Bomben und Bündnisse im Syrien-Krieg: Putins Nahost-Politik

Wenige Wochen vor dem mit Spannung erwarteten G20-Gipfel in China stärkt Kremlchef Putin Russlands Position in der Konfliktregion Nahost. Mit der Regionalmacht Iran schließt er ein Zweckbündnis für den Krieg in Syrien. Worum geht es Putin in der Region? Von Thomas Körbel und Farshid Motahari

Wie ein blauer Blitz rast der russische Bomber über die Startbahn. Sein Ziel: Syrien. Die Düsen des massigen Kampfflugzeugs Tu-22M3 zeichnen im Video des russischen Verteidigungsministeriums einen blauen Schweif an den Nachthimmel. Das Besondere: Es ist der Nachthimmel im Iran.

Mit seinen Aktionen im Syrien-Krieg hat der russische Präsident Wladimir Putin letzte Woche gleich zweimal überrascht. Zuerst verlegt er Langstreckenbomber auf die westiranische Luftwaffenbasis Hamadan. Dann erklärt sich Russland zu wöchentlichen zweitägigen Feuerpausen im umkämpften Aleppo bereit. Der Westen fordert wegen der katastrophalen Lage Hunderttausender Menschen dort ein Ende der Kämpfe. Was bezweckt Putin mit seiner mehrgleisigen Politik?

Vordergründig geht es Experten zufolge ums Militärische. «Jetzt können wir uns mehr Angriffe (in Syrien) erlauben und die Ladung (an Bomben) erhöhen», erklärt Alexej Arbatow von der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Beobachter sind überzeugt, dass die Luftwaffe damit vor allem die syrische Armee im Kampf um das strategisch wichtige Aleppo stützen will. Die Stadt ist geteilt zwischen Rebellen im Osten und Regierungstruppen im Westen.

Langfristig stärkt Russland durch das neue Bündnis mit dem Iran seine Position in Nahost - auch gegenüber den USA, die einen Stützpunkt im südtürkischen Incirlik für Militäreinsätze nutzen. «Der Nahe Osten ist ein zentrales Testgelände geworden für Russlands Rückkehr auf die globale Bühne», schreibt der Politologe Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Zentrum. Im Syrien-Konflikt gehe es Russland darum, auf Augenhöhe mit der Weltmacht USA einen Friedensdeal zu erzielen und zugleich ein Netz von Verbündeten in der Region zu knüpfen.

So erklärt sich sowohl Moskaus überraschendes Einlenken bei der geplanten Waffenruhe für Aleppo, als auch das kompromisslose Festhalten an Syriens Machthaber Baschar al-Assad, dessen Rücktritt viele fordern. Doch die Suche nach neuen Verbündeten ist schwierig.

Die militärische Zusammenarbeit mit Teheran ist aus iranischer Sicht bloß eine Zweckehe. Beobachter im Iran gehen davon aus, dass Russland der Islamischen Republik, die Unabhängigkeit von den Weltmächten ganz groß schreibt, die Stationierung der Kampfflugzeuge aufgedrängt hat.

Zumal dies auch gegen die Verfassung verstößt. Russland gilt vielen im Iran nicht als natürlicher Partner. Groß waren die Spannungen mit der UdSSR etwa in den 1980er Jahren. Und auch heute gibt es Differenzen. Russland will wie der Westen verhindern, dass der Iran Atomwaffen bekommt. Und bei wichtigen Waffendeals wie zuletzt für Flugabwehrraketen lieferte Moskau mit Verspätung, was im Iran als Unzuverlässigkeit gesehen wurde.

Doch decken sich manche Interessen Moskaus und Teherans, denn auch der Iran stützt Assad aus pragmatischen Gründen. Denn: Der Kampf gegen Israel ist die zentrale außenpolitische Doktrin. Eng sind dafür die Bande zur Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon. Da der Iran aber keine Grenze zum Libanon hat, dient Syrien als Transitland. Mit Moskaus Hilfe will Teheran diesen Vorteil wahren.

Schon kommen Spekulationen auf, Russland schmiede auch ein breites Bündnis mit dem Iran und dem Nato-Mitglied Türkei. Nach dem Tiefpunkt in Russlands Beziehungen zur Türkei wegen eines abgeschossenen Kampfjets erleben die Präsidenten Putin und Recep Tayyip Erdogan inzwischen ihren zweiten Frühling miteinander. Doch sind ihre Ziele bei zentralen Fragen wie nach der Zukunft Assads zu unterschiedlich für eine Allianz, denn die Türkei will Assads Abgang.

Letztlich verfolgt Moskau in der Region harte Wirtschaftsinteressen. Staaten in Nahost und Nordafrika gehören zu den wichtigsten Kunden russischer Rüstungsfirmen. Den Krieg in Syrien sehen Beobachter daher auch als Waffenschau, um Kunden zu werben. Zudem ist der Energiesektor wichtig für die Rohstoffmacht Russland. Als Öl- und Gasproduzent ist Moskau an guten Kontakten zu den Staaten der Golfregion interessiert. Und auch für russische Atomkraftwerke ist Nahost ein potenzieller Markt.

«Russland hat kein Konzept für den Nahen Osten. Es verfolgt schlicht seine nationalen Interessen dort», sagt der Experte Trenin. «Russland konkurriert natürlich mit den USA um Einfluss und Präsenz im Nahen Osten. Aber es versucht nicht, die USA zu ersetzen etwa als Verbündeter Israels oder der Golfstaaten - auch mangels Ressourcen.» (dpa)

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