"Die Steine erzählen die Geschichte" – das syrische Kloster Deir Mar Elian als islamisch-christliche Begegnungsstätte

Das Kloster Deir Mar Elian im syrischen Karjatain war eine Begegnungsstätte für Christen und Muslime. Zu Kriegsbeginn wurde es zur Anlaufstelle für Hilfesuchende. Heute liegt es in Trümmern - zerstört von IS-Kämpfern.

Vor den Toren der syrischen Wüstenstadt Karjatain liegt das Kloster Deir Mar Elian. Rund zwei Stunden dauert die Fahrt von Homs über die alte Landstraße, die über die Orte Sadat und Hawarin dorthin führt. An der Wegstrecke liegen kleine Dörfer, die im Wechsel von Muslimen, Alawiten und Christen bewohnt sind. Alle haben über Jahrhunderte die weite Steppe in eine üppig kultivierte Obst- und Gemüselandschaft verwandelt. Oliven-, Mandel- und Aprikosenbäume reichen bis zum Horizont. Am Straßenrand werden Weintrauben, Granatäpfel, Tomaten und Gurken verkauft. In Sadat hängen große Transparente und Bilder von den Fassaden der Häuser und von der Kirche herab. Dutzende Menschen wurden hier bei zwei Angriffen der Terrormiliz "Islamischer Staat" getötet.

Weiter südöstlich liegt das Dorf Hawarin, wo die Gotteskrieger offenbar auf Sympathie stießen. Schweigen lastet über den Trümmern. Keine Menschenseele, kein Tier, nicht einmal ein Vogel ist zu hören. Hinter dem Ort, entlang der ansteigenden Straße sind Kampfspuren zu sehen: ausgebrannte und umgestürzte Panzer, Krater von Explosionen, Raketen und Granatenreste. Über eine Klippe führt die Straße hinunter in eine weite Ebene. Hier liegt Karjatain inmitten von Feldern und Obstplantagen. Einst führte hier die Seidenstraße von Palmyra Richtung Damaskus vorbei - ein ersehnter Rastplatz mitten in der Wüste.

Das Kloster Mar Elian wurde vermutlich im 4. Jahrhundert gebaut und ist dem Heiligen Elian gewidmet, der nach der Überlieferung aus dem Südosten der Türkei stammte. Als Elian auf der Pilgerreise nach Jerusalem starb, wurde er hier in einem Granitsarkophag bestattet. Über dem Grab entstand eine Kirche, später wurde das Kloster errichtet, das in den folgenden Jahrhunderten für Reisende und Pilger an Bedeutung gewann. Erst 2001 begann eine britisch-syrische Ausgrabungsmission die Fundamente des alten Klosters freizulegen.

Die syrisch-katholische Glaubensgemeinschaft aus Mar Elian und dem Schwesterkloster Deir Mar Musa al-Habashi widmeten sich der Restaurierung des alten Gebäudes. Die Gemeinschaft pflegte mit ihrer muslimischen Nachbarschaft den interreligiösen Dialog; Interessierte aus aller Welt reisten an, um von den Erfahrungen zu lernen. Mit Beginn des Kriegs in Syrien 2011 wurden Karjatain und das Kloster Mar Elian zur Anlaufstelle für Hilfesuchende. Zunächst kamen die Menschen aus dem westlich gelegenen Homs, dann die Flüchtlinge aus den umliegenden Dörfern, wo Gotteskrieger aus aller Welt Angst und Schrecken verbreiteten.

Herz und Seele von Mar Elian war der syrische Priester Jacques Mourad. Mit dem Großmufti von Karjatain bildete er das Rückgrat des örtlichen Versöhnungskomitees, das alles unternahm, um die Stadt nicht in die Hände der bewaffneten Gruppen fallen zu lassen, die sich von Osten und Südosten her näherten. "Wenn sie bei uns einfallen, wird die Armee zuschlagen", sagte der Priester 2014 bei einem Treffen des Versöhnungskomitees in Karjatain. Kein Stein werde auf dem anderen bleiben.

Im August 2016 liegt Karjatain in Trümmern. Das Kloster vor den Toren der Stadt ist zerstört. Begonnen hatte die Tragödie im Mai 2015, als Pater Jacques Mourad und ein Mitarbeiter von IS-Anhängern verschleppt wurden. Bald rückten die Terroristen von Palmyra nach Karjatain vor und begannen, die Ausgrabungsstätte und die alte Kirche zu verwüsten. Die neue Kirche wurde gebrandschatzt, der Friedhof und sämtliche Gebäude wurden zerstört und teilweise angezündet.

Im März 2016 eroberte die Armee den Ort zurück, tötete und vertrieb die Fanatiker. Kein Stein war auf dem anderen geblieben, wie Mourad es vorausgesagt hatte. Er hat die Geiselhaft überlebt und ist heute außerhalb Syriens in einem anderen Kloster der Gemeinschaft tätig. In Mar Elian, wo früher Lachen und Musik erklang, wo gearbeitet und diskutiert, gebetet und getröstet wurde, herrscht Schweigen. "Jeder Stein erzählt von dem Leben, das wir früher hier geteilt haben", sagt der pensionierte Lehrer Abu Anas, ein Muslim. Fast täglich komme er zum Kloster, um begreifen zu können, was geschehen ist. (KNA)