Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Eine junge palästinensische Flötistin aus Beit Jala hat es geschafft, einen begehrten Platz an einer angesehenen deutschen Musikhochschule zu bekommen, obwohl sie zuvor kaum Unterricht in klassischer Musik erhalten hat. Kate Hairsine berichtet über den erstaunlichen Lebensweg einer zielstrebigen jungen Frau.

Von Kate Hairsine

Mit ihrer engen Jeans und dem pinken Pullover sieht Dalia Moukarker nicht anders aus, als jede deutsche Studentin. Doch die 20-jährige Flötistin aus Palästina hat einen erstaunlichen Weg hinter sich. Noch zwei Monate zuvor lebte sie in Beit Jala in der Westbank – und nun hat sie, trotz mangelndem Unterricht in Klassischer Musik, einen von vier Plätzen erhalten, um an der Karlsruher Musikhochschule Flöte zu studieren.

"Es ist wie ein Traum", sagt sie, als sie ihre Flöte auspackt und die Noten aus dem Rucksack nimmt. Vor sechs Jahren wusste Moukarker noch nicht einmal, was eine Flöte ist. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, sich für kostenlosen Flötenunterricht an ihrer Schule anzumelden, denn sie war entschlossen, Musik zu lernen.

Flucht vor der Wirklichkeit

Moukarker verliebte sich sogleich in den Klang des Instruments – und die Flöte ermöglichte es ihr, der brutalen Wirklichkeit eines Lebens in der Westbank zu entfliehen. "Ohne Musik kann ich nicht leben", erklärt sie. "Wenn Bomben fielen, dann hasste ich das Leben. Ich spielte 12 Stunden am Tag Flöte, um der Realität zu entfliehen. Es war egal, was ich spielte – ich spielte einfach so lange, bis ich nicht mehr konnte."

Da sie mit ihren Eltern und fünf Geschwistern zusammenlebte, war es manchmal schwer, einen Ort zum Spielen zu finden. Oft suchte Moukarker Zuflucht in dem leeren Wassertank auf dem Hausdach. "Es gab dort viel Echo, aber es gefiel mir", erinnert sie sich mit einem schiefen Lächeln.

Die Mauer in Südjerusalem; Foto: EPA/Jim Hollander
Kein unüberwindbares Hindernis: Als Moukarker 18 Jahre alt wurde, war es ihr zwar nicht mehr gestattet, auf die andere Seite der Mauer nach Jerusalem zu fahren. Ihr Lehrer, Raanan Eylon, ließ sich davon jedoch nicht abschrecken und besuchte sie in Beit Jala, so dass der Unterricht fortgesetzt werden konnte.

​​Schwierigkeiten bereitete es ihr auch, einen richtigen Flötenlehrer zu finden. Klassische Musik ist wenig verbreitet in Palästina, ebenso rar sind Musiklehrer. Als der Unterricht an ihrer Schule endete, nahm sie ein paar Stunden bei europäischen Lehrern, welche mit der Barenboim-Said-Stiftung arbeiteten. Schließlich fand sie einen israelischen Flötenlehrer, der bereit war, sie auch umsonst zu unterrichten.

Als Moukarker 18 Jahre alt wurde, war es ihr jedoch nicht mehr gestattet, auf die andere Seite der Mauer nach Jerusalem zu fahren. Ihr Lehrer, Raanan Eylon, ließ sich davon jedoch nicht abschrecken und besuchte sie in Beit Jala, so dass der Unterricht fortgesetzt werden konnte. "Ich glaube, er hat an mich geglaubt", antwortet Moukarker auf die Frage, weshalb ihr Lehrer solch einen Aufwand auf sich genommen hatte. "Ich war so glücklich, dass ich weiterhin Unterricht nehmen konnte. Er war meine einzige Chance, um dieses Ziel zu erreichen."

Der israelische Flötenlehrer war nicht die einzige Person, die die Flötistin auf ihrem Weg unterstützt hat. Vor einem Jahr brachte eine Deutsche, die ihr zuvor Flötenunterricht in der Westbank erteilt hatte, die junge Frau nach Deutschland, um ihr bei der Suche nach einem Studienplatz zu helfen. Während dieses Besuchs hatte Moukarker ihre erste Unterrichtsstunde bei ihrer jetzigen Flötenlehrerin Renate Greiss-Armin, einer Professorin am Karlsruher Konservatorium.

Ausdrucksstarkes Spiel

"Als ich sie vor einem Jahr zum ersten Mal sah, war ich erstaunt. Sie spielte den ersten Satz eines Flötensolos von Johann Sebastian Bach und ich wusste sofort, dass sie mit ihrem Instrument etwas ausdrücken wollte", erinnert sich Greiss-Armin. "Man spürte, dass dieses Mädchen sprechen, singen, sich ausdrücken wollte."

Mit dem Wissen, dass sie das Zeug für eine Musikschule hatte, kehrte Moukarker nach Palästina zurück und verbrachte ihre Zeit damit, für die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Karlsruhe zu üben. In der Zwischenzeit kümmerte sich ihre deutsche Mentorin um das Aufbringen finanzieller Mittel für Moukarkers Flugticket nach Deutschland.

Als klar war, dass die Palästinenserin beim Vorspielen beinahe 100 Mitbewerber geschlagen und einen der vier Plätze an der angesehen Musikhochschule erhalten hatte, konnte sie es kaum fassen. "Wir weinten, lachten und rannten herum, ich rief alle möglichen Leute an und schrieb E-Mails", erinnert sich die Musikerin. "Es war verrückt."

Konzert von Schülern der Barenboim-Said-Stiftung in Ramallah; Foto: DW/Mustafa Khabeisa
Förderung für junge Talente aus Konflikt- und Krisengebieten: Die Barenboim-Said-Stiftung unterstützt die Verbreitung klassischer Musik in den palästinensischen Gebieten. Durch die Etablierung von Musikschulen, Orchester-Workshops und Konzerten möchte die Stiftung zur Verbreitung von Toleranz und friedlicher Koexistenz beitragen.

​​Musikalischer Nachholbedarf

Die Universität organisierte für Moukarker ein Stipendium in Höhe von 800 Euro im Monat, andernfalls wäre es für sie nicht möglich gewesen das Studium in Deutschland aufzunehmen. 

Während all der Jahre ihres sporadischen Musikstudiums hatte sie niemals Akkorde oder Noten benennen müssen. Ihre Lieblingskurse sind der Flötenunterricht und die Musikanalyse. Letztere hilft ihr, die "Wurzeln eines Stücks" zu verstehen. "Ich habe so etwas nie zuvor gelernt. Es ist großartig", schwärmt sie.

Als die junge Frau ihre Flöte wieder aufnimmt um zu üben, erklärt sie, dass sie – obwohl sie sehr glücklich in Deutschland ist – nicht ewig hier bleiben wolle. Trotz der schwierigen politischen Situation in Palästina liebe sie ihre Heimat, weshalb sie dorthin zurückkehren werde.

Kate Hairsine

Aus dem Englischen von Laura Overmeyer

© Deutsche Welle 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de