EU schließt Pakt mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise

Neuer Schwung für die Beitrittsverhandlungen, Visa-Erleichterungen und drei Milliarden Euro für Flüchtlinge in der Türkei: Auf einem Sondergipfel hat die EU der Türkei am Sonntag weitreichende Zugeständnisse gemacht, worauf beide Seiten einen gemeinsamen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise in Kraft setzten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) führte am Rande mit einigen EU-Ländern Gespräche über die mögliche Aufnahme von in der Türkei lebenden Flüchtlingen.

Der Gipfel markiere "einen historischer Tag" in den seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU, sagte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu in Brüssel. Die EU-Mitgliedschaft sei "ein strategisches Ziel" für Ankara. Erstmals seit zwei Jahren eröffnet die EU Mitte Dezember nun einen weiteren Themenbereich in den Beitrittsverhandlungen. Dabei geht es um Kapitel 17 zur Wirtschafts- und Währungspolitik.

Damit wären 15 der insgesamt 35 Beitrittsbereiche eröffnet. Zur Kenntnis nehmen beide Seiten laut Gipfelerklärung, dass die EU-Kommission im ersten Quartal 2016 die Vorarbeiten zur Eröffnung weiterer Kapitel abschließen will. Eine Vorentscheidung sei damit aber nicht getroffen, heißt es offenbar mit Blick auf Vorbehalte Zyperns wegen des Konflikts um den 1974 von türkischen Truppen besetzten Nordteil der Insel.

Die Türkei gilt für die Europäer als Schlüsselland zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Als Nachbarstaat des Bürgerkriegslandes Syrien war sie zuletzt Hauptdurchgangsland für hunderttausende Menschen, die in die EU wollten.

Der gemeinsame Aktionsplan fordert die Türkei unter anderem zu einem verstärkten Grenz- und Küstenschutz sowie zum Vorgehen gegen Schlepper auf. Europa erwarte durch die Kooperation "einen großen Schritt" bei dem Bemühen, "den Migrationszustrom einzudämmen, der über die Türkei in die EU kommt", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Vor dem Gipfel gab es jedoch erneut Mahnungen etwa von der deutschen Hilfsorganisation Pro Asyl, die vor einem "schmutzigen Deal" mit der Türkei angesichts der deutlich verschlechterten Menschen- und Bürgerrechtslage in dem Land warnte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versicherte, der Gipfel werde nicht dazu führen, "dass wir die Differenzen, die mit der Türkei bei den Menschenrechten oder bei der Pressefreiheit bestehen, vergessen. Wir werden darauf zurückkommen."

In der Türkei leben mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Bei dem Treffen ging es deshalb auch darum, ihre Lage zu verbessern, damit sie sich nicht auch auf den Weg nach Europa machen. Die drei Milliarden Euro dienten ausschließlich dem Wohl der Flüchtlinge, sagte Merkel. Sie sollten Projekte für eine bessere Gesundheitsversorgung oder den Bau von Schulen finanzieren. Davutoglu habe zugesichert, Möglichkeiten der legalen Arbeitsaufnahme für Flüchtlinge zu schaffen. Die Finanzierung der Milliardensumme blieb in der EU aber vorerst umstritten.

Schon vor dem Treffen führte Merkel mit einem Teil der EU-Länder Gespräche, bei denen es auch um die Umsiedlung von in der Türkei lebenden Flüchtlingen in die EU ging. Solche "Kontingente" seien möglich, auch wenn noch "keine einzige Zahl genannt" worden sei, sagte Merkel. Die EU-Kommission werde bis zum EU-Gipfel am 17. Dezember Vorschläge unterbreiten.

Der Gipfel stellte auch den Wegfall des Visa-Zwangs für türkische Bürger in Aussicht. Voraussetzung ist, dass Ankara ein bereits vereinbartes Rücknahmeübereinkommen für Flüchtlinge im Juni 2016 vollständig in Kraft setzt. Damit könnte die EU Flüchtlinge aus Drittstaaten in die Türkei abschieben. Im Gegenzug würden spätestens im Oktober 2016 "im Schengen-Gebiet alle Visa-Erfordernisse für türkische Bürger aufgehoben".

Merkel sagte mit Blick auf die gesamten Vereinbarungen mit der Türkei, diese würden "Zug um Zug" umgesetzt. Dies werde "noch ein sehr spannender Prozess". (AFP)

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