Enttäuschung über unerfüllte Hoffnungen

Der Rücktritt des indonesischen Diktators Suharto galt vielen Indonesiern als politischer Wendepunkt. Heute gilt das Land zwar als Vorzeigedemokratie in der islamischen Welt, die Enttäuschung im indonesischen Volk ist jedoch groß. Von Edith Koesoemawiria

Angesichts des arabischen Frühlings sind viele indonesische Aktivisten nachdenklich geworden über die politische Lage in ihrem Land. 13 Jahre nach Suhartos Rücktritt berichten Indonesier auf diversen Social-Media-Plattformen im Internet von der unerfüllten Sehnsucht nach besseren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, von unaufgeklärten Menschenrechtsverletzungen in der Suharto-Ära sowie Korruption und Argwohn gegenüber Politikern.

So wie Hosni Mubarak in Ägypten versprach Präsident Suharto vor seinem Abgang Neuwahlen, bei denen er nicht mehr antreten würde. Aber dann war der politische Druck auf Suharto zu stark. Das Land litt unter der Asienkrise und war öko¬nomisch angeschlagen. Suharto trat am 21. Mai 1998 zurück, nachdem er sich mit mehreren intellektuellen und religiösen Führungspersönlichkeiten beraten hatte – darunter Abdurrahman Wahid, Nurcholish Majid und Amien Rais. Er berief Vizepräsident Bacharuddin Jusuf Habibie zu seinem Nachfolger.

Habibie, ein früherer Technologieminister und langjähriger Günstling Suhartos, hatte 1990 die Indonesische Vereinigung Muslimischer Intellektueller (ICMI) gegründet. Aber als er zum Präsidenten ernannt wurde, lehnten ihn einige muslimische Stundentengruppen ab. Er sei verwestlicht, zu liberal und habe den Kontakt zum Volk verloren. Andere störten sich an seinen Verbindungen zur alten Garde oder auch daran, dass das einflussreiche Militär ihn kaum unterstützte. Die ICMI spielte letztlich keine große Rolle.

Habibie blieb ein Jahr im Amt. Seine Präsidentschaft bereitete den Weg für das umstrittene Osttimor-Referendum, freie Medien und die politische Öffnung.

Keine politische Wende

Unter Suharto gab es in Indonesien nur drei Parteien. An den Parlamentswahlen vom Juni 1999 nahmen dann 48 Parteien teil. Einige wenige politische Parteien brachten Minderheitenrechte und andere Sonderinteressen voran, andere gaben sich demokratisch und nationalistisch, und 19 Parteien verstanden sich als religiös-konservative Gruppierungen.

Habibie bei seiner Vereidigung zum Präsidenten; Foto: Wikipedia
Der Nachfolger Suhartos, Habibie, blieb ein Jahr im Amt. Seine Präsidentschaft bereitete den Weg für das umstrittene Osttimor-Referendum, freie Medien und die politische Öffnung.

​​Golkar war die Partei Suhartos. Daneben gab es zu seiner Zeit die Vereinigte Entwicklungspartei (PPP) und die Demokratische Partei Indonesiens (PDI). In den ersten freien Wahlen führten drei neue Parteien die Opposition an:
– die Demokratische Partei des Kampfes Indonesien (PDI-P),
– die Nationale Mandatspartei (PAN) und
– die Nationale Erweckungspartei (PKB).

Die Wahlergebnisse zeugten von einem Bedürfnis nach Wandel. Die PDI-P wurde mit 35 Millionen die stärkste Kraft. Die PKB und die PAN hatten das viert- und fünftbeste Ergebnis. Golkar landete auf Platz zwei. Die PPP und die PDI wurden bedeutungslos.

Indonesien demonstrierte damit seinen Wunsch, das säkulare System beizubehalten. Es gibt zwei große Organisationen von Muslimen, und die PKB und die PAN waren jeweils mit einer verbündet. Allerdings vertraten sie keine konfessionsgebundenen Positionen und standen allen Bürgern offen. Die alte PPP dagegen berief sich auf einen orthodoxen Islam und wählte das muslimische Heiligtum, die Kaaba in Mekka, als ihr Symbol. Diese Strategie ging nicht auf.

Seit 1999 neigten die Indonesier dazu, ihre Stimmen den säkularen Reformparteien zu geben. Bei den Wahlen 2004 und 2009 schrumpfte der Stimmanteil islamistischer Parteien. Gelegentliche Gewalttaten radikaler Gruppen gegenüber Minderheiten haben diesen Parteien genauso geschadet wie die Anschläge einer Terrorgruppe mit Verbindung zu Al Qaida auf Bali 2002.

Enttäuschung und unerfüllte Hoffnungen

Indes sind viele Indonesier vom politischen Alltagsgeschäft enttäuscht. Die Gründe sind parteiinterne Streitereien und unerfüllte Wahlkampfversprechen. Darüber hinaus haben sich die Hoffnungen auf verbesserte wirtschaftliche und soziale Verhältnisse nicht erfüllt. Deshalb interessieren sich viele für Alternativen. Politiker haben immer wieder durch Parteigründungen für Alternativen gesorgt, wobei sie oft Leute aus einflussreichen Familien oder dem Militär in ihre Parteien gelockt haben.

Präsident Yudhoyono bei Militärparade; Foto: AP
Unter Präsident Yudhoyono konnte der indonesische Binnenmarkt gestärkt werden und die Wirtschaft ein bedeutendes Wachstum verzeichnen.

​​Die Demokratische Partei, die heute die Regierung stellt, wurde 2001 gegründet. Präsident Susilo Bambang Yudhoyono ist ein ehemaliger General. Einige seiner Minister gehören Golkar an, die Regierung ist aber ohne Zweifel demokratisch.

Eine islamistische Partei verdient jedoch Erwähnung: Ihr werden Kontakte zur Muslimbruderschaft in Ägypten nachgesagt. Sie ging 1999 als Gerechtigkeitspartei ins Wahlrennen, blieb aber erfolglos. 2002 änderte sie ihren Namen in Wohlstands- und Gerechtigkeitspartei (PKS) und beteuerte, ihre kompromisslosen Positionen aufgegeben zu haben. Sie begann damit, Themen wie Korruption und gute Amtsführung anzugehen.

Auf dieser Basis steigerte sie ihren Einfluss und kommt nun auf acht Prozent der Wählerstimmen. Derzeit fordert die PKS eine stärkere Stellung des Islam im öffentlichen Leben. Sie wirbt nicht nur in traditionellen religiösen Einrichtungen wie dem indonesischen Ulema-Rat, sondern kämpft um einflussreiche Positionen im Regierungsapparat.

Indonesiens demokratischer Wandel verlief weder glatt noch völlig friedlich. Im Mai 1998 gab es eine Welle von Studentenunruhen in vielen Städten. In Jakarta gaben Sicherheitskräfte tödliche Schüsse auf Demonstranten ab. In verschiedenen Regionen kam es zu Plünderungen, Krawallen und Angriffen auf Minderheiten. Viele dieser Verbrechen wurden nie vor Gericht aufgearbeitet. Die Indonesier zeigten sich nachsichtig: Viele Verantwortliche kamen mit bloßen Entschuldigungen davon.

Scheu vor Demokratie?

Heute meinen aber viele politische Aktivisten, dass Indonesien hätte mehr erreichen müssen. Warsito Ellwein hat mehrere Bücher zur politischen Bildung veröffentlicht und arbeitet für die Friedrich Naumann Stiftung. Er meint, dass Indonesier ihre Scheu vor der Politik erst noch abgelegen müssen: "Eine Demokratie kann manchmal chaotisch erscheinen." Es gehe aber darum, möglichst viele Menschen nicht nur an der Entscheidung zu beteiligen, wer sie auf befristete Zeit regieren solle, sondern auch an der Politikgestaltung: "Je mehr Menschen aktiv mitmachen, desto höher sind die Chancen, dass die Politik ihnen auch wirklich dient."

Anhänger der demokratischen Partei in Indonesien; Foto: dpa
Anhänger der demokratischen Partei in Indonesien: "Eine Demokratie kann manchmal chaotisch erscheinen", sagt Warsito Ellwein von der Naumann-Stiftung.

​​Nach Jahren der Diktatur ist die Vorstellung verbreitet, dass Politik schmutzig ist, weshalb sich viele Leute aus der Politik heraushalten, meint Ellwein. Er reist durch das Land und hält Seminare über politische Basisbewegungen. Seiner Ansicht nach haben selbst politisch Aktive die benötigten soft tools noch nicht beherzigt: Wählern zuhören, Probleme erörtern und für Lösungen werben. Viele Politiker seien ungeduldig und bereit, zu illegitimen Mitteln wie dem Kauf von Stimmen zu greifen. Andere scheinen willig, Gewalt zu befürworten, wenn das ihren Interessen dient. Ellwein fordert einen Verhaltenskodex und betont die Regeln der Rechtsstaatlichkeit.

Indonesier wollen ein besseres Leben. Vielen reicht es nicht, dass ihr Land heute als Vorzeigedemokratie gilt und in der Weltwirtschaft eine Rolle spielt. Ihre größte Sorge ist, wie sie mit den ständig steigenden Preisen von Lebensmitteln, Transport und Bildung zurechtkommen sollen.

In Indonesien mangelt es an Arbeitsplätzen und Chancen. Die öffentliche Infrastruktur ist in einem traurigen Zustand. Korruption ist weit verbreitet, und die Diskriminierung von Minderheiten nimmt wieder zu. Viele Menschen werden konservativer und denken, die Dinge würden besser laufen, wenn die Politiker sich moralisch verhielten. Letztlich ist es ihnen egal, ob eine Partei sich muslimisch oder säkular nennt. Sie wollen Ergebnisse sehen.

 

Edith Koesoemawiria

© Entwicklung und Zusammenarbeit 2011

Übersetzung aus dem Englischen: Nimet Seker/Qantara.de

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de