Das verzweifelte Volk - Friedensgespräche geben Syrern keine Hoffnung

Trotz der Waffenruhe in Syrien müssen Zehntausende Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei weiter leiden. Auch viele Rebellen glauben, dass der Bürgerkrieg weitergehen wird. Einer der Aufständischen will lieber sterben als aufgeben. Von der Exil-Opposition hält er nichts. Eine Reportage von Jan Kuhlmann

3.500 Kilometer liegen zwischen Genf und diesem staubigen Ort in der Türkei, an dem sich eine Mutter mit ihren Söhnen und Töchtern auf gepackten Taschen niedergelassen hat. Dort, in der fernen Schweiz, ringen Syriens Regierung und Opposition um Frieden, doch davon weiß die Frau, die hier am Grenzübergang nahe der Stadt Kilis wartet, nur wenig.

Die Lage der Flüchtlingsfamilie aus Syrien ist in der Türkei so trübe, dass sie zurück nach Syrien will, obwohl dort noch immer Bomben fallen. Das beschäftigt die Mutter jetzt, nicht das Gezerre in Genf. Nein, sagt sie, sie verfolge die Verhandlungen nicht: «Ich habe gar keinen Fernseher.»

Grenzübergang Öncüpinar, Südtürkei. Wie die Frau mit ihrer Familie warten an diesem Tag zwei Dutzend Syrer darauf, dass sie zurück in ihre Heimat können. Lastwagen auf dem Weg nach Syrien rauschen vorbei und wirbeln Staub auf. Fliegende Händler verkaufen Wasser, Kaffee und Zigaretten. Öncüpinar ist kein schöner Ort zum Warten.

Mittlerweile hat das sechste Jahr des syrischen Bürgerkrieges begonnen. Mehr als 250.000 Menschen sind ihm zum Opfer gefallen, große Teile des Landes zerstört, Millionen Syrer vertrieben, die Menschen erschöpft. In jedem Gespräch mit ihnen ist ihre Verzweiflung rauszuhören. Die Friedensverhandlungen in Genf, deren zweite Runde in der vergangenen Woche endete, sollen den Krieg beenden – Hoffnung aber geben sie den Menschen nicht.

Auch Muhammad Derbas, der plötzlich zwischen den Lastwagen auftaucht, verschwendet nur wenige Gedanken an das Geschehen in der Schweiz. Der Arzt versucht den Menschen zu helfen, die vor Bomben in das syrische Grenzgebiet geflohen sind und festsitzen, weil die Türkei die Grenze geschlossen hat. Zehntausende lebten dort in Zelten, erzählt der 30-Jährige.

«Es gibt keinen Strom, es mangelt an Wasser und Toiletten», klagt er. Heftiger Regen habe den Boden aufgeweicht und die Zelte unterspült. Durchfallerkrankungen verbreiteten sich. Was er von den Genfer Verhandlungen hält? Muhammad winkt ab: «Die Menschen leiden, sie wollen eine politische Lösung. Aber das Regime weigert sich.» Ammar Dschello, ein anderer Aktivist, zeigt Handybilder aus den Flüchtlingslagern auf der anderen Seite der Grenze: Tiefe Pfützen sind zu sehen. Und Menschen, die durch Schlamm und Matsch waten, die Kleidung schmutzig und nass. Ja, sagt Ammar Dschello, es komme humanitäre Hilfe: «Aber sie reicht nicht aus.»

Das konnten auch die Genfer Gespräche bislang nicht ändern. An einem anderen Ort in der Türkei unweit der Grenze zu Syrien läuft ein Fernseher, auf dessen Bildschirm ein Reporter gerade aus der Schweiz berichtet. Doch was er zu erzählen hat, interessiert die fünf Männer, die in einem kargen Raum unter grellem Licht auf Matratzen hocken, kaum. Ihre richtigen Namen wollen sie nicht nennen, auch ihr Aufenthaltsort darf nicht in der Presse auftauchen.

Die Männer gehören zur Rebellengruppe Al-Dschabha al-Schamija, einer Brigade, die sich zur moderaten Freien Syrischen Armee (FSA) zählt.  Abu Muhammad, ein 55 Jahre alter lokaler Anführer der Gruppe, zieht die Augenbrauen hoch, als er die Frage nach dem Waffenstillstand hört, der seit Ende Februar gilt. «Welcher Waffenstillstand?», sagt er zynisch. «Ein Waffenstillstand heißt, dass die Kämpfe völlig stoppen und die Menschen zurück nach Hause können. Das ist nicht der Fall.» Das Regime verstoße täglich gegen die Waffenruhe.

Mit jedem Wort, das Abu Muhammad sagt, wird deutlich, dass zwischen Syrien und Genf nicht nur geografisch eine riesige Distanz liegt - sondern dass Kämpfer wie er und ihre politischen Vertreter in unterschiedlichen Universen zu leben scheinen.

Die Rebellen seien in den Reihen des Hohen Verhandlungskommittees (HNC) der Regimegegner praktisch nicht vertreten, schimpft der 55-Jährige. Er hat wenig Respekt für die Oppositionellen, die im Ausland sitzen, anstatt in Syrien zu kämpfen: «Sie haben den Syrern nichts zu bieten. Das ist die schlechteste Opposition.»

Überhaupt fühlen sich Abu Muhammad und seine Männer von der Welt allein gelassen. Das Regime habe mit Russland und dem Iran treue Verbündete, sagt er. Die USA und der Westen hätten die Rebellen dagegen im Stich gelassen. «Wo sind unsere Freunde?», fragt Abu Muhammad. «Die ganze Welt hat das syrische Volk fallengelassen.»

Der Vater, früher in der nordsyrischen Stadt Aleppo ein Reifenhändler, hat schon einen Sohn im Bürgerkrieg verloren. Seine anderen Söhne kämpfen an dem Frontabschnitt, den er befehligt. Er sieht erschöpft aus, wie er da im Schneidersitz auf einer Matratze hockt und an einer Zigarette zieht, der Rücken rund. Für ihn und seine Kämpfer gibt es nur einen einzigen Weg, um den Krieg zu beenden: Syriens Machthaber Baschar al-Assad muss abtreten. An dieser Forderung dürfte auch die jüngste Rückeroberung der historischen Oasenstadt Palmyra durch syrische Truppen aus der Hand der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) nichts ändern.

«Es gibt keine Hoffnung bei den Verhandlungen. Und es gibt keine Hoffnungen in dem Krieg», sagt Abu Muhammad. «Aber ich werde weiterkämpfen. Ich ziehe es zehn Mal vor zu sterben, als aufzugeben.» (dpa)