Salamaleikum tönt es vom Minarett

Muezzine, Mekkapilger, Huris – wer denkt bei solchen Personen an Opern, Oratorien und Lieder? Und doch – Araber, Perser und Türken bevölkern die klassische europäische Musik, die heute ganz anders klingen würde, wäre da nicht der Einfluss des Orients gewesen. Von Nadja Kayali

Von Nadja Kayali

Wo die Geschichte der musikalischen Durchdringung von Orient und Okzident ihren Anfang nimmt, lässt sich nicht genau bestimmen, aber eines ist sicher: Komponisten wie Mozart, Beethoven, Schubert und andere konnten sich der Faszination des Ostens nicht entziehen und so gelangten Elemente türkischer Musik, persischer Dichtung und arabischer Erzählungen direkt ins Herzstück der europäischen Kultur, in ihre Musik.

Gleich die erste große Oper ist eine Geschichte wie aus Tausendundeiner Nacht.

Wir schreiben das Jahr 1670. Der osmanische Gesandte findet sich in Paris ein, das zu jener Zeit im Glanz der Regentschaft König Ludwigs XIV. erstrahlt. Stolz führt man den Osmanen umher. Der aber zeigt sich unbeeindruckt und meint, dass das Pferd seines Sultans mehr Juwelen trüge, als die Krone des französischen Herrschers.

Oper gegen die Türken, dank der Türken

Ludwig XIV. schäumt vor Wut. Wie sich rächen, fragt er sich und ersinnt einen Plan: Eingeweiht werden zwei Männer des Hofes, zwei Künstler. Der eine, Jean Baptiste Molière, der Dichter, der andere, Jean Baptiste Lully, der Komponist. Sie arbeiten gerade an ihrer neuen Oper "Le bourgeois gentilhomme", als der König von ihnen verlangt, eine bitterböse komische Szene in ihr Werk einzubauen. Er will über die Türken recht ordentlich lachen.

Mewlewi-Derwische um das Jahr 1887; Foto: wikimedia
Vorbild für die "Céremonie Turque": die Derwischtänze des Mewlewi-Sufiordens in Konya

​​Um dies aber glaubwürdig tun zu können, brauchte man gute Kenntnisse der Sachlage. Da kam gerade gelegen, dass der französische Reisende Chevalier Laurent d'Arvieux von einem längeren Aufenthalt aus der Türkei nach Paris zurückgekehrt war. Besonders beeindruckt war er von Konya, wo er unter anderem an den Sufi-Zeremonien des Mewlewi-Ordens teilgenommen hat.

Nun berichtet er Molière und Lully detailgenau und voller Begeisterung von den Dhikrs, von den sich drehenden Derwischen und ihren langen Gewändern, von den Rufen und Gebeten. Und wie er so erzählt, entzündet er die Fantasie von Molière und Lully. So entstand die "Cerémonie turque", die erste Türkenszene in einer Oper.

In die Handlung wird eine orientalische Verkleidungsszene eingebaut und mit der Liebesgeschichte von Lucille und Cléonte verknüpft. Die beiden wollen nämlich heiraten. Das allerdings missfällt Lucilles Vater, der lieber einen Adeligen als Schwiegersohn sehen würde. Cléonte denkt sich nun eine List aus und lässt sich als reisender osmanischer Prinz ankündigen, zieht mit großem Pomp ein und bittet um die Hand von Lucille, nicht ohne vorher Vater Jourdain zu adeln und ihn mit dem (natürlich erfundenen) Ehrentitel "Mammamutschi" zu bedenken.

Erstaunlichstes Merkmal der Türkenszene bei Molière und Lully sind die Elemente des Dhkirs, beispielsweise unzählige Wortwiederholungen, die zur Trance führen sollen. Gleich der erste Gesangseinsatz ist eine zehnmalige, einstimmige Wiederholung von "Allah", a-capella. Es folgen stilisierte Dialoge des Mufti mit den Derwischen mit türkischen und arabischen (oder arabisch anmutenden) Worten wie "Hu" oder "ey walla".

Gesungen wird aber auch in einer lingua franca, die im Mittelmeerraum als Verkehrssprache diente und Elemente verschiedenster Sprachen in sich birgt.
So fragt der Mufti, ob der zu adelnde Franzose Jourdain ein guter Türke sei:

"Star bon Turca Giourdina?"
Und die Derwische antworten: "Hi valla" (eyvalla).

Und in einer Variante fragte der Mufti nach dem Glaubensbekenntnis von Jourdain, wobei von Lutheraner über Paganer (Heide) bis hin zu Bramine und Syrer alles aufgezählt wird, worauf die Derwische jeweils mit "jok" (türkisch für nein) antworten. Schließlich stellt sich zur Zufriedenheit des Muftis heraus, dass Jourdain "Mahametana", also Moslem, sei.

Für die Aufführung dieser Opernszene hat man in Frankreich keine Kosten und Mühen gescheut und prachtvolle Kostüme, Turbane und Schuhe in aufwendigem orientalischen Stil herstellen lassen. Der König hat also seine Rache bekommen!

Arien à la Turca, orientalische Instrumente

Sogenannte "Türkenszenen" als Teil einer Oper gab es auch später immer wieder. So beispielsweise in der Oper "Lo Speziale" ("Der Apotheker") von Joseph Haydn. Besonders charmant ist die kleine Arie "Salamelica", in der es darum geht, dass in "Constantinopula" immer gesungen und getanzt werde.

Musikalisch ausgeschmückt wird die Arie im "alla turca"-Stil, der im 18. Jahrhundert – besonders in Wien – groß in Mode war. Spricht man von der sogenannten "türkischen Musik" (wobei damit der "alla turca"-Stil in der klassischen europäischen Musik gemeint war), so ist auch immer von den Janitscharen die Rede. Gerade in Wien waren die Osmanen keine Unbekannten. Mit dem Nachbarstaat kam es des Öfteren zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Dabei wurden von türkischer Seite Janitscharenkapellen eingesetzt, die mit Trommeln, hohen Flöten und Schellenbäumen einen großen Lärm produzieren konnten und so enorm einschüchternd gewirkt haben müssen.

Nach geschlagenen Schlachten haben die Österreicher dann so manches liegengebliebene Instrument aufgesammelt, untersucht und natürlich sofort verwertet. Der Einbezug dieser Instrumente ins klassische Orchester brachte eine Veränderung mit weitreichenden Konsequenzen. Denn tatsächlich ging es auch den Komponisten der klassischen Ära (nennen wir nur die drei berühmtesten, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven) darum, den "Lärm" aus dem Schlachtfeld in den Konzertsaal zu verlegen.

Dafür bediente man sich der Trommel, der Triangel, dem Becken – also Instrumenten, die eines gemeinsam haben: Sie werden nicht gestimmt, können also ihre Tonhöhe nicht verändern. Besonders die Trommel ist dafür ein gutes Beispiel, gibt es doch im Orchester mit der Pauke auch ein gestimmtes Pendant.

Der Einsatz der Schlaginstrumente war verbunden mit einer Anhebung der Lautstärke des gesamten Orchesters, sodass gerade diese Lautstärkekontraste sich zu einem Merkmal des "alla-turca"-Stils entwickelten. Dass dieser Effekt für die zeitgenössischen Hörer zunächst höchst überraschend war, berichtet Leopold Mozart 1777 in einem Brief. So berichtet er seinem Sohn Wolfgang von einer Aufführung von Voltaires "Zayre oder die rasende Eifersucht eines Türken", zu der Michael Haydn die Zwischenaktmusik geschrieben hatte:

"Die Zwischenmusiken vom Haydn sind wirklich schön. Unter einem Akt war ein Arioso mit Variationen, Violonzell, Flauten, Oboen etc. und ungefähr, da eben eine piano Variation vorausging, trat eine Variation mit der Türkischen Musik ein, welche so jähe und unvermutet kam, dass alle Frauenzimmer erschraken und ein Gelächter entstand."

Mozarts Türkenoper

Wenig später schrieb Wolfgang Amadeus Mozart die bekannteste "Türkenoper", "Die Entführung aus dem Serail". Und auch dafür bediente er sich des Stilelements der Lautstärkekontraste der "türkischen Musik", wie er 1781 heiter seinem Vater berichtet:

"Von der Ouverture haben sie nichts als 14 Täckt. – die ist ganz kurz – wechselt immerzu mit forte und piano ab, wobei beim Forte allzeit die türkische Musik einfällt. Moduliert so durch die Töne fort. Und ich glaube, man wird dabei nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nacht nichts geschlafen haben."

Die Wiener waren begeistert von dieser Mode. In einer Zeit, in der praktisch in jedem Wiener Haus ein Klavier zu finden war und Kompositionen wie Opern oder Sinfonien immer auch in einer Klavierfassung für den Hausgebrauch vorlagen, wollte man den "alla turca"-Stil natürlich auch übertragen. Das herausragende Beispiel stammt wiederum von Mozart, es ist der dritte Satz seiner Sonate KV 331.

Dabei gelingt es ihm, den "Lärm" der Schlaginstrumente auf dem Klavier nachzuahmen. Zu Mozarts Zeit, als die Wiener die Furcht vor den Türken künstlerisch sublimierten und Komponisten "alla turca" komponierten, hat man sogar Klaviere mit einem sogenannten Janitscharenzug hergestellt. Das "türkische" Schlagwerk war also sogar im Wiener Wohnzimmer zu finden.

Denn zur damaligen Zeit standen Perkussionsinstrumente nicht immer zur Verfügung und so musste man kreativ sein, wenn man "Türkische Musik" komponieren wollte. In seinem fünften Violinkonzert KV 219 lässt Mozart die Cellisten mit dem Bogen gegen die Seiten ihres Instrumentes schlagen (der musikalische Terminus dafür ist "col legno-Technik"), wodurch er das Geräusch einer Trommel nachahmt, die mit einem Besen geschlagen wird.

Ein Umstand ist im Zusammenhang mit seiner Oper "Die Entführung aus dem Serail" besonders bemerkenswert. Mozarts Singspiel wurde 1782 in Wien uraufgeführt. Sechs Jahre zuvor war Deutsch zur Einheitssprache des Habsburgerreiches erklärt worden und in diesem Zusammenhang wurde das Theater neben der Burg in "Deutsches Nationaltheater" umbenannt.

Ein Jahr später veranlasste Kaiser Joseph II. die Gründung eines Deutschen Nationalsingspiels. Oper sollte erstmals auf Deutsch aufgeführt werden, denn das Bestreben des Kaisers war es, das Theater einer breiteren Schicht der Bevölkerung zugänglich zu machen. So erging an Mozart der Auftrag für die Eröffnungspremiere. Und er vertonte einen türkischen Stoff. Das deutsche Nationalsingspiel wurde also mit einer Türkenoper eröffnet. Ob das heute auch möglich wäre?

Mozart war übrigens keineswegs der erste, der von den orientalischen Sujets fasziniert war. Eine der wichtigsten Vorgängeropern zur "Entführung" stammt aus der Feder von Christoph Willibald Gluck.

Er hat – ebenfalls in Wien, allerdings am französischen Theater – zwei orientalisierende Opern herausgebracht: 1761 "Le cadi dupé" ("Der betrogene Kadi") und drei Jahre später "La rencontre imprévue ou les pèlerins de la Mecque" ("Die unvermutete Zusammenkunft oder die Pilger von Mekka"). Darin ist Prinz Ali aus Balsora auf der Suche nach seiner Verlobten Rezia, die entführt wurde und sich nun im Harem des Sultans von Kairo befindet.

Von dort gelingt den beiden die Flucht, und durch Bestechung eines Bettelmönches, des Calender, werden sie in eine Karawane von Mekkapilgern eingeschleust. Aber dieser Calender treibt ein doppeltes Spiel und verrät sie beim Sultan. Der jedoch begnadigt das Liebespaar.

Christoph Willibald Gluck; © Wikimedia
Faszination Orient: Eine der wichtigsten Vorgängeropern zur "Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart stammt aus der Feder von Christoph Willibald Gluck.

​​Wie auch später bei Mozarts "Entführung aus dem Serail" begegnet uns hier das Motiv des gerechten muslimischen Herrschers, der Gnade walten lässt und somit ein Vorbild an Humanität und Gerechtigkeitsliebe darstellt. Eine Geisteshaltung, die der Freimaurer Mozart im vollen Bewusstsein (und verstanden als Huldigung an Kaiser Joseph II.) so dargestellt hat.

Dem "guten" Protagonisten muss aber in einem interessanten Stück auch ein "böser" zur Seite gestellt werden, und das ist hier Calender. Er hat in seinem Wanderderwischleben noch keine besondere Frömmigkeit entwickelt. Er hält sich an keine Regeln, ist darauf aus, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, und hat sogar im Keller Alkohol versteckt.

Er lässt es sich gut gehen und gibt nur vor, in Armut zu leben. Das kann man als Anspielung auf die damals aktuelle Situation verstehen, als im Zuge der Josephinischen Klosterreformen die Orden einer Nützlichkeitsprüfung unterzogen wurden. Mittels islamischem Derwisch wurden die katholischen Mönche kritisiert.

Derwische in der Oper

Interessant ist aber auch zu sehen, welche Kenntnisse man im 18. Jahrhundert über den Islam hatte. Christoph Willibald Gluck lässt seinen Derwisch nämlich ein Lied trällern, dessen Text "Castagno, castagna" zwar keinen Sinn ergibt, von dem er aber kurioserweise sagt: "Es ist ein alter, geheimer Gesang von Mahomet, aus dem Koran."

Im 18. Jahrhundert war es üblich, dasselbe Libretto mehrfach zu vertonen und so existiert auch eine Oper von Joseph Haydn mit dem gleichen Sujet. Während Glucks Libretto auf Französisch ist, entstand in Esterháza eine italienische Oper mit Rezitativen. Aber auch dort begegnen wir dem listigen Calender. Er ist gerade dabei, einem jungen Mann namens Osmin das Derwischleben schmackhaft zu machen.

Osmin möchte in die Bruderschaft der Derwische aufgenommen werden. Er hat nämlich gesehen, dass das Singen des – ihm etwas seltsam erscheinenden – Liedes "Castagno, castagna" dazu geführt hat, dass man reichlich Almosen erhält. Bevor er dieses Lied lernt, muss er aber noch "Illah, illaha" nachsingen, das ist nichts anderes als eine ungenaue Wiedergabe von "La illaha il Allah" – "Es gibt keinen Gott außer Gott". Das ist der Beginn des islamischen Glaubensbekenntnisses, durch dessen Nachsprechen man Muslim wird. So lässt Haydn – bewusst oder unbewusst – seine Opernfigur konvertieren.

Das Nachahmen der orientalischen Sprachen stellte eine Besonderheit der exotistischen Opern dar. Zum einen entwickelte sich der sogenannte "Plapperstil".

Beispielsweise wurden arabische Worte klanglich nachgeahmt. Eng in Verbindung damit stand das schnelle, beinahe atemlose Sprechen, das die Europäer mit Arabern assoziierten. Eine weitere Technik bestand darin, bekannte Wörter wie "Allah", "Mohammed" (meist als "Mahomet") oder "Kaaba" in den Text zu integrieren. In seiner Schauspielmusik "Die Ruinen von Athen" lässt Ludwig van Beethoven den Chor der Derwische immer wieder "Kaaba" rufen. Darüber hinaus ist aber der gesamte Text bemerkenswert, spielt er doch auf Mohammeds Himmelfahrt an:

Du hast in deines Ärmels Falten
Den Mond getragen, ihn gespalten.
Kaaba! Mahomet!
Du hast den strahlenden Borak bestiegen
Zum siebenten Himmel aufzufliegen,
Großer Prophet! Kaaba!

Insgesamt muss man allerdings sagen, dass sich profundere Kenntnisse der Kultur und Sprache erst entwickeln mussten und eher Techniken der sprachlichen Orientalisierung genutzt wurden als richtige Wörter und Sätze.

Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass bereits im Jahre 1754 von Kaiserin Maria Theresia in Wien die erste "k. & k. Orientalische Akademie" gegründet wurde, in der man Arabisch, Persisch und Türkisch lernen konnte. Einer ihrer berühmtesten Absolventen war Joseph von Hammer-Purgstall. Durch seine Übersetzung des Divans des persischen Dichters Hafis wurde Johann Wolfgang von Goethe zu seinem "West-östlichen Divan" inspiriert.

Hafis und Goethes "West-östlicher Divan"

Als Goethe 1814 die Gedichte von Hafis liest, gerät er in einen Schaffensrausch und musste sich – wie er selbst sagte – dem persischen Dichter gegenüber "produktiv" verhalten. Diese Produktion wurde aber auch durch eine Liebesgeschichte angefeuert. Denn Goethe verliebt sich in die österreichische Schauspielerin Marianne von Willemer und die beiden schreiben einander verschlüsselte Liebesbotschaften.

Ausgabe des West-östlichen Divans von Johann von Goethe; Foto: wikimedia
Durch Purgstalls Übersetzung des Divans des persischen Dichters Hafis wurde Johann Wolfgang von Goethe zu seinem "West-östlichen Divan" inspiriert, schreibt Nadja Kayali.

​​Oftmals nur Zahlen, die auf bestimmte Verse der Hammer-Purgstallschen Ausgabe von Hafis' Divan verweisen. Goethe beschäftigt sich intensiv mit allen vorhandenen Quellen und beginnt selbst einen Divan zu schreiben. Marianne antwortet. Im Kleid von Hatem und Suleika wird diese Liebe, die in der Realität keinen Platz gefunden hat, in der Literatur gelebt.

Es hat nicht lange gedauert, bis die ersten Komponisten diese Gedichte vertont haben. So beispielsweise Franz Schubert, dem es gelang, den Inhalt dieser Lieder auf unvergleichliche Weise in Musik zu setzen. Er lässt den Liebenden in den Locken der Geliebten versinken ("Versunken" D 715), sendet mittels Ost- und Westwind Liebesgrüße ("Suleika" I und II D 720 und 717) oder besingt die Äuglein der Geliebten ("Geheimes" D 719).

Die Reihe jener Komponisten, die sich angezogen fühlen vom Hauch des Orients, der diese Gedichte durchströmt, lässt sich problemlos fortsetzen bis in die heutige Zeit. So entstanden Suleika-Lieder von Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner Schwester Fanny Hensel, aber auch im 20. Jahrhundert von Anton Webern und Luigi Dallapiccola. Ganze Liederzyklen aus dem "West-östlichen Divan" finden sich u. a. bei Hugo Wolf, Richard Strauss oder Gottfried von Einem.

Nicht nur die Gedichte von Goethe, die durch Hafis inspiriert wurden, waren eine beliebte Quelle für Komponisten, auch Hafis' eigene Verse erhielten ein musikalisches Gewand, so von Johannes Brahms, Otmar Schoeck oder Karol Szymanowski.

Bei Brahms findet sich eine Besonderheit, die mit der Nachdichtung von Georg Friedrich Daumer zusammenhängt. Er hat nämlich nicht nur den Inhalt übertragen, sondern auch die Form, das Ghasel, beibehalten.

So heißt es:

Wie bist du, meine Königin,
Durch sanfte Güte wonnevoll!
Du lächle nur, Lenzdüfte wehn
Durch mein Gemüte, wonnevoll!

Ghaselen sind gereimte Gedichte (hier: "Güte", "Gemüte"), die außerdem noch einen weiteren Reim haben, einen Radif (hier: "wonnevoll"). Brahms hat dem auch in seiner Komposition Rechnung getragen, in dem er "wonnevoll" durch ein kurzes instrumentales Intermezzo abgesetzt hat, durch Beibehaltung der Harmonie aber die Verbindung unterstrichen hat.

Eine Besonderheit des persischen Dichters Hafis ist, dass bis heute aus seinem Divan Orakel gelesen wird. 2002 hat der österreichische Komponist Andreas Wykydal ein solches Fal-e Hafez, ein "Hafis-Orakel für Klavier (bzw. Flöte) und Sopran" komponiert.

Nun ist es nicht möglich, den gesamten Divan des Hafis zu vertonen, um dann daraus Orakel zu lesen, aber im Iran werden auf der Straße Kuverts mit einzelnen Versen verkauft – diese Idee hat Wykydal in Musik transformiert. Er hat ein Hafis-Gedicht so vertont, dass jeder Vers dem nächsten folgen könnte. Das Publikum zieht die Reihenfolge, und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis alle 5040 Erscheinungsformen des Stückes erklungen sein werden.

Das deutschsprachige Lied ist also durchströmt von Motiven persischer Dichtung, und manchmal sogar inspiriert von seiner Form. Joseph von Hammer-Purgstall und Friedrich Rückert, beide gleichermaßen Dichter (Nachdichter) wie Gelehrte, verdanken wir die Übersetzung besonderer Werke aus dem Arabischen, Persischen und Türkischen, die sich dann in der Musik wiederfinden. Ein Beispiel aus dem Arabischen wäre Rückerts Übertragung der Makamen des Hariri, die dann in vierhändigen Klavierstücken "Bilder aus Osten" op. 66 von Robert Schumann Niederschlag fand.

Aber das war eher die Ausnahme. Blickt man nämlich in andere Genres, so finden sich einige recht kuriose Dinge. 1831 begibt sich der französische Komponist Félicien David auf eine Reise in den Orient. Das Bemerkenswerte daran ist sein Gepäck, ein Klavier, und mit diesem durchquert er die Wüste. Später wird er davon inspiriert seine sinfonische Ode "Le désert" komponieren, und der darin enthaltene "Gesang der Wüste" ist gleichzeitig eine "Glorifikation Allahs".

Im Laufe seines Lebens schreibt David mehrere orientalisierende Stücke und wird damit zum Hauptvertreter des Exotismus. Unter anderem komponiert er eine Oper, "Lalla Roukh".

Die Vorlage dafür, das von dem irischen Dichter Thomas Moore stammende Buch, ist auch in Deutschland bekannt, wohin die Welle der Orientbegeisterung ebenfalls schwappt. Einer, den sie erfasst, ist Robert Schumann. Er lässt sich von jenem Roman zu einem weltlichen Oratorium anregen, "Das Paradies und die Peri".

Darin gibt es einen Chor der Huris, der Paradiesjungfrauen. Während sie laut Koran im Paradies auf die gläubigen Muslime warten, lässt Robert Schumann sie die Stufen zu Allahs Thron mit Blumen schmücken.

Auch der Muezzin singt

Eine besonders inspirierende Wirkung auf europäische Komponisten hatte von jeher der Muezzin inne. Da es im Islam kein Zölibat gibt und Geistliche heiraten dürfen, kann es auch vorkommen, dass man es mit einem verliebten Muezzin zu tun hat. So auch bei Karol Szymanowski in seinen "Liedern des verliebten Muezzin". Der Gebetsrufer schwärmt darin zwar von seiner Geliebten, er wird aber dennoch von einer Sopranistin gesungen.

Das Charakteristische des Gebetsrufs ist, dass die Muezzine der verschiedenen Moscheen niemals gleichzeitig, sondern versetzt einsetzen, wodurch in gewisser Weise auch ein unglaublich chaotischer Eindruck entsteht, weil alle durcheinander singen. Man hört dennoch die Muezzine in unterschiedlicher Lautstärke, je nachdem wie weit die Moschee vom eigenen Standort entfernt ist. In der deutschen Oper "Der Barbier von Bagdad" von Peter Cornelius gibt es eine Muezzinszene, die in dieser Hinsicht höchst erstaunlich ist.

Drei Muezzine werden auf und hinter der Bühne postiert und rufen – tatsächlich versetzt einsetzend – "Allah ist groß". Spannend ist allerdings, dass danach wieder Frauenstimmen einsetzen mit demselben Ruf. Das wäre im wirklichen Leben nicht möglich.

Komponisten haben manchmal ganz seltsame Vermischungen vorgenommen. Während man musikalisch ausgiebig in orientalisierenden Melodien gebadet hat, hat es textlich einige Kuriositäten gegeben. Beispielsweise hat bereits erwähnter Félicien David einen besonders "höflichen" Muezzin komponiert, den er von der Moschee aus das Volk grüßen lässt: "As-salam-u-aleikum" tönt es vom Minarett, und er gibt sich auch gleich selbst Antwort auf seinen Gruß: "Wa-aleikum-us-salam."

Nadja Kayali

© Fikrun wa Fann/Goethe.de

Die Autorin lebt als Komponistin und Musikjournalistin in Wien. 2010 wurde von ihr in Osnabrück die Oper Neda aufgeführt, die von dem mittelalterlichen persischen Dichter Nizami inspiriert ist, aber auch Bezug auf die iranische Protestbewegung nimmt.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de