«Dazugehören ist oft nicht leicht» - Muslimisches Leben in Deutschland

«Der Islam gehört zu Deutschland», sagt die Bundeskanzlerin. «Der Islam gehört nicht zu Deutschland», hält die AfD dagegen. Eine neue Studie zu Religion und Integration zeigt: Die Mehrheit der Muslime hat schon das Gefühl, «ich gehöre dazu». Von Anne-Beatrice Clasmann

Muslimische Migranten und ihre Nachkommen fühlen sich häufiger als christliche Zuwanderer nicht als Teil der deutschen Gesellschaft. Das aktuelle Integrationsbarometer zeigt: Während sich in der zweiten Generation fast 96 Prozent der christlichen Neubürger «dazugehörig» fühlen, sind es bei den Muslimen deutlich weniger - knapp 84 Prozent.

Das hat jedoch viele Ursachen. Und die haben nicht alle mit Religion zu tun, sondern auch mit den Gründen für Migration. Und auch damit, wie die Möglichkeiten sind, die Verbindung zur alten Heimat aufrechtzuerhalten. Beispielsweise fällt es einer Familie, die aus der Türkei stammt, leichter, jedes Jahr ihr Herkunftsland zu besuchen, als Brasilianern oder Vietnamesen, die für die Reise deutlich mehr bezahlen müssen.

Außerdem geben sich die Regierung der Türkei, aber auch die Regierungen einiger arabischer Staaten große Mühe, die Ausgewanderten durch politische Maßnahmen und Investitionsanreize dauerhaft an sich zu binden - aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch aus außenpolitischem Kalkül.

Unvergessen ist der Auftritt von Recep Tayyip Erdogan, damals noch türkischer Ministerpräsident, 2014 in Köln. «Sie haben hier einerseits gearbeitet, andererseits aber haben Sie sich bemüht, Ihre Identität, Ihre Kultur, Ihre Traditionen zu bewahren. Ihre Augen und Ihre Ohren waren immer auf die Türkei gerichtet», rief Erdogan damals Tausenden von Anhängern zu – viele von ihnen mit deutschem Pass. Gleichzeitig gab er die Parole aus, «Assimilation» sei ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Dass, wer in der Türkei eingebürgert werden will, bessere Karten hat, wenn er einen türkischen Namen annimmt, ließ er unerwähnt.

Der wichtigste Integrationsfaktor ist die Religion in Deutschland auf jeden Fall nicht. Auch die Abstammung spielt nach Einschätzung der Migranten nicht die alles entscheidende Rolle. Sie glauben, die besten Chancen auf eine «Eintrittskarte» in die hiesige Gesellschaft, habe nicht derjenige, der Christ ist, einen deutschen Pass hat oder deutsche Vorfahren. Nein, es sind diejenigen mit einem festen Job.

In diesem Punkt - das zeigt das aktuelle Integrationsbarometer des Sachverständigenrates für Migration - sind sich alle einig, Alteingesessene, Neubürger und auch die in Deutschland lebenden Ausländer. Mehr als vier Fünftel von ihnen sehen «einen festen Arbeitsplatz» als wichtigste Voraussetzung dafür, in der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Das klingt zwar irgendwie kalt und nüchtern, hat aber für die Migranten auch Vorteile. Denn das ist ein Faktor, den sie selbst beeinflussen können, anders als zum Beispiel den Geburtsort. Immer vorausgesetzt sie haben eine Arbeitserlaubnis.

Überhaupt zeigt das Integrationsbarometer 2016 in der Summe mehr Licht als Schatten. Über die Hälfte der Menschen hierzulande beurteilt das «Integrationsklima» insgesamt positiv. Allerdings wurden die Daten für diese umfassende Studie zwischen März und August 2015 erhoben - und damit bevor binnen weniger Wochen Hunderttausende von Flüchtlingen und illegalen Migranten in Deutschland Schutz suchten.

Außerdem: Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime hat das Gefühl, Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden ausgegrenzt. Unter den mehrheitlich muslimischen Zuwanderern aus der Türkei finden 68,7 Prozent die Feststellung «insgesamt werden viele Muslime aus der Gesellschaft in Deutschland ausgeschlossen» zutreffend. Auch 59,1 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund sehen das so.

Allerdings: Knapp drei Viertel der in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft sagen, sie selbst fühlten sich als Teil der deutschen Gesellschaft. Wie geht das zusammen? Nun, die Forscher sagen, das eine sei eben eine Frage nach der persönlichen Erfahrung, das andere nach einer Einschätzung der Gruppe.

Auch die Antworten zur Akzeptanz von Moscheen in der eigenen Nachbarschaft erscheinen nur auf den ersten Blick unlogisch. Denn als der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) mehr als 1.300 Deutsche ohne Migrationshintergrund fragte, ob sie ein Problem mit dem Bau einer «sichtbaren Moschee» in ihrer Wohngegend hätten, «outeten» sich nur etwa 27 Prozent von ihnen als Moschee-Gegner. Gleichzeitig vermuteten aber rund 63 Prozent der Befragten aus dieser Gruppe, dass sich ihre Nachbarn daran stören würden.

Die Wissenschaftler sehen hier das so genannte Phänomen der «sozialen Erwünschtheit» am Werke. Sie vermuten, manche Deutsche wollten sich vielleicht nicht offen gegen Moscheebauten aussprechen, «um nicht als religiös intolerant betrachtet zu werden». Deshalb projizierten sie ihre eigene Ablehnung auf die Nachbarschaft.

Und noch ein Ergebnis der Studie überrascht: Auf die Frage, ob der Satz «insgesamt fühle ich mich zur Gesellschaft in Deutschland dazugehörig» auf sie zutreffe, antworteten immerhin 7,7 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund «trifft eher nicht zu» oder trifft gar nicht zu». (dpa)

Die Jahresgutachten des Sachverständigenrates finden Sie hier