Gute Karten für Assad

Das syrische Regime hat nach wie vor viele Anhänger im Inland wie im Ausland. Eine militärische Intervention wäre daher überhaupt nicht sinnvoll, meint Bahman Nirumand.

Von Bahman Nirumand

Alle Augen richten sich zurzeit auf Syrien. Doch leider sind hier die Voraussetzungen für einen Regimewechsel und die Einführung demokratischer Strukturen weitaus ungünstiger als in anderen arabischen Ländern.

So ist es dem Assad-Clan auf nationaler Ebene gelungen, weite Teile der syrischen Ober- und Mittelschicht für sich zu gewinnen und ökonomisch an sich zu binden. Zudem hat er der Bevölkerung, wenn nicht Freiheit und Gerechtigkeit, dann zumindest Stabilität und Sicherheit garantiert. Das ist im Hinblick auf die geografische Lage des Landes und der sich zum Teil feindlich gegenüber stehenden Ethnien beziehungsweise religiösen Minderheiten für die Bevölkerung von existenzieller Bedeutung. Das Regime konnte sich als Bollwerk gegen radikalen Islamismus und Ethnokonfessionalismus präsentieren.

Angst vor Chaos oder Bürgerkrieg

Nicht zuletzt dieser Aspekt erschwert Oppositionellen die Bildung einer Alternative zum herrschenden Regime. Die Angst vor einem Chaos oder einem Bürgerkrieg, die auch jahrelang von dem Regime propagandistisch geschürt wurde, hält viele Menschen in Syrien davon ab, sich den Rebellen anzuschließen.

Syrische panzer in Hama; Foto: picture alliance
Reminiszenzen an die Niederschlagung des Aufstandes von 1982: Die syrische Armee setzte zur Niederschlagung der Demonstrationen in der Widerstandshochburg Hama im August mehrfach Panzer und Kampflugzeuge ein.

​​Auch die Nachbarstaaten Irak und Libanon bieten anschauliche Beispiele für das, was Syrien nach einem Sturz Assads blühen könnte. Viele haben das Massaker von Hama 1982 und die Ermordung hunderter syrischer Kurden 2004 noch in Erinnerung und fürchten nach einem Sturz des Regimes Racheakte, vor allem gegen Alawiten, die als Minderheit das Land seit Jahrzehnten beherrschen.

Unter diesen innenpolitischen Umständen glaubt das Regime in Damaskus sich ein brutales Vorgehen gegen Aufständische leisten zu können. Tausende Tote, Verletzte und Vermisste reichen daher nicht aus, um die Machthaber zum Rücktritt oder auch nur relevanten Reformen zu zwingen.

Noch günstiger als die innenpolitischen Umstände ist für das Regime die außenpolitische Lage. Geografisch befindet sich das Land in einem der gefährlichsten Brennpunkte der Welt. Umgeben von Nachbarn wie Israel, Libanon und Irak, deren Lage kaum brisanter sein könnte, behauptet Syrien durch eine ausgetüftelte Außenpolitik seine nationale Souveränität.

Syrien ist seit Jahrzehnten führend in der arabischen Front gegen Israel. Es unterstützt die radikal-palästinensische Organisation Hamas und die Hisbollah in Libanon. Israel hält seit dreißig Jahren die syrischen Golanhöhen besetzt. Dennoch ist die Grenze zwischen Israel und Syrien die sicherste und ruhigste Grenze Israels. Nicht zuletzt deshalb ist Syrien aus israelischer Sicht, obwohl feindlich gesinnt, einer der sichersten Garanten für die Stabilität der gesamten Region. Das erklärt auch, weshalb Tel Aviv einem möglichen Regimewechsel äußerst skeptisch gegenübersteht.

Intervention nicht in Sicht

Aus demselben Grund waren sowohl Beispiele für das die USA als auch die Staaten der EU in den vergangenen Jahren um eine Normalisierung der Beziehungen zu dem Nahoststaat bemüht, den George W. Bush zu der Achse des Bösen zählte.

Gerade im Januar dieses Jahres hat US-Präsident Barak Obama beschlossen, einen Botschafter nach Damaskus zu schicken. Noch Ende März, als die Unruhen in Syrien längst weite Teile des Landes erfasst hatten, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton, es werde weder eine offizielle Verurteilung Syriens noch eine Intervention geben.

Auch jetzt, nach unzähligen Opfern, scheint der Westen militärische Maßnahmen wie die der Nato in Syrien nicht in Erwägung zu ziehen, was nach meiner Auffassung auch völlig irrsinnig wäre. Denn eine Bombardierung Syriens würde in der ganzen Region einen Flächenbrand auslösen.

Zudem gilt es zu berücksichtigen: Trotz der Annäherungsversuche des Westens, auf die das Assad-Regime positiv reagierte und sich sogar zu Verhandlungen mit Israel bereit erklärte, gilt der Herrscher in Damaskus bei den Massen in den arabischen Ländern als einer der wenigen Verfechter der Rechte der Palästinenser. Auch aus dieser Position schöpft der Diktator seine regionale Machtposition.

Ali Khamenei gemeinsam mit Offizieren der iranischen Armee im Jahr 2009; Foto: farsi.iranbriefing.net/DW
Vielfältige Möglichkeiten zu diplomatischen Manövern: Assad kann sich auch der Rückendeckung durch die Führung der Islamischen Republik sicher sein.

​​Im Osten hat Damaskus ausreichend Rückendeckung. Die enge, wohl pragmatische Freundschaft mit den Herrschern im Iran, gewährt Assad neben wirtschaftlichen Vorteilen vielfältige Möglichkeiten zu diplomatischen Manövern im Nahen Osten. Auch Teheran ist existenziell an enge Beziehung zum Regime in Damaskus interessiert, ohne die Iran seinen Einfluss in der Region weitgehend verlieren würde. Deshalb versucht Teheran alles, um Assad zu retten. Westliche Geheimdienste berichten sogar von logistischer und militärischer Hilfe aus Teheran.

Ambivalente Politik der Türkei

Auch die Türkei hat in den letzten Jahren vielfältige Beziehung zu Syrien angeknüpft. Zahlreiche Abkommen auf den Gebieten Sicherheit, Wirtschaft, Außenpolitik und Tourismus zwischen Ankara und Damaskus haben die junge Freundschaft verfestigt. Allerdings ist die Türkei nach dem Scheitern der neuerlichen Versuche, Damaskus zum Einlenken und zu Reformen zu bewegen, sichtlich auf Distanz gegangen.

Offensichtlich lässt sich die Rolle, die die Regierung von Tayyip Erdogan als Vorbild in der arabisch-islamischen Welt spielen möchte, mit der Duldung der Massaker in Syrien nicht in Einklang bringen. Doch Ankaras Proteste müssen nicht unbedingt als ein Wunsch nach einem Regimewechsel in Syrien gedeutet werden.

Eindeutig hingegen ist die Position von Russland und China. Weder strategischen noch ökonomischen Überlegungen heraus wollen sie einen Regimewechsel und lehnen, wie kürzlich im UN-Sicherheitsrat, sogar Resolutionen oder Sanktionen ab.

Angesicht dieser Lage stellt sich die Frage, wer außer einer Mehrheit des syrischen Volkes an einem Sturz des Assad-Regimes interessiert ist. Selbst Saudi-Arabien, das zu den Gegnern des Assad-Regimes gehört, fürchtet, dass ein Sieg der Rebellen in Syrien auch Auswirkungen auf das eigene Land haben könnte. Das Beispiel Syrien zeigt wieder einmal, dass im politischen Handeln Menschenrechte, Demokratie und Freiheit weder im Osten noch im Westen eine ausschlaggebende Rolle spielen.

Bahman Nirumand

© Die Tageszeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de