeiten, sind wir diesem Ziel einen großen Schritt näher gekommen.» (dpa)