Zwischen den Fronten

Die Durchsuchungen internationaler und lokaler Nichtregierungsorganisationen in Ägypten sind nicht nur Teil einer Kampagne zur Repression der Zivilgesellschaft, sondern stellen auch einen Versuch des Militärrats dar, seine eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Von Matthias Sailer.

Analysiert man die Berichterstattung über die letzte Durchsuchungswelle von Nichtregierungsorganisationen in Ägypten, steht vor allem die Unterdrückung der Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und Think Tanks im Mittelpunkt, die die Gewalt des Militärrats thematisieren.

Dieser Aspekt ist zweifelsohne zentral und die Unterdrückung von kritischen Informationen über die Armee ein Ziel des Militärrats. Jedoch erschließt sich bei genauerer Analyse noch ein weiterer wichtiger Punkt: nämlich der Versuch des Militärrats, seine in den letzten Wochen zunehmend in Frage gestellte Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Wählerin bei der Stimmabgabe in El Arish; Foto: Reuters
Wahlerfolg der Muslimbrüder: Nach der dritten Etappe der ägyptischen Parlamentswahlen reklamieren die gemäßigten Islamisten den Wahlsieg für sich. Die "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit" erklärte, im ersten Durchgang 35,2 Prozent der Stimmen erhalten zu haben.

​​Die Durchführung der Parlamentswahlen ohne zentral gesteuerte Manipulation oder Gewalt, zielte bereits in diese Richtung und hätte die Installation eines vom Militär unterstützten Präsidentschaftskandidaten erheblich erleichtert, da der Militärrat seine Unterstützung für mehr Demokratie damit unter Beweis gestellt hätte.

Die unzähligen staatlichen Fernsehbilder von Soldaten, die alte und gebrechliche Menschen in die Wahllokale begleiteten, unterstützen diese Annahme. Es kam jedoch bekanntlich anders und das wahre Gesicht des Militärs zeigte sich in den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Dezember.

Unter Zeitdruck

Darüber, was den Kurswechsel bewirkt hat, kann man bisher nur spekulieren, da die innere Dynamik von Innenministerium und Armee kaum durchschaubar ist. Eine logische Erklärung wäre jedoch folgende: Nachdem der Militärrat durch die Proteste im November, etwa eine Woche vor Beginn der Parlamentswahlen am 28. November, dazu gezwungen wurde, die Präsidentschaftswahlen, die bisher erst deutlich später geplant waren, auf Ende Juni 2012 vorzuziehen, gab es schlicht keine realistische Chance mehr, die Unterstützung für einen eigenen oder leicht zu kontrollierenden Präsidentschaftskandidaten in so kurzer Zeit zu installieren.

Ausschreitungen am Tahrirplatz in Kairo: Foto: dapd
Parlamentswahlen im Schatten der Gewalt: Ende Dezember wurden bei viertägigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern des regierenden Militärrats und den Sicherheitskräften 17 Menschen getötet und mehr als 900 verletzt.

​​Was dem Militär nun noch blieb, war vor allem gewaltsame Repression. Dabei war es jedoch keine Option, massive Gewalt anzuwenden, um die Wahlen zu stören, da ansonsten die nach politischer Macht strebenden Muslimbrüder sich durch massive Mobilisierung ihrer Mitglieder gegen den Militärrat aufgelehnt hätten.

Die auf einen noch schnelleren Machtwechsel, nämlich die sofortige Übergabe aller Exekutivmacht an eine zivile Übergangsregierung drängenden Revolutionsaktivisten des 25. Januar hingegen konnten leichter unterdrückt werden: die Toten während der Sitzblockade vor dem Parlaments- und Kabinettsgebäude im Dezember reichten nicht aus, um den Tahrirplatz auch nur annähernd zu füllen. Die Mehrheit der Bevölkerung sah den besten Weg zu mehr Demokratie darin, zuerst die Wahlen halbwegs geordnet ablaufen zu lassen.

Kampagnen gegen die Gewalt der Militärs

Ob sich das Militär durch den massiven Gewalteinsatz verkalkuliert hat, werden die nächsten Wochen zeigen. Im Rahmen zahlreicher Kampagnen wird gegenwärtig ausführlich über die Gewalt des Militärs informiert. Bereits im vergangenen Dezember berichteten einige Zeitungen sowie private Medien über dessen brutales Vorgehen. Und hätten nicht zum selben Zeitpunkt Parlamentswahlen stattgefunden, wäre es vermutlich zu erneuten Großdemonstrationen gegen die Militärherrschaft gekommen.

Doch seitdem ist der Militärrat unter erheblichen Druck durch die neuen politischen Akteure geraten: Ägyptens Muslimbruderschaft. Zahlreiche Politiker bezweifelten die vordergründige Erklärung des Militärrats, dass vom Ausland finanzierte, lokale Gruppierungen für die Gewalt verantwortlich seien und bestanden darauf, die Namen dieser Gruppen zu erfahren. Doch diese von mehreren Mitgliedern des Militärrats häufig abgegebene Erklärung blieb stets vage, Beweise wurden nie vorgelegt.

NGOs als Sündenböcke

Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo; Foto: dpa
Dem Militärrat ein Dorn im Auge: Ägyptische Sicherheitsbehörden hatten am 29. Dezember zahlreiche Büros von Nichtregierungsorganisationen durchsucht, darunter die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo.

​​Die kürzlich stattgefundenen Durchsuchungsaktionen geben dem Militär in der öffentlichen Meinung nun Glaubwürdigkeit zurück: die staatlichen Zeitungen stellten die durchsuchten Organisationen wie die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung oder das US-amerikanische National Democratic Institute als illegal tätige Organisationen dar. Dadurch werden die Behauptungen des Militärrats in der ägyptischen Öffentlichkeit wieder schlüssiger, gibt es nun doch "sichtbare" ausländische Akteure zu präsentieren.

Das dürfte viele, vor allem wenig gebildete Ägypter dazu veranlassen, dem Militär wieder mehr Vertrauen zu schenken, das durch den Gewalteinsatz zuletzt erheblich an Glaubwürdigkeit verloren hat. Dies auch nicht zuletzt deswegen, weil durch die staatliche Propaganda und den überall präsenten Nationalismus tiefes Misstrauen in der Bevölkerung gegen das westliche Ausland gesät worden ist.

Zu dieser Strategie passt auch, dass zum selben Zeitpunkt die Oppositionszeitung Al-Wafd einen Artikel veröffentlichte, in dem unter Verweis auf ein von Wikileaks veröffentlichtes Dokument der US-Botschaft behauptet wird, dass zahlreiche in dem Dokument genannte Oppositionspolitiker und Aktivisten vom Ausland finanziert wurden. Im Originaldokument wird jedoch an keiner einzigen Stelle von Finanzierung gesprochen. Es handelte sich letztlich um eine gezielte Manipulation.

Matthias Sailer

© Qantara.de 2012

Matthias Sailer ist Politologe mit dem Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten. Er studierte an der FU Berlin, der University of Oxford und der "School of Oriental and African Studies" in London und berichtet derzeit als Journalist aus Kairo.