De Maiziere: Mit dem Begriff "Abendland" kann ich wenig anfangen

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) hält den Begriff "Abendland" für "zu eurozentrisch" und würde ihn nicht benutzen. "Abendland ist eine Definition von Europa aus. Ich kann damit wenig anfangen", sagte er in einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit" (Mittwoch). Den Begriff "Westen" hält er dagegen für aussagekräftig. "Der Westen ist keine geografische, sondern eine politische Standortbestimmung."

Der Minister hatte kürzlich zehn Thesen zu einer deutschen Leitkultur vorgelegt. Dazu gehören nach seiner Ansicht auch soziale Gewohnheiten: In Deutschland gebe man sich zur Begrüßung die Hand, zeige sein Gesicht und nenne seinen Namen. "Wir sind nicht Burka", betonte de Maiziere.

Im "Zeit"-Interview verteidigt er seine Thesen. Er habe sie als Einladung zum Diskurs veröffentlicht, nicht, um die Gesellschaft zu spalten. Als Beispiele für Leitkultur und kulturelle Prägung nannte er dabei die christlichen Feiertage und die Erkennbarkeit vieler Städte und Dörfer an ihren Kirchtürmen.

Der Minister konstatiert eine zunehmend kritische Haltung gegenüber Religion. "In dem Maße, wie die Bindung an das Christentum abnimmt, wächst das Misstrauen gegenüber religiösen Einflüssen", sagte er. Die Angst vor Überfremdung sei "auch eine Angst vor einem bestimmten Islam, die sich dann etwa als Kritik am Moscheebau ausdrückt". Strittig geworden sei aber auch, ob ein Kirchentag vom Staat subventioniert und ob Kirchensteuer erhoben werden dürfe.

In der Politik habe Religion lange Zeit kaum Bedeutung gehabt, fügte der CDU-Politiker hinzu. "Bis wir begriffen, welche Kraft das Transzendente auch in unserer modernen Gesellschaft besitzt - ob nun trennend oder versöhnend."

Als fundamentalen Unterschied zwischen Kirchen und Islam bezeichnete es der CDU-Politiker, dass "die Kirchen in Deutschland heute nie den Anspruch erheben, ihre Regeln stünden über staatlichem Recht". Für Teile des islamischen Rechts sei das anders. "Der demokratische Staat muss darauf bestehen, dass sein Recht Vorrang hat."

Für ihn persönlich gehöre Religion immer schon zum Leben, sagte de Maiziere, der aus einer Hugenottenfamilie stammt und sich in der evangelischen Kirche stark engagiert. Er sei wie selbstverständlich in die Kirche hineingewachsen. "Schon mein Vater, ein General, beschäftigte sich mit der Frage, ob es einen legitimen Krieg gibt und ob ein Christ zur Waffe greifen darf."

Den Kirchen hält er vor, das Thema Islam zu sehr dem Staat zu überlassen und selbst in der Debatte kaum aktiv zu sein. Er selber hätte gern noch mehr Zeit für die intensive Befassung mit dem Islam, sagte der evangelische Politiker in einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit" (Mittwoch). Kritik übte er auch an kirchlichen Positionen zum Asylrecht.

Konkret wünsche er sich etwa mehr Wortmeldungen der Kirchen zu strittigen Fragen wie, was Christentum und Islam verbinde, wie ein aufgeklärter europäischer Islam aussehen solle und wo die Religionsfreiheit ende. Er selbst werde beim am Mittwoch beginnenden Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin ein Podium mit dem Großscheich der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tajjib, bestreiten, sagte der Minister. Er freue sich darauf, frage sich aber, warum das kein Theologe tue.

Mit Blick auf das Asylrecht hielt de Maiziere den Kirchen vor, es sich zu leicht zu machen. Sie drückten sich, wenn es um die "harte Seite des Asylrechts", also um Rückführung und Abschiebung, gehe. "Ich vermisse bei einigen Kirchenvertretern die volle Akzeptanz des Asylverfahrens. Es hat im Rechtsstaat nur zwei mögliche Ergebnisse: Schutzbedarf oder kein Schutzbedarf. Wenn selbst die Härtefallkommission eine Abschiebung nicht ablehnt, dann ist deren Umsetzung genauso wichtig wie die Integration Schutzbedürftiger", sagte der Minister. In einem Rechtsstaat müsse es neben der Willkommenskultur auch Akzeptanz für eine Abschiebekultur geben.

Ausdrücklich betonte der CDU-Politiker, er stehe zur Vereinbarung mit den Kirchen zum Kirchenasyl. Wenn aber eine Abschiebung erfolge, dann "ist das nichts anders als der Vollzug geltenden Rechts - und keine Bosheit des Staates. Wer das behauptet, macht es nicht nur Politikern schwer, nicht nur Richtern und Polizisten, er stellt das ganze System infrage".

De Maiziere fügte hinzu, er habe durch Besuche bei Flüchtlingsinitiativen, in Integrationskursen und Erstaufnahmeeinrichtungen Kontakt zu einzelnen Flüchtlingen oder Flüchtlingsfamilien. "Da sind oft schwere individuelle Schicksale, die mich als Christ berühren. Aber als Innenminister kann für mich nur das Gesetz gelten." (KNA)

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