Ausnahmezustand in Tunesien - «Wir befinden uns im Krieg»

Vier Jahre nach der Jasminrevolution schränkt Tunesien Bürgerrechte ein. Der Präsident verhängt den Ausnahmezustand. Nach dem tödlichen Angriff auf Badeurlauber warnt er: «Wir sind in großer Gefahr.» Aus Tunis informiert Mey Dudin.

Bevor der Präsident ans Rednerpult tritt, strahlt das Staatsfernsehen einen hoffnungsvollen Werbespot aus. Gezeigt werden Menschen aus aller Welt, aus Kuala Lumpur in Malaysia, aus Malmö in Schweden, aus Lille in Frankreich, aus Chile und England. Sie alle haben dieselbe Botschaft: «Tunesien, wir lieben Dich.» Dieses Filmchen steht in einem krassen Kontrast zu der Lage, in der sich das nordafrikanische Land befindet: Weil ein junger Islamist vor gut einer Woche 38 Urlauber in einem Badeort erschoss, wird nun der Ausnahmezustand verhängt.

Der 88-jährige Staatschef Béji Caïd Essebsi richtet sich am Samstag im Fernsehen an sein Volk. «Wir sind in großer Gefahr», sagt er. «Wir befinden uns im Kriegszustand.» Die zunächst für 30 Tage geplante Maßnahme soll nun die Sicherheit zurückbringen. Denn Tunesien sei nur einen Anschlag vom Kollaps entfernt. Viele Tunesier hatten zuvor diesen Schritt gefordert - um den Terrorismus zu bekämpfen und in der Hoffnung, dass dies die Touristen zurückbringen werde.

Durch den Anschlag hat Tunesien jedoch massiv an Vertrauen verloren - schon wieder. Denn dass genau 100 Tage nach dem Anschlag im berühmten Bardo-Museum in Tunis mit mehr als 20 Toten erneut ein Attentäter Ausländer angreifen kann - diesmal in einer der vermeintlich gut gesicherten touristischen Zone der Stadt Sousse – hat Reiseveranstalter zurückschrecken lassen. Einige europäische Länder haben ihre Reisehinweise verschärft, Deutschland denkt darüber nach.

Besorgniserregend sind auch Ermittlungsergebnisse, wonach der Täter von islamistischen Milizen in Libyen ausgebildet wurde. Zudem musste Ministerpräsident Habib Essid Unzulänglichkeiten bei der Polizei zugeben. «Die Zeit der Reaktion - das ist das Problem», sagte er dem Nachrichtensender BBC. Der Islamist hatte eine halbe Stunde lang auf Urlauber geschossen, bevor er selbst erschossen wurde.

Die Folgen für den Tourismus - von dem immerhin rund 400.000 Menschen im Land leben - sind in der vergangenen Woche sehr deutlich geworden. Hoteliers aus Sousse meldeten einen Einbruch der Buchungen um rund 40 Prozent. Mehrere Tausend Urlauber wurden ausgeflogen, neu angekommen sind nur wenige Dutzend.

So verwies Essebsi in seiner Rede auch auf die schlimmer werdende Wirtschaftskrise. Das Land sei in einer schwierigen Lage und es sei notwendig, ausländische Investoren anzuziehen, betonte er. «Aber ein investitionsfreundliches Klima haben wir zur Zeit nicht.»

Um dieses wieder herzustellen, braucht es ein Gefühl der Sicherheit. In den ersten Stunden des Ausnahmezustands war die gestiegene Polizeipräsenz zumindest in Tunis sichtbar: Polizeiwagen säumten eine Hauptstraße, das Innenministerium war mit Stacheldraht und Metallbarrieren abgesperrt.

Die Einheimischen verbrachten den Tag dagegen wie gewöhnlich. In den Straßen der Hauptstadt war es ruhig, nur wenige Menschen kauften in der Sommerhitze für den Fastenmonat Ramadan ein - die Meisten verbrachten ihre freie Zeit lieber an schattigen Plätzen.

Um die noch junge Tourismussaison zu retten, hat die Regierung die Ausreisesteuer für ausländische Gäste wieder abgeschafft. Diese war erst im Oktober 2014 in Kraft getreten und betrug 30 Tunesische Dinar (rund 13 Euro). Doch helfen dürfte dies dem Land kaum. So scheint das Kalkül der Dschihadisten aufzugehen: Chaos stiften, die  Wirtschaftskrise verschärfen, um der jungen Demokratie zu schaden.

Tunesien, das den Übergangsprozess im Gegensatz zu seinen arabischen Nachbarn vorbildlich gemeistert hat, setzt wiederum auf altbekannte Methoden: mehr Militär und Polizei, weniger Freiheits- und Bürgerrechte. Der Ausnahmezustand soll zwar in einem Monat überprüft werden - doch beim letzten Mal, angefangen zur Zeit der Jasminrevolution, dauerte er länger als drei Jahre. Auch weitere Verbote werden derzeit diskutiert, wie etwa für das Tragen langer Bärte im Staatsdienst. Ob dies der Weg ist, ein Land, das zwischen islamistischen und säkularen Kräften tief gespalten ist, aus der Krise zu bringen, ist mehr als fraglich. (dpa)

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