Die Leerstelle in der Iran-Debatte

Ein Angriff Israels auf Irans Atomanlagen ist für viele politische Beobachter nur noch eine Frage der Zeit. Die Notwendigkeit, Teherans Atomprogramm zu stoppen, wird mit der unmittelbaren Bedrohung Israels durch eine iranische Atombombe gerechtfertigt. Doch die Stichhaltigkeit dieser These wird kaum hinterfragt. Ein Essay von Ulrich von Schwerin

Von Ulrich von Schwerin

Seitdem die Aussage des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, Israel müsse von der Landkarte wegradiert werden, um die Welt ging, gilt die Islamische Republik vielen als unmittelbare Bedrohung der Existenz Israels. Daran hat wenig geändert, dass bald herauskam, dass es sich bei der Aussage Ahmadinedschads während einer unbedeutenden Studentenkonferenz im Oktober 2005 um ein Zitat Ayatollah Khomeinis handelte, das richtig übersetzt lautete: "Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss von den Seiten der Geschichte verschwinden."

Auch spätere Klarstellungen Ahmadinedschads, dass die Äußerung keineswegs den Willen zum Krieg impliziere und die Palästinenser selbst über ihr Schicksal entscheiden müssten, änderten wenig an dem Eindruck, dass die Zerstörung Israels das erklärte Ziel der neuen Regierung sei. Ahmadinedschad war zunächst selbst von der Wirkung seiner Rede überrascht, erkannte dann aber das Potential des Themas zur eigenen Profilierung. In der Folge machte er die Angriffe auf Israel und später die Leugnung des Holocaust zum festen Bestandteil seiner Reden.

Keine Bereitschaft zum Krieg

Nun ist Kritik an der israelischen Regierung im Iran fraglos mehr als ein rhetorisches Ritual, um sich der eigenen anti-imperialistischen Identität zu versichern.

Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei während einer Militärparade; Foto: Iranbriefing.net
Alle Macht dem Revolutionsführer: "Die Fixierung auf Ahmadinedschad hat vielfach verdeckt, dass in der Außenpolitik nicht der Präsident, sondern der Revolutionsführer das letzte Wort hat. Als konservativer, vorsichtiger Machtpolitiker war sein erstes Ziel stets die Sicherung des Systems und des Status Quo. Grundlegende Veränderungen scheute er ebenso wie radikale und riskante Entscheidungen", schreibt Schwerin.

​​Die Ablehnung des jüdischen Staats durch die iranische Führung bis hin zu Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, der als Oberbefehlshaber der Streitkräfte über Krieg und Frieden entscheidet, steht außer Frage. Ebenso wie in den arabischen Staaten empfindet der Großteil der iranischen Bevölkerung Israels Politik gegenüber den Palästinensern als empörendes Unrecht.

Aus dieser Empörung die Bereitschaft zum Krieg zu folgern, wäre jedoch falsch. Für die meisten Iraner war das Schicksal der Palästinenser nie mehr als ein Randthema. Ihretwillen einen Krieg gegen Israel und seine Verbündeten zu beginnen, ist im Iran niemals ernsthaft erwogen worden. Ein derartiger Angriff widerspräche auch einer Außenpolitik, die in den vergangenen Jahrzehnten weniger aggressiv als defensiv und pragmatisch ausgerichtet war.

Der 1979 zunächst propagierte Export der Revolution, der viele arabische Staaten verunsichert hatte, wurde bereits wenige Jahre später aufgegeben. Seit Ende des Iran-Irak-Kriegs 1988 agierte Teheran meist eher reaktiv als aggressiv und entschied eher nach Interessen als nach Ideologie.

Im Karabach-Konflikt (1988-1994) etwa stellte sich Iran auf die Seite des christlichen Armenien gegen das schiitische Aserbaidschan. Im tadschikischen Bürgerkrieg (1991-1997) unterstützte der Iran nicht die islamische Opposition, sondern setzte sich als Vermittler ein.

Nach dem Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan unterstützte Teheran im Bürgerkrieg die Milizen der schiitischen Minderheit. Als die Taliban in Mazar-i Sharif Tausende schiitische Hazara ermordeten, drohte Teheran im September 1998 mit einer Intervention, spielte aber sonst im Vergleich zu Islamabad, Washington oder Riad nur eine untergeordnete Rolle.

Politische Kooperationsbereitschaft

Als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die USA gemeinsam mit der Nordallianz die Taliban und Al-Qaida vertrieben, wurde dies in Teheran ausdrücklich begrüßt.

Sturz der Saddam-Statue im Zentrum Bagdad, Foto: AP
Abrechnung mit dem irakischen Erzfeind: Nach dem Sturz Saddam Husseins zeigte sich die iranische Führung gegenüber den USA kooperationswillig.

​​Auch als die US-Truppen 2003 den irakischen Diktator und iranischen Erzfeind Saddam Hussein stürzten, reagierte die iranische Regierung kooperativ. Berichte in den folgenden Jahren über Waffenlieferungen an die Taliban oder Al-Qaida konnten nie belegt werden und sind angesichts der anti-schiitischen Haltung der Gruppen auch wenig glaubhaft.

Sicher war Teheran nicht unglücklich über den Aufstand im Irak und Afghanistan, doch wichtiger als der Abzug der US-Truppen war es, ein erneutes Erstarken der Sunniten in Bagdad und Kabul zu verhindern.

Im Irak ebenso wie in Bahrain, Kuwait und Saudi-Arabien waren die Schiiten für Teheran die natürlichen Verbündeten, die man zu fördern und zu stützen suchte. Für die sunnitischen Herrscher in Manama, Kuwait und Riad stellte Teheran als Schutzmacht der Schiiten stets eine potentielle Bedrohung dar. Die Ursache der wiederholten Proteste und Aufstände der Schiiten, etwa in Bahrain, lag jedoch nie in der Unterstützung durch den Iran, sondern in der Unterdrückung durch die autoritären Herrscherhäuser.

Eine Miliz von Teherans Gnaden

Die Hezbollah im Südlibanon stellte dabei einen Sonderfall dar. Von den iranischen Revolutionsgarden im Kampf gegen die israelischen Besatzer aufgebaut, wuchs die schiitische Miliz und Partei über die Jahre zu einer nationalen Macht heran.

Als Verteidiger der nationalen Integrität und aufgrund ihres sozialen Netzwerks gelangte sie zu Ansehen unter den Schiiten und zu Einfluss in Beirut. Auch wenn sie bis heute mit Waffen und Geld aus dem Iran unterstützt wird, war sie stets mehr als eine Miliz von Teherans Gnaden.

Demonstration der Hezbollah in Beirut; Foto: AP
Zweckbündnis und strategische Allianz zum gegenseitigen politischen Nutzen: Anhänger der libanesischen Hezbollah halten Transparent mit Bildern Ahmadinedschads, Baschar al-Assads und des Hezbollah-Scheichs Hassan Nasrallahs hoch.

​​Im Fall Syriens hatte das Bündnis mit dem Assad-Clan weniger kulturell-religiöse als politisch-pragmatische Gründe. Zwar gehört die Herrscherfamilie der schiitischen Minderheit der Alawiten an, doch unterscheiden sich diese grundlegend von den Zwölfer-Schiiten im Iran. Zudem war das Regime in Damaskus stets säkular ausgerichtet, ideologische Schnittpunkte mit den Ayatollahs in Teheran gab es nicht.

Dass trotz der eher defensiven und reaktiven Außenpolitik des Irans bis heute das Bild eines aggressiven Staates vorherrscht, der ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz seine Ziele verfolgt, ist neben der brutalen Repression im Inland auch den wiederholten Anschlägen und Morden des iranischen Geheimdiensts an Exilpolitikern im Ausland geschuldet.

Hinzu kommt, dass aufgrund der Vielzahl an rivalisierenden Machtzentren das Regime eine oft widersprüchliche Außenpolitik betrieb, die es unberechenbar erscheinen ließen.

Dieser Eindruck wurde in den letzten Jahren noch verstärkt durch die oft erratische Politik, die extremistische Rhetorik und das exzentrische Verhalten Ahmadinedschads. Mit seinen verbalen Angriffen gegen Israel, seiner Leugnung des Holocaust und seiner Behauptung einer direkten Verbindung zum Messias zerstörte er mit wenigen Reden das Vertrauen, was sein Vorgänger Mohammed Khatami in den Jahren zuvor gegenüber dem Westen aufgebaut hatte. Dabei wurde jedoch oft übersehen, dass jenseits der Hassreden die Außenpolitik in ihren großen Linien unverändert blieb.

Die Allmacht dem Revolutionsführer

Die Fixierung auf Ahmadinedschad hat zudem vielfach verdeckt, dass in der Außenpolitik nicht der Präsident, sondern der Revolutionsführer das letzte Wort hat. Wenn Ahmadinedschad nach den Wahlen kommendes Jahr von der Bühne tritt, wird es immer noch Khamenei sein, der im Hintergrund die Fäden in der Hand hält.

Als konservativer, vorsichtiger Machtpolitiker war sein erstes Ziel stets die Sicherung des Systems und des Status Quo. Grundlegende Veränderungen scheute er ebenso wie radikale und riskante Entscheidungen.

Ein atomarer Angriff auf Israel wäre aber genau dies. Er wäre ein Tabubruch, den die internationale Gemeinschaft nicht ungestraft ließe. Nicht nur hätte er einen nuklearen Gegenschlag Israels zur Folge, sondern der Westen würde wohl nicht Halt machen, bevor nicht das Regime in Teheran gestürzt wäre. Womöglich würde noch Venezuela an seiner Seite stehen, aber auch das ist nicht sicher.

Nicht Israel sondern die Islamische Republik würde von der politischen Landkarte verschwinden. Warum jemand im Iran das wollen sollte, ist nicht die geringste Leerstelle in der aktuellen Debatte.

Ulrich von Schwerin

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de