Die Konfessionalisierung der Gouverneurswahl in Jakarta

Der Riesenstaat Indonesien mit seinen mehr als 200 Millionen Muslimen galt als Musterbeispiel dafür, dass Demokratie und Islam vereinbar sind. Der Wahlkampf um den Gouverneursposten in Jakarta lässt Zweifel aufkommen. Wer gewinnt: Christ oder Muslim? Von Christoph Sator

Der Zaun der Istiqomah-Moschee in Jakarta ist kein Platz für Wahlplakate. Trotzdem hängt dort, an einer viel befahrenen Straße im Süden der indonesischen Hauptstadt, ein grünes Schild: „Muslime dürfen Ungläubige nicht zu ihren Führern wählen. Wer einen Ungläubigen wählt, wird das bereuen.“ Das Wort “Kafir“ (“Ungläubiger“) ist in blutroten Buchstaben geschrieben, die unten auslaufen. Damit auch wirklich jeder die Botschaft versteht. So sieht der Wahlkampf um den Gouverneursposten der Mega-City Jakarta gerade aus, Zentrum eines 250-Millionen-Einwohner-Staats, des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Welt.

In der Stichwahl am Mittwoch nächster Woche stehen sich Amtsinhaber Basuki Tjahaja Purnama und Anies Baswedan gegenüber, ein ehemaliger Erziehungsminister. Ein Christ gegen einen Muslim. Eine Gouverneurswahl als Religionsschlacht. Dabei galt der 17 500-Inseln-Staat bislang als Modell für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Seit einiger Zeit gewinnen aber auch hier radikalere Kräfte an Einfluss. Sie wollen Purnamas Wiederwahl unbedingt verhindern.

Der 50-Jährige gehört in Indonesien gleich zwei Minderheiten an: Er hat chinesische Wurzeln, und er ist Christ, einer von vielleicht 20 Millionen. Für den Amtsinhaber, den alle nur bei seinem Spitznamen Ahok nennen, ist es die erste Spitzenkandidatur. Beim vorigen Mal war er zweiter Mann hinter Joko Widodo, dem heutigen Präsidenten. Als der Gouverneur 2014 zum Staatschef gewählt wurde, rückte er auf. Für seine Arbeit bekam Ahok viel Lob. Er gilt als Macher, als Mann der klaren Worte, als unbestechlich. Bis in den vergangenen Herbst galt seine Wiederwahl als ziemlich sicher. Dann allerdings, eher beiläufig, sagte er zu ein paar Fischern, sie sollten sich nicht von jenen leiten lassen, die den Koran zitierten, um seine Wahl zu verhindern. Daraus entwickelte sich große Empörung. Viele Muslime empfanden dies als abfällige Äußerung über den Koran. Seinen Gegnern kam die Bemerkung gerade recht. Ihnen gelang es, bis zu eine halbe Million Menschen zu Massenprotesten auf die Straße zu bringen. Auf Hetzseiten im Internet kursierten sogar Mordaufrufe. Inzwischen wird Ahok wegen Gotteslästerung der Prozess gemacht: Jeden Dienstag muss er vor Gericht. Gut möglich, dass er verurteilt wird.

Dennoch kam er in der ersten Runde auf 43 Prozent. Gegner in der Stichwahl ist Baswedan, der unter Widodo Minister wurde, dann aber die Seiten wechselte. In Indonesien ist das nicht ungewöhnlich. Entscheidend dürfte nun sein, wer die 17 Prozent der Wähler bekommt, die für den Drittplatzierten gestimmt hatten, einen Muslim. Wie Baswedan. Der 47-Jährige, der auch schon Rektor von Jakartas renommierter Paramadina-Universität war, ist einer der aktuellen Stars in Indonesiens Politik. Auch als Präsidentschaftskandidat wird er schon gehandelt. Anies - man nennt ihn beim Vornamen - ist alles andere als ein religiöser Eiferer. Ein ehemaliger Studentenführer, westlich erzogen, ausgezeichnetes Englisch.

Von Plakaten wie an der Istiqomah-Moschee distanziert er sich. Beim Wahlkampf in einem von Jakartas Fünf-Sterne-Hotels gehört neben Nationalhymne auch ein gemeinsames Gebet dazu, aber die meisten Frauen sind ohne Kopftuch da. “Wir müssen die bestehenden Gräben überwinden“, sagt er der dpa. “Wir brauchen Einigkeit.“ Das hinderte ihn aber nicht daran, im Wahlkampf mehrmals zusammen mit dem Chef der radikalen Islamischen Verteidigungsfront (FPI), Rizieq Shabib, aufzutreten. Shabib gilt als treibende Kraft hinter den Protesten gegen Ahok. Anies hat auch die Unterstützung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Prabowo Subianto, eines Ex-Generals, den er zusammen mit Ahok vor drei Jahren noch bekämpft hatte. In die Stichwahl geht er nun als Favorit.

Der Amtsinhaber hält sich seit einer Weile vergleichsweise zurück. In seinem Hauptquartier steht Ahok zwar als Pappkamerad (in seiner Wahlkampf-Monitur: Jeans und kariertes Hemd), aber blicken lässt er sich nicht. Einige Besucherinnen, die sich eigens ebenfalls kariert angezogen haben, sind enttäuscht. Aber die Berater haben Zurückhaltung empfohlen: jetzt, da die Proteste abgeflacht sind, bloß keinen neuen Ärger. Deshalb wird nicht einmal verraten, wo genau Ahok Wahlkampf macht. Ein Termin wurde aber jetzt schon bekanntgegeben. Drei Tage vor der Wahl, am Sonntag, wird der christliche Gouverneurs Jakartas neueste Moschee einweihen: ein riesiges Gebetshaus, gebaut im Auftrag der Stadt, mit Platz für 12 500 Gläubige.  (dpa)