«Assad in Not»: Al-Qaida und Rebellen gewinnen in Syrien an Boden

Syriens Regime hat im Bürgerkrieg empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Die Armee und ihre Verbündeten leiden unter einem hohen Blutzoll. Es mehren sich die Indizien, dass sie ausgelaugt sind. Von Jan Kuhlmann

Angeblich spricht der Offizier am Telefon mit Präsident Baschar al-Assad persönlich. «Meine Hochachtung, Herr Generaloberst», ruft der Mann mit dunklem Schnurrpart in sein Mobilgerät, während um ihn herum Dutzende syrische Soldaten dem Gespräch lauschen. «Unsere Kräfte haben sich zurückgezogen. Bei mir sind 800 Kämpfer. Aber wir brauchen Munition. Alle werden zurückkehren. Aber ihr müsst uns mit Munition unterstützen.»

Seit Tagen kursiert im Internet das unscharfe Video mit dem Gespräch zwischen Oberst Suheil al-Hassan, Spitzname «Der Tiger», und Assad oder einem anderen hohen Vertreter des Regimes. Es soll im Nordwesten Syriens aufgenommen worden sein, wo Assads Anhänger zuletzt gleich mehrere empfindliche Niederlagen erlitten haben. Das Telefonat wirft ein schlechtes Licht auf den Zustand der regimetreuen Kräfte. Nach mehr als vier Jahren Bürgerkrieg mehren sich die Indizien, dass die Armee und die mit ihr verbündeten Milizen zunehmend ausgelaugt sind.

Ende März verloren sie die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens an ein Bündnis aus mehreren islamistischen Rebellengruppen. Ende April dann konnten die Regimegegner westlich davon den strategisch wichtigen Ort Dschisr al-Schogur einnehmen. Die Rebellen sind damit sehr nahe an die syrische Mittelmeerküste vorgerückt, dem Kernland der religiösen Minderheit der Alawiten, die das Regime trägt. Auch im Süden Syriens haben Assads Truppen deutlich an Boden verloren.

Ein unmittelbares Ende des Regimes steht damit zwar nicht bevor - doch langfristig schwinden Assads Aussichten. Der Blutzoll unter seinen Anhängern in den vergangenen vier Jahren war massiv. Das Regime sei geschwächt, weil ihm Kämpfer fehlten, sagt der Syrien-Experte von der Universität Edinburgh, Thomas Pierret: «Das ist ein unumkehrbarer Prozess, der letztlich zu seinem Untergang führen wird. Aber das kann lange dauern.»

Halten konnte sich das Regime zuletzt vor allem, weil Damaskus massive Hilfe aus dem Ausland bekommt, insbesondere aus dem Iran. So kämpft die von Teheran finanzierte Schiiten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon an der Seite Assads. Auch Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden sollen im Einsatz sein.

Im Land selbst haben sich zudem lokale Milizen gebildet, die die Schwäche der Armee ausgleichen sollen. Die empfindlichen Niederlagen gegen die Rebellen konnten sie nicht verhindern. «Die einzige Waffe, die das Regime noch hat, ist die Luftwaffe», sagt Osama Abu Zaid, Berater des gemäßigten Rebellenbündnisses Freie Syrische Armee.

Gleichzeitig werden aufseiten der Gegner Assads islamistische Kräfte stärker. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beherrscht schon seit Monaten rund ein Drittel des Landes im Norden und Osten Syriens. Zu dem Rebellenbündnis, das im Nordwesten Erfolge erzielt hat, gehört die Al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks Al-Qaida. Sie ist zwar mit dem IS verfeindet, teilt aber seine Dschihad-Ideologie.

Unklar ist, ob die Nusra-Front die Rebellen im Nordwesten anführt. Eine gewichtige Rolle spielt sie aber auf jeden Fall. Die Erfolge des Bündnisses sind das Ergebnis einer besseren Kooperation zwischen den Regimegegnern. Im Hintergrund sollen sich laut Beobachtern Saudi-Arabien, Qatar und die Türkei stärker eingeschaltet haben.

Für die neuen Syrien-Sondierungsgespräche, die in dieser Woche unter UN-Vermittlung in Genf beginnen sollen, sind das keine guten Aussichten. Zwar hat UN-Sondervermittler Staffan de Mistura rund 40 Delegationen von Regierung und Opposition in die Schweiz eingeladen - der Einfluss der dort vertretenen Assad-Gegner auf das Kampfgeschehen im Land ist aber äußerst begrenzt. Radikale islamistische Rebellen wie die Nusra-Front sind in Genf überhaupt nicht vertreten. An ihnen vorbei aber wird es in Syrien keine Frieden geben.

Gleichzeitig macht das Regime trotz der jüngsten Niederlagen keine Anstalten, der gemäßigteren Opposition entgegenzukommen. Diese wiederum beharrt auf der Forderung, dass es ohne einen Abgang Assads keine Lösung geben kann. So sind die Erwartungen an die Gespräche in Genf gering. Samir Naschar vom Oppositionsbündnis Nationale Syrische Koalition bringt es mit einem Satz auf den Punkt: «Ich glaube nicht, dass die Treffen zu einem Ende der Krise führen werden.» (dpa)