Fressen die arabischen Revolutionen ihre Töchter?

Die Arabellion hatte ein weibliches Gesicht. Jetzt ist ein Buch erschienen, das sehr persönlich und hintergründig über die Rolle der Frauen während der Umbrüche und die Folgen des Arabischen Frühlings informiert. Martina Sabra hat das Buch gelesen.

Von Martina Sabra

Als der Kunde des renommierten Autohauses in Dubai die Werkstatt betritt, um seinen Wagen in die Inspektion zu bringen, erwartet ihn eine Überraschung. Der Mitarbeiter, der mit ölverschmierten Händen und Taschenlampe unter der Hebebühne hervorkommt, trägt keine Latzhose, sondern ein Kopftuch und eine Abaya – den bodenlangen schwarzen Umhang der Golfaraberinnen. Und er ist kein Mann, sondern eine Frau.

Maryam Darwish, Mutter von vier erwachsenen Kindern war schon als kleines Mädchen besessen von Autos. Sie träumte von einem Job als Kfz-Mechanikerin. Doch mit zwölf Jahren wurde sie zwangsverheiratet. Mit dreizehn bekam sie ihr erstes Kind. Als die Kinder groß waren, wollte der Ehemann von Maryam Darwish immer noch nicht erlauben, dass seine Frau arbeiten geht.

Buch Cover: Neue arabische Frauen (orell.füssli Verlag)
Insgesamt 26 erfolgreiche Frauen aus 17 arabischen Ländern erzählen in „Die neuen arabischen Frauen“, wie sie es geschafft haben, sich gegen patriarchale Mentalitäten und rechtliche Benachteiligungen durchzusetzen und wie sie trotz aller Hindernisse ihre Träume verwirklichten.

​​Doch Maryam Darwish war fest entschlossen, erzählt die Buchautorin Gabi Kratochwil. "Sie hat sich scheiden lassen – seit 2005 ist das in den Vereinigten Arabischen Emiraten eben auch für Frauen möglich. Und nach der Scheidung hat sie dann selbst die Initiative ergriffen. Sie hat sich bei Futtaim Motors vorgestellt, das ist eines der größten Autohäuser in Dubai. Dort hat man ihre Kompetenz und ihre Leidenschaft für Autos erkannt und man hat sie eingestellt."

Die starken arabischen Frauen

Die Kfz-Mechanikerin Maryam Darwish ist eine von insgesamt 26 arabischen Karrierefrauen, die Gabi Kratochwil für ihren Porträtband interviewt hat. Kratochwil, die im Fach Islamwissenschaften promovierte und die seit über zehn Jahren als interkulturelle Trainerin arbeitet, war schon als junge Arabischstudentin in Ägypten fasziniert von den starken arabischen Frauen.

"Ich wohnte ein Jahr bei einer ägyptischen Gastfamilie in Kairo. Wie meine Gastmutter, Tante Raifa, ihre fünf Kinder großzog, das hat mich schwer beeindruckt. Sie war ein echtes Powerpaket", erinnert sich Kratochwil.

Später, als aktives Mitglied der arabisch-deutschen Handelskammer "Ghorfa" traf Gabi Kratochwil immer wieder erfolgreiche Geschäftsfrauen aus der arabischen Welt. Die Investmentbankerin Maha Al Ghunaim zum Beispiel, die in Kuwait milliardenschwere Fonds verwaltet; oder die Betriebswirtin und Oxford-Absolventin Deena Al Faris aus Saudi-Arabien. Deena Al Faris gründete nicht nur die erste Störfarm im Königreich und exportiert mittlerweile erfolgreich Kaviar. Sie setzte im Frühjahr 2011 auch durch, dass Geschäftsfrauen in Saudi-Arabien das Recht erhielten, selbst Verträge abzuschließen – ohne Männer.

Für Gabi Kratochwil passte all das nicht zum gängigen Stereotyp von der unterdrückten arabischen Frau: "Mit dem Buch wollte ich diesen Frauen ein Podium geben, sie einfach zu Wort kommen lassen. Es ging darum, mehr über diese spannenden und auch ermutigenden Lebensgeschichten zu erfahren und zu fragen: Wie sah ihr Weg zum Erfolg aus? Wo waren die Schwierigkeiten? Wie haben sie sie überwunden?"

Im weltweiten Vergleich schneidet die arabische Welt bei der Emanzipation der Frau immer noch schlecht ab. Dass die von Gabi Kratochwil porträtierten Frauen es trotzdem geschafft haben, hat meist ein ganzes Bündel verschiedener Ursachen: Persönliche Stärke gehörte in allen Fällen dazu, teilweise standen liberal denkende Väter oder Mütter bei der Karriere der Töchter Pate, und in einigen Fällen wirkte auch eine einflussreiche Familie unterstützend.

Neues Selbstbild der arabischen Frau

Doch Gabi Kratochwil porträtiert auch Frauen, die es ohne elterliche Hilfe und familiäre Patronage geschafft haben. Für diese Frauen war ein weiterer Faktor entscheidend: die Bildung. Trotz aller gesellschaftlichen und rechtlichen Diskriminierungen gehen heute mehr arabische Mädchen denn je zur Schule. In den Abiturklassen und an den Hochschulen mancher arabischer Länder sind Mädchen und Frauen mittlerweile gleichauf oder sogar in der Überzahl.

Studentinnen des Dar Al-Hekma Colleges in Jeddah, Saudi-Arabien; Foto: dpa
Karrieresprungbrett für saudische Frauen: Das Dar Al-Hekma College in Jiddah bietet seit Mai 2011 Jura-Studentinnen die Möglichkeit, als erste Frauen Saudi-Arabiens in den Anwaltsberuf einzusteigen.

​​Diese neuen, gut ausgebildeten arabischen Frauen wollen nicht nur heiraten und Kinder bekommen, sondern auch ihr eigenes Geld verdienen und gesellschaftlich mitreden. Der Ehemann ist für sie nicht nur ein Versorger, sondern auch ein Partner. Auch deshalb sinken die Geburtenraten in vielen Ländern der arabischen Welt, und deshalb waren Anfang 2011 beim sogenannten Arabischen Frühling Frauen so präsent.

In die Euphorie über den gesellschaftlichen Aufbruch und das neue Selbstbewusstsein der arabischen Frauen mischt sich allerdings auch Skepsis. Gut eineinhalb Jahre nach den Revolutionen sind in Tunesien und Ägypten jetzt islamistische Parteien an der Macht, die angekündigt haben, selbst kleinste rechtliche Verbesserungen für Frauen zurückzunehmen und traditionelle Rollenverteilungen – der Mann versorgt, die Frau gehorcht – verfassungsmäßig zu festzuschreiben. Besonders heftig sind die Debatten in Tunesien.

Tunesien ist das einzige arabische Land, das Frauen und Männer schon im Jahr 1956 offiziell gleichstellte: die Polygamie wurde verboten und Frauen konnten sich gleichberechtigt scheiden lassen. Nun will die regierende islamistische Ennahda-Partei den Gleichheitsparagraphen aus der neuen Verfassung streichen.

Die frauenfeindliche Wende des Arabischen Frühlings

Doch viele Tunesierinnen wollen das nicht hinnehmen. Eine von ihnen kommt bei Gabi Kratochwil zu Wort: Die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Bochra Belhadj Hamida, war mehrere Jahre Präsidentin der oppositionellen tunesischen Frauenrechtsvereinigung Association "Tunisienne des Femmmes Democrates" (ATFD). Bochra Belhadj Hamida zeigt sich sehr besorgt über die frauenfeindliche Wende des Arabischen Frühlings in Tunesien.

Tunesische Frauen protestieren gegen die geplante Verfassungsänderung; Foto: Tarek Guizani/DW
Besorgnis über die frauenfeindliche Wende des Arabischen Frühlings in Tunesien: Auf dem Plakat wird "eine Verfassung, die die Rechte der Frauen garantiert" gefordert.

​​Aber die Anwältin betont auch, dass die damit verbundene gesellschaftliche Debatte notwendig sei. "Die vergleichsweise liberale Stellung der Frau bislang in Tunesien war eben kein Resultat gesellschaftlicher Auseinandersetzung, sondern sie war dekretiert, sie war von oben gewährt", fasst Kratochwil zusammen. Und was nicht selbst erkämpft, sondern von oben gewährt wurde, kann leichter wieder zurückgenommen werden: In Tunesien greifen radikale Islamisten berufstätige Frauen an, weil diese sich nicht verschleiern, und die regierenden Islamisten nehmen es weitgehend taten- und kommentarlos hin.

In Ägypten rühren schwarzgewandete Islamistinnen im Fernsehen die Werbetrommel für die Vollverschleierung der Frau, während im Parlament die Wiedereinführung extrem frauenfeindlicher Gesetze gefordert wird – auch von weiblichen Abgeordneten.

Fressen die arabischen Revolutionen ihre Töchter? Ausgeschlossen ist das nicht. Doch die Auseinandersetzungen über die gesellschaftliche Zukunft haben in Tunesien, Ägypten und Libyen gerade erst begonnen. Das Buch von Gabi Kratochwil, dass auch die Golfregion und die nicht-revolutionären arabischen Länder in den Blick nimmt zeigt: Die arabische Welt ist im Aufbruch. Und die Frauen geben das Tempo vor.

Martina Sabra

© Qantara.de 2012

Gabi Kratochwil: "Die neuen arabischen Frauen", erschienen im August 2012 im Verlag orell.füssli, Zürich, 271 Seiten

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de