Zwei Wege zur Freiheit

Syrien braucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die eine zeitlich begrenzte militärische Intervention umfassen sollte. Doch darf sie sich darauf allein nicht beschränken, meint Molham al-Droubi, Gründungsmitglied des Syrischen Nationalrats.

Von Molham al-Droubi

Syrien ist einzigartig, begehrt aufgrund seiner geopolitisch bedeutsamen Lage. Viele internationale Kräfte verfolgen ihre eigenen Interessen in Syrien. Eine Revolution in diesem so wichtigen Land?

Sie war eine Überraschung für alle, denn man glaubte, dass Baschar al-Assad und sein Vater einen unüberwindbaren Sicherheitsstaat errichtet hätten. Die wenigsten hätten erwartet, dass der Aufstand in Syrien länger als einige Wochen anhalten würde. Aber das syrische Volk hat sie eines Besseren belehrt.

Die Proteste in Syrien begannen friedlich und blieben es – trotz der brutalen Gewalt von Regimetruppen und Shabiha-Banden, zumindest für fast ein Jahr. Dann gründeten Offiziere und Soldaten – Deserteure, die sich weigerten, ihr eigenes Volk zu töten – die Freie Syrische Armee (FSA). Der bewaffneten Revolution schlossen sich auch viele Zivilisten an.

Die FSA schützt Kinder, Frauen und alte Menschen – und doch führte ihre Existenz dazu, dass die friedliche Revolution sich allmählich in einen bewaffneten Konflikt verwandelte. Der Kampf bleibt jedoch ungleich. Baschar al-Assad erhält unbegrenzte Unterstützung aus Moskau und Teheran, während sich die FSA und andere Freiheitskämpfer mit leeren Versprechungen und hohlen Reden sympathisierender Länder begnügen müssen.

Einheiten der FSA im umkämpften Aleppo, Foto: Reuters
Von der friedlichen Revolution zum bewaffneten Kampf: "Die FSA schützt Kinder, Frauen und alte Menschen – und doch führte ihre Existenz dazu, dass die friedliche Revolution sich allmählich in einen bewaffneten Konflikt verwandelte", schreibt Molham al-Droubi.

​​Syrien steht vor gewaltigen Herausforderungen, die weitaus größte davon ist die humanitäre Krise: Menschen werden getötet, verletzt, verhaftet, vergewaltigt, vertrieben, verlieren ihr Dach über dem Kopf, fliehen zu Hunderttausenden aus dem Land in Flüchtlingslager. Eines der größten Hindernisse bei der Bewältigung der Krise ist die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft. Gelingt es nicht, sie zu überwinden, könnte sie am Ende dazu führen, dass Syrien zu einem zerrütteten und geteilten Land wird.

Teilung als Worst-Case-Szenario

Doch nicht nur die dramatischen humanitären Probleme gilt es zu lösen. Die Liste der weiteren Herausforderungen ist lang: vom Wiederaufbau des Landes, der Überwindung der Kriegsfolgen, dem Umgang mit den Offizieren und Soldaten der Armee und Geheimdienstmitgliedern über den Aufbau staatlicher Institutionen bis hin zur Wiederbelebung von Wirtschaft und Industrie, dem Ausbau des Bildungswesen und der Pflege der internationalen Beziehungen.

Wie es in Syrien weitergeht, weiß keiner. Zu vielfältig sind die inneren und äußeren Einflussfaktoren. Doch am Ende zeichnen sich zwei Szenarien ab: Entweder läuft es auf die Bildung eines freien, geeinten und demokratischen Staates hinaus, in dem alle Bürger gleiche Rechte und Pflichten haben – ohne jegliche Diskriminierung. Oder aber es kommt zur Teilung des Landes mit fortgesetzten Konflikten zwischen den einzelnen Gruppen und Fraktionen.

Es ist im Interesse aller – die internationale Gemeinschaft und die regionalen Akteure eingeschlossen – dafür zu sorgen, dass das erste Szenario Realität wird. Zu diesem Ziel führen nur zwei Wege: eine Zusammenarbeit mit alawitischen Offizieren, um Baschar al-Assad zum Rücktritt zu zwingen, oder eine Intervention, um ihn militärisch zu besiegen. Gelingt es nicht, Assad auf irgendeine Weise zu bezwingen, ist die Teilung Syriens unvermeidbar.

Bevölkerung feiert in der von der FSA befreiten syrischen Stadt Yabroud; Foto: DW
Hoffen auf einen freien, geeinten und demokratischen Staat: Bevölkerung der syrischen Stadt Yabroud feiert die Befreiung ihrer Stadt durch Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA).

​​Um Syrien in eine stabile Zukunft zu führen, bedarf es einer Reihe von fundamentalen Veränderungen. Die drei wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation in post-conflict-Gesellschaften hat der kosovarische Publizist und Politiker Veton Surroi sehr treffend beschrieben.

Erstens: der Übergang von einem Ein-Parteien-System zu einer Verfassungsordnung, die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet ist.

Zweitens: der Respekt vor den aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Mehrheitsverhältnissen ebenso wie vor den Rechten der Minderheiten – im Falle Syriens der Alawiten, Kurden, Christen, Drusen und vieler anderer. Drittens: der Wandel von einer durch Gewalt geprägten hin zu einer gewaltlosen Gesellschaft.

Vom Feind zum Freund des Westens

Nur die Syrer selbst können diese Veränderungen vollziehen. Aber: dazu benötigen sie Hilfe von außen. Syrien braucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, vor allem der USA, der EU, der Türkei, des Golfkooperationsrates, der Arabischen Liga und anderer Freunde des syrischen Volkes. Diese Unterstützung sollte eine – zeitlich begrenzte – militärische Intervention umfassen. Aber sie darf sich nicht darauf beschränken.

Vielmehr geht es auch um Hilfe beim Ausbau des Bildungssystems, um Wissenstransfer, humanitäre und medizinische Hilfe und um technische und finanzielle Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes. So würde Syrien von einem Feind zu einem Freund des Westens.

Der Arabische Frühling hat aus drei diktatorisch regierten Ländern demokratische Staaten gemacht: Tunesien, Ägypten und Libyen. Jemen und Syrien befinden sich auf dem Weg zur Demokratie. Der demokratische Prozess hat den gemäßigten Islamisten in Ägypten den Weg zum Wahlsieg geebnet.

Auch in Libyen und Tunesien konnten die islamischen Parteien beachtliche Erfolge bei den Wahlen verzeichnen. Und in Syrien? Es wird erwartet, dass die Islam-orientierten Kräfte einen großen Anteil der Stimmen gewinnen werden. Eine Mehrheit werden sie dort aber nicht erringen.

Molham al-Droubi

© ZEITONLINE 2012

Molham al-Droubi wurde 1964 in der syrischen Provinz Homs geboren. Er gehört dem Vorstand der syrischen Muslimbruderschaft an und ist Gründungsmitglied des Syrian National Council (SNC). Er war Teilnehmer des von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem United States Institute of Peace (USIP) ermöglichten The Day After-Projekt. Die von Deutschland, den USA, der Schweiz, der niederländischen NGO Hivos und dem Norwegian Peacebuilding Resource Centre (NOREF) unterstützte Initiative zielte darauf ab, Pläne für die Zeit nach einem möglichen Sturz des Assad-Regimes auszuarbeiten. Sein Beitrag ist Teil einer Reihe, die ZEIT ONLINE in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung veröffentlicht.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de