Der «Mann gegen Erdoğan» - Berlin empfängt Kurdenpolitiker Demirtaş

Selahattin Demirtaş ist der Mann, der den türkischen Präsidenten Erdogan bei den bevorstehenden Neuwahlen so richtig ärgern kann. Jetzt kommt der Kurden-Politiker zu Besuch nach Berlin. Das Interesse ist groß. Von Christoph Sator

Normalerweise wäre das in Berlin ein Besuch unter vielen. Am Wochenende kommt ein ausländischer Oppositionspolitiker, der Chef einer 13,1-Prozent-Partei, die möglicherweise schon bald nicht mehr im Parlament sitzt. Unter normalen Umständen gäbe es keinen Grund, sich für den Mann besonders zu interessieren. Wenn das nicht Selahattin Demirtaş aus der Türkei wäre, der Vorsitzende der prokurdischen Partei HDP, Widersacher des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. So ist das Interesse groß.

Seit der 42-Jährige die HDP bei der Parlamentswahl im Juni erstmals über die Zehn-Prozent-Hürde gehievt hat, gilt er als einer der Jungstars der internationalen Politik. «Kurden-Obama» nennen ihn viele. Nun hat Erdoğan für den 1. November Neuwahlen angesetzt. Wenn es Demirtaş dann gelingt, seinen Erfolg zu wiederholen, ist es für die Regierungspartei AKP mit dem Traum von der absoluten Mehrheit aller Voraussicht nach vorbei.

So bekommt der Mann aus der Kurdenhochburg Diyarbakir in Berlin einen Empfang, wie er für Oppositionsleute ziemlich ungewöhnlich ist. Eingefädelt wurde der Besuch von Grünen-Chef Cem Özdemir, mit dem er schon länger befreundet ist. Aber die Liste der Gesprächspartner reicht quer durch alle Bundestagsparteien, bis hinauf zu Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Solche Treffen sind eine gute Möglichkeit, um zum Ausdruck zu bringen, dass man mit der Entwicklung der Erdoğan-Türkei nicht einverstanden ist.

Mit einiger Sicherheit gibt es auch einen Handschlag mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Mann empfängt Demirtaş zwar nicht im Auswärtigen Amt - so viel diplomatische Rücksicht muss sein. Erdoğans Gegenspieler kommt am Montag jedoch zu Steinmeier in die SPD-Fraktion. In die CDU/CSU-Fraktion, wo er auch Angela Kanzlerin Merkel sehen könnte, geht er nicht.

Am engsten sind die Verbindungen aber zu den Grünen, die schon im Juni zur Wahl der HDP aufgerufen hatten. Özdemir, Sohn türkischer Einwanderer, sagt: «Die HDP steht den grünen Grundwerten von Ökologie, Menschenrechten und Geschlechtergerechtigkeit am nächsten. Wir wollen sie weiter unterstützen, eine gesamttürkische Reformpartei zu werden.»

Tatsächlich wird die HDP (Demokratische Partei der Völker) längst nicht nur von Kurden gewählt, sondern auch von anderen Leuten, die gegen Erdoğan sind. Die Rechnung ist einigermaßen simpel: Kommt die HDP am 1. November wieder über 10 Prozent, dürfte es mit der AKP-Alleinregierung vorbei sein. Bleibt sie drunter, hat Erdoğan sein Ziel erreicht. Nach den jüngsten Umfragen stehen die Chancen für die Pro-Kurden-Partei gut.

Daran hat Demirtaş einen großen Anteil. Der gelernte Rechtsanwalt verkörpert einen Politikertypus, wie er im Süden Europas inzwischen häufiger vorkommt: jung, gut aussehend, gebildet. In seinem Anzug - oft auch ohne Krawatte - bietet er ein moderneres Bild als die alternden Befehlshaber der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Mit ihm ist die HDP auch für viele Türken wählbar geworden, die sich das wegen deren Nähe zur PKK bislang nicht vorstellen konnten. Hier liegt für Demirtaş allerdings immer noch das größte Problem. Mit der Waffenruhe zwischen PKK-Rebellen und türkischen Militär ist es seit diesem Sommer wieder vorbei. Die Luftwaffe fliegt neue Angriffe auf PKK-Verstecke im Nordirak und in der Türkei. Die PKK - die auch im Westen auf der Liste der Terrororganisationen steht – hält dagegen.

Wenn die Gewalt so weitergeht, könnte das die Wahlchancen der HDP gefährden. Demirtaş hat die PKK-Rebellen nun aufgerufen, ihre Gewaltaktionen «ohne Wenn und Aber» einzustellen. Aber die PKK hält sich nicht daran. So gibt es für ihn in Berlin nicht nur einige nette Termine, sondern auch einiges zu erklären. (dpa)

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