Ende des apokalyptischen Kalifats - Hintergründe zum Sturm auf IS-Hochburg Mossul

Nach mehr als zwei Jahren geht die IS-Schreckensherrschaft zu Ende. Ein internationales Bündnis hat mit dem Sturm auf Mossul begonnen, zweitgrößte irakische Stadt und Hochburg der Terrormiliz. Eine Schlacht mit Symbolkraft. Von Mey Dudin

Auf einmal geht alles sehr schnell. Zwei Jahre und drei Monate nach der Eroberung der irakischen Millionenstadt Mossul durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) steht das Ende ihrer Schreckensherrschaft bevor. Ein breites, aber ungleiches Bündnis aus irakischer Armee, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und internationalen Truppen drängte in den vergangenen Monaten die Dschihadisten zurück, schnitt Versorgungswege ab und ließ Geldquellen mit der Rückeroberung von Öl- und Gasanlagen versiegen. Am Montagmorgen verkündete Iraks Präsident Haider al-Abadi über Twitter: «Die Stunde hat geschlagen». Die Schlacht um Mossul hat begonnen.

Der Sturm auf die Millionenstadt markiert auch symbolhaft die Niederlage der Dschihadisten, die am 10. Juni 2014 zu einem Siegeszug angetreten waren, der sie zur mächtigsten, reichsten und gefürchtetsten Terrororganisation machen sollte. In der zweitgrößten irakischen Stadt war im Sommer 2014 deutlich geworden, dass der IS seine Machtansprüche auch in die Praxis umsetzen kann. Die Dschihadisten begannen in Mossul rasch eigene «staatliche» Strukturen aufzubauen, richteten Ministerien und Scharia-Gerichte ein.

Ende Juni 2014 verbreitete Propagandachef Abu Mohammed al-Adnani über soziale Medien die Kunde: «Heute sind die Nationen des Unglaubens im Westen in Panik. Heute sind die Flaggen des Satans und seiner Partei gefallen.» Er proklamierte: «Jetzt ist das Kalifat zurückgekehrt.» Selbsternannter Kalif des riesigen Gebiets von Nordsyriens «Aleppo bis Dijala» im Osten Iraks wurde Abu Bakr al-Baghdadi, der Chef der Terrororganisation. In Mossul zeigte er sich erstmals zum Freitagsgebet im Fastenmonat Ramadan in der großen Moschee, wo er ganz in schwarz gekleidet zum «Dschihad» aufrief.

Für die Bürger von Mossul änderte sich der Alltag dramatisch: Ladenbesitzer mussten zu Gebetszeiten ihre Geschäfte schließen, Alkohol und Zigaretten wurden verboten. Vermeintliche Gegner wurden gejagt, getötet und in Massengräbern verscharrt. Die Dschihadisten zerrten Homosexuelle auf hohe Gebäude und stürzten sie in den Tod.

IS-Anhänger präsentierten sich als Krieger der letzten Stunde, die den apokalyptischen Endkampf führten. Ihr englischsprachiges Magazin nannten sie «Dabiq» und ihre Nachrichtenagentur «Amaq». In der islamischen Überlieferung heißt es, dass «die letzte Stunde nicht kommen wird, bis die Römer in Amaq oder Dabiq» landen - den Orten der Endschlacht also.

Nach zwei Monaten - in denen sie unbesiegbar schienen – machten die IS-Führer einen strategischen Fehler, der eine Wende brachte: Im August 2014 griffen sie die Autonomieregion Kurdistan im Nordirak an, wo viele US-Einrichtungen sind, und machten Jagd auf religiöse Minderheiten.

Die USA verkündeten daraufhin den Start zweier Militäroperationen: eine zum Schutz der US-Amerikaner im Irak und eine zur Verhinderung eines Genozids an den Jesiden, die von den Extremisten als «Teufelsanbeter» verfolgt, versklavt und getötet wurden. Auf die Luftangriffe reagierte der IS mit Enthauptungen westlicher Geiseln - der erste war der US-Journalist James Foley. Und je mehr der IS in Syrien und im Irak in Bedrängnis geriet, umso mehr reagierte er mit Terroranschlägen - auch in westlichen Ländern.

Inzwischen hat ein breites US-geführtes internationales Bündnis Tausende Luftschläge gegen den IS geflogen. Auf dem Boden machen Armeen und Milizen den Dschihadisten den Garaus. Vom «Islamischen Staat» dürfte bald nichts mehr übrig sein. Propaganda-Chef Adnani, der das Kalifat einst ausrief, ist tot. Dabiq bei Aleppo - angebliches Schlachtfeld der Apokalypse - wurde am Sonntag von syrischen Rebellen zurückerobert. Und rechtzeitig vor Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama ist auch Mossul für die Dschihadisten so gut wie verloren.

Ist damit auch der Irak-Konflikt zu Ende? Wohl kaum. Die alten Probleme, durch die der IS so stark werden konnte, bleiben ungelöst. Im Irak fühlen sich Sunniten bis heute benachteiligt und Kurden wollen ihren eigenen Staat. Und da manche Dschihadisten wohl erbittert Widerstand leisten werden, dürften Hunderttausende Menschen fliehen müssen. Iraks Regierung und UN-Helfer haben bereits neue Notaufnahmelager in der Provinz errichtet. (epd)