«Ein Blogger und keine Panzer» - Sigmar Gabriels heikle Mission am Golf

Geschäfte oder Menschenrechte? Die SPD-Seele in Wirtschaftsminister Gabriel entscheidet sich in Riad lautstark für Letzteres. Die Internet-Gemeinde wird jubeln, aber hilft das auch Raif Badawi? Von Tim Braune

Sigmar Gabriels Weg zum König führt durch eine prächtige Rotunde, über edle Teppiche und Marmorböden an der Ehrengarde vorbei. Die goldenen Säbel blitzen, Dolch und Pistolengurt sind über die Bäuche gespannt. Besonders aufgeregt wirken die Männer gesetzten Alters nicht. Es kommt oft Besuch.

Im Palast ist es beinahe still. Nur die letzten Rufe des Muezzins vom Mittagsgebet hallen durch den königlichen Diwan. König Salman steht neben seinem imposanten Schreibtisch, als der deutsche Vizekanzler den Raum betritt. Salman war noch beim Gebet, so verzögert sich das Treffen. Gabriel wartet im nahe gelegenen Hotel auf ein Zeichen.

Dafür wird er gleich mit der Anwesenheit des Königs, von Kronprinz Muqrin und dem halben saudischen Kabinett geehrt - und gemessen an den Verpflichtungen des Hüters der heiligen Stätten von Mekka und Medina auch mit fast unendlich viel Zeit beschenkt.

Fast zwei Stunden verbringt der Genosse in dieser Runde. Mehr als die Hälfte der Zeit parliert er direkt mit dem König, der neben ihm im Sessel sitzt. Viel wurde gemunkelt, Salman, der Ende Januar den Thron von seinem gestorbenen älteren Bruder Abdullah übernahm, sei schwer krank, vielleicht dement. Auf Gabriel macht er einen frischen Eindruck: «Der König war ausgesprochen gut informiert.»

Griffbereit auf einem vergoldeten Tisch steht des Königs Tablet, eingefasst in einen schwarzen Rahmen. Draußen vor der Tür zählen Gabriels Vertraute die Minuten: «Mehr als Obama», jubelt dann ein deutscher Diplomat, als die erste Stunde überschritten ist. Die Aufpasser im Diwan winken. Nicht so laut, «no pictures».

Es gibt aber viel zu bereden. Das Königshaus ist irritiert bis verärgert, dass Berlin keine schweren Waffen mehr liefern will, Kampfpanzer sowieso nicht, obwohl doch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an den Landesgrenzen steht. Und dann dreht sich ja alles noch um diese eine Person.

Das Schicksal des liberalen Bloggers Raif Badawi hat den Westen aufgewühlt, von Amnesty bis zur Bundesregierung. Die Kanzlerin intervenierte zwei Mal bei Salman, erzählt Gabriel und holt die CDU-Chefin so fix mit ins Menschenrechtsboot. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und der deutsche Botschafter in Riad, übrigens der Sohn von ARD-Reporterlegende Gerd Ruge, setzten sich für Badawi ein.

Gabriel, der als Vorsitzender der Friedenspartei SPD beim Thema Menschenrechte liefern muss und will, nimmt in Riad kein Blatt vor den Mund. Das ist insofern erstaunlich, weil er vor einer Woche die gegenteilige Losung ausgab. Zu viel Öffentlichkeit könne Badawi schaden. «Wenn man sich öffentlich produzieren will, dann kann das dazu führen, dass genau das Gegenteil passiert.» In Peking ging das schon mal daneben. Gabriel gab auf dem Hinflug ein Meeting mit Regime-Kritikern bekannt - am Abend stand die chinesische Sicherheitspolizei bei den Leuten vor der Tür.

Von diplomatischer Zurückhaltung verabschiedet sich der Goslarer während der Arabien-Reise rasant. Am Samstag, kurz vor dem Berliner Rollfeld, lässt er seinen schwarzen Dienst-Audi stoppen. Drei Dutzend Aktivisten stehen da, verlangen Badawis Freilassung. Gabriel plaudert. Eine Million Badawi-Klicks der Netzgemeinde sind verlockend für einen SPD-Chef, der mit seiner Partei bei 25 Prozent feststeckt und gegen eine übermächtige Kanzlerin kaum einen Stich macht.

Ungefragt erzählt Gabriel, er habe ja seine Erfahrungen als Troubleshooter. «Ich hab schon mal jemand in Damaskus rausgeholt.»

Lange ist das her. Gabriel war Ministerpräsident in Hannover, auf Besuch bei Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Gabriel setzte sich für einen aus Niedersachsen abgeschobenen Syrer ein, der im Knast gelandet war - ein paar Wochen nach dem Assad-Treffen soll der Mann frei gewesen sein. Ist das bei Badawi auch realistisch?

Gabriel bringt beim König eine Art Gnadengesuch vor. Die harte Strafe, zehn Jahre Haft und 1000 Stockschläge für Badawi, habe doch Riads Ansehen geschadet «und zu einer tiefen Verunsicherung und Verstörung in Deutschland geführt». Diplomaten zweifeln am Erfolg.

Salman, kaum an der Spitze seines von Iran bis IS bedrohten Königreichs, werde schwerlich einen Mann freilassen können, der den Islam beleidigt haben soll. Auch Gabriel erwartet keine schnelle Lösung, pocht aber auf «Milde und Menschenwürde» für Badawi – Ende offen. Allein seit Jahresbeginn ließ das Königshaus nach Angaben von Amnesty International 40 Menschen hinrichten. (dpa)

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