''Unsere Kunst ist nicht politisiert''

Die palästinensischen Brüder Elia, Basil und Osama Khoury musizieren seit nunmehr einem Jahrzehnt als Familien-Trio. Mit Oud, Qanun und Violine schlagen sie erfolgreich Brücken zwischen klassischen westlichen und orientalischen Musikwelten. Suleman Taufiq hat das Trio in Paris getroffen.

Von Suleman Taufiq

Das Trio Khoury hat einen völlig eigenen musikalischen Stil entwickelt und kreiert Klangräume, die sinnerweiternd sind - Kompositionen, die von orientalischen Klängen durchdrungen sind, aber auch mit neuartigen Elementen harmonieren. Die Musik weist ein ganzes Spektrum von Klangfarben auf, doch bleiben die orientalischen Wurzeln und die spirituelle Bindung an die orientalische Kunstmusik stets gewahrt. Ausgehend von traditionellen Themen entwickeln die Brüder Khoury in ihren Improvisationen und Kompositionen einen neuen Blick auf die nahöstliche Musik.

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Sie sind Palästinenser und wuchsen in Jordanien auf. Spielt die Herkunft in Ihrer Musik eine Rolle?

Elia Khoury: Wir sind Palästinenser, aber wir haben unser Land noch nicht gesehen. Von Amman, wo wir aufgewachsen sind und wo unsere Familie lebt, sind es nur 80 Kilometer bis Jerusalem. Für mich ist es leichter nach Australien zu reisen als nach Jerusalem! Unsere kulturelle und soziale Verantwortung ist es, zu zeigen, dass wir als Palästinenser existieren. Wir sehen uns heute als Weltbürger. Es ist nicht mehr wichtig, wo wir uns im Moment befinden. Hauptsache wir geben etwas und bleiben kreativ.

Poster des Trio Khoury für ein Konzert in Paris; Foto: PR
Paris als europäische Drehscheibe für orientalische Musik: „Wir haben hier mehr Möglichkeiten, anderen Musikern aus der ganzen Welt zu begegnen. Das ist in Jordanien nicht möglich.“

​​Unsere Kunst ist nicht politisiert. Aber dass wir als Palästinenser den Menschen Musik anbieten können, ist gut, und das Publikum liebt uns dafür. Das ist unsere Botschaft.

Seit wann musizieren Sie als Trio zusammen?

Elia Koury: Das "Trio Khoury" entstand bei uns zu Hause, ohne dass wir wussten, wie es eigentlich zustande kam. Es ist einfach gewachsen. Wir sind drei Brüder und wuchsen mit der Musik zusammen auf. Wir begannen Musik zu lernen, einer nach dem anderen. Anfangs ich, dann Basil, später auch Ousama. Das Interesse für Musik hat sich bei uns schon früh entwickelt. Wir wuchsen in einem liberalen Elterhaus auf. Diese Atmosphäre hat uns geprägt.

Die Eltern hatten also nichts dagegen, dass Sie alle Berufsmusiker werden?

Ousama Khoury: Unsere Eltern haben uns unterstützt und ermutigt, das Spielen von Instrumenten zu lernen. Sie haben sich immer sehr für Kultur interessiert. Sie sind unsere 'offiziellen Sponsoren'. Vielleicht dachten sie sich auch: Drei Jungs zu Hause? Die muss man beschäftigen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen!

Haben Sie die Musik privat gelernt oder haben Sie Musikschulen besucht?

Basil Khoury: Alle drei studierten wir Musik am Konservatorium von Amman.
Ich begann mit fünf Jahren das Geigenspiel zu lernen. Parallel dazu auch Trommel. Aber später entschied ich mich für die Violine.

Ich besuchte in Frankreich und in den USA Meisterklassen und spielte 2004 in Barenboims West-östlichen Orchester mit. Von ihm habe ich viel gelernt. Ich habe bei ihm in der Meisterklasse Unterricht genommen und viele Workshops von ihm besucht.

Elia Khoury: Angefangen habe ich am Konservatorium von Amman mit dem Laute-Spiel. Mein Lehrer war der große Oud-Meister Mounir Baschir. Ich lernte zudem auch, wie man Cello spielt. Mounir Baschirs Konzept war es immer, sich zwei Instrumente - ein westliches und ein orientalisches - anzueignen, um sich auch für westliche Musik zu öffnen. Später bekam ich ein Stipendium und ging nach Istanbul. Dort setzte ich mein Studium mit einem türkischen Lehrer fort und schrieb eine Arbeit über die türkischen und arabischen Schulen des Oud-Spiels.

Wir sind von der irakischen, ägyptischen, syrischen und türkischen klassischen Schule beeinflusst. Aber wir versuchen, einen eigenen musikalischen Stil zu entwickeln. Wir alle drei sind immer auf der musikalischen Suche und sind experimentieren gerne.

Später gingen Sie alle drei nach Paris. Warum fiel die Wahl auf Frankreich?

Ousama Khoury: Wir sind nach Frankreich gegangen, um noch mehr zu lernen, um uns musikalisch weiter fortzubilden. Paris ist für uns die wichtigste europäische Metropole für die orientalische Musik. Wir haben hier mehr Möglichkeiten, anderen Musikern aus der ganzen Welt zu begegnen. Das ist in Jordanien nicht möglich.

Die Professionalisierung begann 2002, als das Trio die erste CD mit einer Sammlung von Kompositionen aus der verschiedenen orientalischen Musiktradition aufnahmen. Wie kam es zu der Idee?

Basil Khoury: Wir begannen mit der klassischen orientalischen Musik, weil wir unsere orientalische Identität festigen wollten. Unser Ziel ist es, neue Ideen in der Musik zu entwickeln und mit anderen Musiken zu fusionieren. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir alle Musik studiert haben. Unsere Ausbildung basiert auf der orientalisch östlichen, als auch auf der europäischen Musik. Das hilft uns, mit anderen Musikern spielen zu können.

Wie gestaltet sich die musikalische Zusammenarbeit unter Brüdern? Sie sind ständig zusammen, wohnen sogar zusammen.

Ousama Khoury: Es gibt bei unserer Zusammenarbeit immer viel Aufregung und auch oft Streit - sogar persönlichen Streit. Aber das ist normal unter Brüdern. Die Zusammenarbeit funktioniert gut, auch wenn sie manchmal anstrengend sein kann. Doch zum Schluss kommt immer etwas Schönes dabei heraus. Jeder kann spielen, was er will - es gibt bei uns keine bestimmte Aufgabenteilung. Wir sind so weit, dass wir im Konzert kaum miteinander sprechen müssen. Wir verständigen uns durch Blicke. Jeder von uns kennt den anderen so gut, dass er weiß, was der andere will.

Sie sagen, dass jeder alles macht. Wie komponieren Sie denn zusammen?

Elia Khoury: Manchmal kommt einer von uns mit einer musikalischen Idee. Dann beginnen wir zu üben, und später entwickelt sich die Idee zu einem Stück, an dem jeder seinen Anteil hat.

Das Trio bei einem gemeinsamen Konzert mit dem französischen Musiker Guillaume Robert; Foto: PR
Immer mit einem offenen Ohr für Musikstile und Bands aus anderen Kulturräumen: Das Trio Khoury arbeitet derzeit mit dem französischen Kontrabassisten Guillaume Robert zusammen.

​​Jedes Stück hat seine eigene Geschichte. Wir haben keine festgelegte Art und Weise, wie wir beim Komponieren vorgehen. Wir arbeiten im Kollektiv - und manchmal kommt es in den Proben vor, dass eine neue Idee entsteht.

Wie lässt sich Ihre Musik definieren?

Ousama Khoury: Unsere Musik lässt sich keiner Kategorie zuordnen. Sie ist einfach die "Trio-Khoury-Musik", eine Fusion aus mittelöstlicher Musik mit vielen Elementen aus dem Flamenco, dem Jazz und anderen Quellen. Gleichzeitig ist sie orientalisch geprägt, weil wir selbst aus dieser Region stammen.

Weil wir alle westliche und orientalische Musikinstrumente studiert haben, haben wir sowohl westliche als auch orientalische Melodien im Kopf. Beide Genres begegnen sich quasi in uns, und heraus kommt eine ganz eigenständige, neue Musik.

Sie spielen manchmal mit verschiedenen, nicht orientalischen Musikern zusammen. Sind die europäischen Musiker in der Lage, sich in die orientalische Atmosphäre der Musik einzufühlen?

Ousama Khoury: Ja, aber sie müssen anderen Musikkulturen gegenüber offen sein. Jetzt spielt gerade mit uns der französische Kontrabassisten Guillaume Robert. Er kommt vom Jazz, aber er spielt mit verschiedenen Roma-Ensembles aus ganz Osteuropa. Er hat ein offenes Ohr für die Musiken anderer Kulturen, also auch für die orientalische. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit ihm leichter.

Es gibt einen gemeinsamen Nenner zwischen der Musik des Mittleren Ostens und dem Jazz. In beiden gibt es viele Möglichkeit für Individualität und Improvisation, sei es im Solo-Part oder im gemeinsamen Spiel.

Die arabische Musik stützt sich nicht wie die europäische vollkommen auf die Noten. Sie ist heterophon. Brauchen die europäischen Musiker die genaue Notierung?

Elia Khoury: Bei unserer Zusammenarbeit mit anderen Musikern suchen wir Künstler, die einen bestimmten musikalischen Hintergrund haben. Es geht nicht darum, nur nach Noten zu spielen. Wir müssen eine gemeinsame Basis finden. Auf der Bühne herrscht ein Klima der Sympathie zwischen uns und dem Publikum. Die Energie, die vom Publikum kommt, beeinflusst auch unser Spiel. Das Stück, das wir spielen, ändert sich auch je nach der Gefühlslage, in der wir uns gerade befinden. Das ist die Tradition der arabischen Musik, die wir weiterentwickelt haben, damit sie in unser Zeitalter passt.

Interview: Suleman Taufiq

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de