Bürgerrechte statt Apartheid: Christen in Pakistan protestieren gegen Diskriminierung

Christen sind im mehrheitlich islamischen, von Terror und Gewalt geplagten Pakistan eine unterdrückte Minderheit. Die Kommunalwahl in der Provinz Punjab wirft ein Schlaglicht auf das Ausmaß der Diskriminierung. Von Michael Lenz

Arm in Arm standen sie Anfang Oktober vor dem Presseclub in Lahore: Katholiken und Protestanten, Hindus und Muslime, Arbeiter, linke Politiker und Menschenrechtsaktivisten. Eine solche «Volksfront» hat die Provinzregierung des Punjab mit ihrer Änderung des Lokalwahlrechts heraufbeschworen: Es nimmt Minderheiten bei der Wahl im Punjab an diesem Freitag das Recht, ihre Vertreter direkt zu wählen.

Einer der Demonstranten ist der katholische Erzbischof von Lahore, Sebastian Francis Shaw. Von der Ladefläche eines LKW spricht er zu den Demonstranten und findet deutliche Worte. Der Provinzregierung des Punjab wirft Shaw «politische Apartheid» vor und fragt: «Warum wurde dieses System hier im Punjab eingeführt?» In anderen Provinzen haben Minderheiten das Recht, ihre Vertreter direkt zu wählen.«

Es geht um Sitze in Stadt- und Gemeinderäten. Bislang waren je fünf davon für soziale und religiöse-ethnische Minderheiten reserviert. Nach dem neuen Wahlrecht werden diese Sitze nicht mehr durch Direktwahl besetzt; ihre Inhaber werden stattdessen ernannt, von acht gewählten Räten. »Diese acht Politiker werden mit Sicherheit Personen berufen, die sie als Strohmänner für ihre Interessen nutzen können«, befürchtet der Anwalt, Bürgerrechtler und Organisator der Demonstration Samson Salamat.

Bei Lokalwahlen geht es selten um große Politik. Aber diesmal wird die Situation von Christen in Pakistan zum Aufreger. »Die Diskriminierung von Christen ist sehr ausgeprägt. Es gibt sie auf allen Ebenen und ist Teil des Systems«, erklärt Kamal Siddiq, Chefredakteur der liberalen pakistanischen Tageszeitung »Tribune Express«.

Die Diskriminierung reicht vom Ausschluss von Christen für hohe Positionen in Staat, Justiz und Gesellschaft über schiere Gewalt bis hin zu Anklagen wegen angeblicher Verstöße gegen das Blasphemiegesetz. Der international bekannteste Blasphemiefall ist der von Asia Bibi. Die Christin war 2010 wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed zum Tod verurteilt worden. Ihre Anwälte legten Berufung ein. Die Berufungsverhandlung wurde bereits mehrfach verschoben. Beobachter sind der Ansicht, dass die Justiz das Berufungsverfahren auf Druck islamistischer Organisationen verschleppt.

Im März 2011 fiel Shahbaz Bhatti, der einzige christliche Minister in Pakistans Regierung, wegen seiner Kritik am Blasphemiegesetz einem Attentat zum Opfer. Im November 2014 verbrannte ein wütender muslimischer Mob das christliche Ehepaar Shama Bibi und Shazad wegen »Blasphemie« im Ofen einer Ziegelbrennerei. Im März dieses Jahres forderte ein Selbstmordanschlag auf zwei Kirchen in Lahore 22 Verletzte. Die Liste der Gewalt gegen Christen in Pakistan ließe sich fortsetzen.

Riaz Anjum kennt auch die alltägliche Diskriminierung. Christen seien etwa im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert, obgleich »in der Verfassung eine Fünfprozentquote für Angehörige religiöser Minderheiten festgeschrieben ist«, klagt der Anwalt und Kolumnist der »Pakistan Christian Post«.

Wohlhabende Christen verlassen das Land. Zurück bleiben die Armen. Bildung als Ausweg aus der Armutsfalle sei armen Christen aber versperrt. Dafür weist Anjum auch den Kirchen eine Mitschuld zu. Die Armen könnten sich die hohen Schulgelder der privaten christlichen Schulen nicht leisten. 90 Prozent der Schüler in den christlichen Bildungseinrichtungen seien Muslime, während arme Christen überdurchschnittlich oft nicht lesen und schreiben könnten.

In seiner Rede bei der Demonstration in Lahore stellt Erzbischof Shaw klar, was die Christen aller Konfessionen bewegt: »Das ist weder ein politisches oder religiöses Problem. Es geht um unsere Identität als Bürger Pakistans.« (KNA)

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